16.03.2011, 06:00 Uhr

Die Kunst, ein virtuelles Team zu führen

Interdisziplinäre Teams sind schon anspruchsvoll genug, virtuelle Projektteams zu dirigieren, ist dann die hohe Kunst. Die gute Nachricht: Führung ist in virtuellen Teams nicht anders – nur noch wichtiger.
Dirigieren mit viel Taktgefühl, Foto: © melancholie / Photocase.com
Der Autor ist Unternehmer und Geschäftsführer der pik AG, die u.a. Managementtrainings für Rolex oder Credit Suisse entwickelt. Stellen Sie sich vor, Ihr Projektteam ist die Besatzung eines Schiffs. Vielleicht segeln Sie am Americas Cup gegen Konkurrenten. Oder Sie sitzen im Schlauchboot beim River Rafting und müssen die Herausforderungen der vor Ihnen liegenden Strecke meistern. Wie wäre es da, wenn ein Teil Ihrer Mannschaft gar nicht an Bord wäre? Viele Projekt­teams sind heute auf virtuelle Mitglieder und externe Experten angewiesen, die nur sporadisch mit im Team sind. Dazu kommt, dass in der Regel spezialisierte Fachleute mit völlig unterschiedlichen fachlichen Hintergründen wie IT, Marketing, Design, Produktion und verschiedenen Geschäftsbereichen zusammenarbeiten müssen. Kommen dann noch Zeitdruck, knappe Budgets und das aktuelle Tagesgeschäft hinzu, stellt sich die Frage: Wie bringt man unter diesen Bedingungen das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss? Eine Antwort geben die folgenden Regeln.

Vision statt Checkliste

Ihre erste und wichtigste (Führungs-)Aufgabe als Projektleiter ist es, sicherzustellen, dass alle Teammitglieder trotz unterschiedlicher fachlicher Hintergründe die gleiche Vision in Bezug auf die vor ihnen liegende Aufgabe teilen. Wer ein Schiff bauen will, so lautete die berühmte Erkenntnis von Antoine de Saint-Exupéry, muss die Sehnsucht nach dem Meer wecken, statt die Details der Baupläne zu erläutern. Ein solches «Big Picture» ist ein wertvoller gemeinsamer Bezugsrahmen, der immer dann gebraucht wird, wenn es um die richtigen Prioritäten und das Abwägen von Interessenskonflikten geht. Gleichzeitig liefert die gemeinsame Vision nicht nur Orientierung, sie stiftet auch Identität und Gemeinschaftssinn – wichtige Voraussetzungen für eine Vertrauenskultur, ohne die offener Informationsaustausch und der konstruktive Umgang mit unvermeidlichen Spannungen nicht möglich sind.

Hire for attitude, train for skills

Folgen Sie diesem Grundsatz, wenn Sie Ihr Team selbst zusammenstellen können. Zwar sind Fähigkeiten, Know-how und Erfahrungen wichtig. Doch selten scheitern Projekte an diesen «Hard Facts». Vielmehr sind fehlende Motivation, mangelndes Engagement oder störende persönliche Interessen der Teammitglieder die natürlichen Feinde erfolgreicher Projekte. Vergessen Sie also nicht: Geld ist nur einer von vielen möglichen Anreizen – und dazu oft noch ein unwesentlicher, wenn es um das Commitment zu Ihrem Projekt geht. Da spielen Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten, die herausfordernde Aufgabe oder das interkulturelle Arbeitsumfeld eine viel wichtigere Rolle. Die aktuelle Generation Internet (siehe auch Beitrag auf S. 14) schätzt etwa den Sinn der Arbeit viel höher ein als Generationen vor ihr. Clevere Projektleiter setzen gezielt auf diese Motivationsfaktoren und holen zum Beispiel auch Personen ins Team, die ihre Skills erst im Projekt entwickeln. Persönliches Wachstum und Weiterentwicklung wirken als mächtige Antreiber, die fehlende Routine mehr als wettmachen.

Reden ist Gold

Was unterscheidet eine Gruppe von Personen, die ihren Job machen, von einem Team? Im Team sind die Aufgaben aufeinander bezogen, das Arbeitsergebnis des einen ist Voraussetzung oder Kontext für die Arbeit der anderen. Diese gegenseitige Abhängigkeit macht den Austausch von Informationen und die permanente Abstimmung untereinander zu einem Schlüssel für den Erfolg. Die gemeinsame Vision, die als Leitplanke für alle Einzelbeiträge wirkt, soll wegen ihrer überragenden Bedeutung hier noch einmal genannt sein. Der Stoff, aus dem alle weitere Koordination, Orientierung und das Lernen während der Dauer des Projekts sind, heisst «Kommunikation». Moderne technische Hilfsmittel leisten hier vor allem in virtuellen Teams wertvolle Dienste, stellen aber auch zusätzliche Gefahren für die Beteiligten dar. Technische Medien filtern zwischenmenschliche Töne he­raus und erschweren ein Lesen zwischen den Zeilen. Wichtige Informationen gehen verloren, weil Teammitglieder die Fähigkeit jedes Menschen, soziale Situationen intuitiv zu erfassen und zu verstehen, nicht einsetzen können. Ein erhöhtes Risiko für Missverständnisse, Frustrationen und Konflikte ist die Folge. Das bedeutet für Sie: Stellen Sie «High Touch» vor «High Tech». Sorgen Sie also für möglichst viele Face-to-Face-Kontakte. Vor allem ein Kick-off-Meeting mit allen Beteiligten erleichtert die spätere Kommunikation ungemein. Den Aufwand erhalten Sie in Form geschonter Nerven und tieferer Reibungsverluste in der Kommunikation mehrfach zurück.

Managen Sie nicht, führen Sie

Paradoxerweise kann ein professionelles Projektmanagement einer guten Führung im Weg stehen: Hoch strukturierte und bis ins Detail definierte Projektphasen, Berichtsstrukturen und Dokumentationsrichtlinien vermitteln leicht den Eindruck, alles nehme seinen gewünschten Gang, wenn man sich nur eng ans Projekthandbuch hält. Diese Haltung ignoriert den wichtigen Unterschied zwischen managen und führen: Dinge wie Aufgaben, Dokumente, Zeit und andere Ressourcen können Sie managen. Doch als Führungskraft geht es um Menschen und die Gestaltung von Beziehungen. Letzteres geht nicht ohne Vertrauen, Einfühlungs-vermögen und Ihr persönliches Engagement als Mensch. Nur so können Sie auch auf der zwischenmensch­lichen Ebene Einfluss nehmen, denn Menschen lassen sich eben nicht fernsteuern. Glücklicherweise zeigen die Neurowissenschaften, dass jeder Mensch genau in diesem Bereich eine natürliche Begabung besitzt. Sie anzuwenden, ist lediglich eine Frage der Aufmerksamkeit.

Bedürfnis kontra Strategie

Achten Sie auf den Unterschied zwischen Bedürfnissen und Strategien: Bedürfnisse sind der Königsweg zur Motivation Ihres Teams. Strategien zur Bedürfnisbefriedigung (genauer: Ihre Auswirkungen auf Dritte) der Hauptgrund für Spannungen. Nehmen Sie diese beiden Aspekte bewusst war, dann haben Sie den wichtigsten Schritt getan, um Engagement zu wecken und Konflikte beizulegen. Das folgende Experiment könnte Ihre Führungsqualitäten dramatisch verbessern: - Beobachten Sie eine Diskussion und fragen Sie sich, welche legitimen persönlichen Bedürfnisse wohl hinter den Äusserungen und dem Verhalten der Gesprächspartner stehen: Anerkennung? Sicherheit? Einen Beitrag leisten? Zugehörigkeit zu einer Gruppe? Etwas Sinnvolles tun? - Beobachten Sie weiter, auf welche Weise, mit welcher Strategie versucht wird, diese Bedürfnisse zu befriedigen: Werden Versprechungen gemacht? Drohungen ausgesprochen? Ideen generiert? Andere oder deren Meinungen he­rabgesetzt oder gelobt? Versuchen Sie, diesen Fokus auch dann beizubehalten, wenn Sie selbst einer der Gesprächspartner sind. Lassen Sie sich über­raschen, wie konstruktiv Ihre Gespräche verlaufen werden.

Transparente Erwartungshaltung

Sorgen Sie dafür, dass Rollen und Erwartungen jederzeit transparent und klar sind. Denn nur wenn jeder weiss, was Sie und die anderen Teammitglieder jeweils voneinander erwarten, können die richtigen Prioritäten gesetzt werden und die Zusammenarbeit reibungslos funktionieren. Eine weitere Geheimwaffe für Klarheit und Transparenz: Visualisieren Sie. So viel und so oft Sie können. Vor allem immer dann, wenn es um Übergreifendes geht. Das «Big Picture» hat seinen Namen nicht zufällig! Arbeiten Sie mit Simulationen, Metaphern und anderen analogen Verfahren. Schon einfachste Visualisierungen der Zusammenhänge, Abläufe oder Szenarien verdeutlichen Sachverhalte und entlasten die mündliche Kommunikation. Aus­serdem gibt es bei Bildern auch in international zusammengesetzten Projekten keine Sprachbarrieren. Eine saubere Rollenklärung ist die Voraussetzung für Selbstverantwortung und Commitment der Teammitglieder, und beides ist wichtig, damit Ihr Projekt nicht aus dem Ruder läuft: Selbstverantwortung deshalb, weil jeder im Team auf die Beiträge der jeweils anderen angewiesen ist. Commitment, weil Sie als Projektleiter nicht der Motor, sondern der Steuermann Ihres Teams sein sollen. Wenn Sie mit Ihrem Projekt die Ziellinie «in Time», «in Quality» und «in Budget» überqueren wollen, dann setzen Sie auf High Touch – ganz nebenbei macht Ihnen und dem Team die Arbeit dann auch noch Spass.
Workshop
«Leadership live» Offener Halbtages-Workshop mit dem Planspiel «Team in Action». Lernen Sie, wie auch Führungskräfte im HSG MBA Programm ihre Leadership-Kompetenzen trainieren. Wann: 30. März in Zürich
Info: www.get-performance.com
Weiterbildung
«High Toch» mit Planspielen Berlitz Business Seminare bietet seit diesem Jahr Seminare für Projektleiter und Führungskräfte an, in denen das vermittelte Wissen konkret angewandt und «erfahren» wird. Wann: 30. März in Zürich
Info: www.berlitz.ch/de/planspiele.html



Das könnte Sie auch interessieren