Computerworld vor 30 Jahren 23.12.2020, 05:58 Uhr

Schweizer Software für die Welt

Um eine Eigenentwicklung der Eidgenossenschaft entbrannte 1990 eindenkwürdiger Rechtsstreit. Eine andere Schweizer Entwicklung bildete die Grundlage für einen IT-Weltkonzern, berichtete Computerworld Schweiz.
(Quelle: Marco Pregnolato / Unsplash)
Swissbase war in den 1970ern vom stellvertretenden Chef des Informatik-Dienstes der Bundeskanzlei entwickelt worden. Das «Allgemeine Bundesinforma­tionssystem» (ABIM) hatte Rolf Streb nach eigener Aussage hauptsächlich deshalb programmiert, «weil es für diese Bedürfnisse auf dem Markt nichts gab». Das Datenbank-Managementsystem fand rasch Anwender, darunter mehrere Departemente und auch die Bundeskanzlei. Für die Kommerzialisierung – Interessenten waren unter anderem Bührle und Hoffmann-La Roche – hatte die Eidgenossenschaft 1987 einen Lizenzvertrag mit der Firma Datronic aus Meyrin bei Genf geschlossen. Datronic wollte über seinen Mutterkonzern, die britische Rüstungsfirma Plessey, die Schweizer Eigenentwicklung auch weltweit an Kunden vertreiben. Dafür wurde statt dem schlichten ABIM der viel klangvollere Name «Swissbase» gewählt.
Angesichts des kommerziellen Erfolgs von Swissbase, das schon vor dem Beginn seiner internationalen Vermarktung jährlich rund 25 000 Franken in die Bundeskasse spülte, wurden andere Schweizer Software-Häuser auf das Produkt aufmerksam. Einer der ersten Lizenznehmer war ARS Computer Consulting aus Brittnau. Später übertrug Datronic seine Hauptlizenz an CHF & B Informatique aus Cernier, die postwendend auch den Swissbase-«Erfinder» Rolf Streb anstellte. So kam es im Dezember 1989 zum Showdown: ARS kündigte den Lizenzvertrag mit CHF & B und schickte auch die (ungeschützten) Swissbase-Disketten zurück in die Westschweiz, berichtete Computerworld gleich Anfang Januar 1990.

Eidgenossenschaft gegen IBM

Der Januar-Artikel hatte die Überschrift «Bund interveniert gegen Software-Klau». Die Entwicklerschmiede ARS hatte die erfolgreiche Swissbase als Grundlage für die eigene Lösung «Bliss» verwendet. Der ARS-Geschäftspartner IBM wollte auf den Zug aufspringen und mit einer Hochglanzbroschüre die Verkäufe ankurbeln. In dem Prospekt waren Bildschirmmasken zu sehen, die auch von Swissbase hätten sein können. Auch war ein Tippfehler aus der ersten Version von Swissbase in der «Bliss»-Werbung abgebildet. Diese Ähnlichkeiten riefen die Bundesverwaltung als ursprüngliche Entwicklerin und Finanziererin der Software auf den Plan. Bern wollte nun juristisch prüfen lassen, ob es sich bei «Bliss» um eine Raubkopie handelt.
IBM wies alle Schuld von sich: In dem Prospekt werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei Bliss nicht um ein Produkt von Big Blue handle. Der damalige Computer-Gigant verdiente als Grosslieferant allerdings auch schon genug Geld mit der Eidgenossenschaft.
So gab IBM klein bei, als die Bundesverwaltung im Februar 1990 mittels superprovisorischer Verfügung versuchte, den Verkauf von Bliss zu stoppen. Über Fernkopierer kündigte der Konzern an, den fraglichen Prospekt zuliquidieren und soweit möglich alle verteilten Exemplare wieder einzusammeln. Das genügte dem Bundesanwalt aber nicht: Er wollte einen sofortigen Vertriebsstopp sowie eine Liste aller bisherigen Kunden und Interessenten.Alles sollte er bekommen, allerdings von ARS. IBM war nach der Schredderaktion fein raus.

Die Suche im Quellcode

ARS liess die Sache allerdings nicht auf sich beruhen: Bliss sei eine Weiterentwicklung von Swissbase mit einem viel grösseren Funktionsumfang, lautete die Begründung. Mit dieser Argumentation stiessen die Aargauer beim Bund allerdings auf taube Ohren. Bern ging weiterhin von einer Raubkopie aus. Es kam zum Rechtsstreit vor dem Aargauer Obergericht. Der Richter ernannte Walter Seehars, den damaligen Direktor der Informatikdienste der ETH Zürich, zum Gutachter. Sein Arbeitsauftrag: ein Quellcodevergleich zwischen Bliss und Swissbase.
Vier Monate später, Mitte August 1990, war das Rechtsgutachten Seehars fertig. Laut seiner Expertise wiesen lediglich 11,4 Prozent der Programmzeilen von Bliss und Swissbase «geringe bis gar keine Unterschiede» auf. Auf der anderen Seite habe ARS rund 95 Prozent des Quellcodes komplett neu geschrieben und zudem noch «wartungsfreundlicher strukturiert», zitierte Computerworld aus dem Gutachten. Damit könne Bliss durchaus als «selbständiges Werk» angesehen werden.

Undank ist der Welten Lohn

Die Eidgenossenschaft verlor den Prozess um Swissbase. Richter Alfred Bühler vom Aargauer Obergericht lehnte das Begehren des Bundes nach einem Vertriebsstopp für Bliss vollumfänglich ab. Die ARS-Lösung ist laut Urteilsspruch keine Raubkopie von Swissbase. Die Übereinstimmungen im Systemkonzept und den Grundfunktionen seien auf den identischen Zweck beider Programme zurückzuführen.
Den Schaden, der ARS aus dem Verkaufsverbot entstanden war, schätzte Geschäftsführer Herbert Schwappacher auf eine sechsstellige Summe. Er war zuversichtlich, dass das Urteil auch in weiteren Prozessen Bestand haben werde.
Die Gegenseite behielt sich zunächst vor, das Urteil weiterzuziehen. Thomas Koch, Leiter der Informatikabteilung der Bundeskanzlei, befürchtete, dass der Richterspruch «Software-rechtlich unabsehbare Folgen» haben werde. Wie Computerworld mutmasste, dürfte der Prozess auch Auswirkungen auf den Vertrag zwischen dem Bund und der Lizenznehmerin CHF & B haben. Denn auch die Neuenburger könnten darauf verweisen, dass sie Swissbase entscheidend weiterentwickelt hätten. Schlimmer noch: Hätte CHF & B die Konsequenzen gezogen, wären dem Bund nicht nur die Lizenzeinnahmen entgangen, es wären auch noch zusätzliche Kosten entstanden. Bis dahin gingen nur die Gerichtskosten von 80 000 Franken zulasten der Eidgenossenschaft.
Letztendlich verzichtete der Bund auf einen weiteren Prozess. Und sowohl ARS als auch CHF & B auf Gegenklagen. Dennoch musste das Fazit zum Bundesausflug in die Software-Entwicklung lauten: Undank ist der Welten Lohn.

Aus der Schweiz in die Welt

ETH-Professor Niklaus Wirth hat unter anderemdie Programmiersprache Pascal entwickelt
Quelle: Computerworld
Schweizer Entwicklungen von Weltruhm hat ETH-Professor Niklaus Wirth geschaffen: die Programmiersprachen Pascal, Modula und Oberon sowie die Computersysteme Lilith und Ceres. Als erster und bis heute einziger deutschsprachiger Informatiker wurde Wirth im Jahr 1984 mit dem «Turing Award» für seine besonderen Verdienste um die Informatik ausgezeichnet. Im Oktober 1990 berichtete Computerworld, der ETH-Professor ginge nun nach Sibirien.
Zuvor hatte Wirth ausschliesslich die westliche Welt besucht, unter anderem die Stanford University und das Xerox-Forschungszentrum in Palo Alto. Auf Einladung des Instituts für Informatiksysteme der sibirischen Sowjet­republik bereiste er nun den Osten. Auf einer Tour durch gut gefüllten Hörsäle von Moskau, Novosibirsk und Samarkand gab er Einblicke in die westliche Computertechnik.
Ein Schüler von Wirth, der Franzose Philippe Kahn, sollte seinen grössten Geschäftserfolg im Westen haben. Während des Studiums der Mathematik an der ETH absolvierte er auch einen Programmierkurs: Professor Wirth experimentierte 1971 gerade mit Pascal. Kahn machte sich die Sprache zu eigen und verdiente seine ersten Francs zunächst mit Unterricht und später mit Pascal-Software für Geschäftsleute. Anfang der 1980er zügelte er in die USA, «weil dort alle wichtigen EDV-Entwicklungen stattfanden», wie er selbst sagte. Einige Programmierer-Jobs später traf Kahn den dänischen Entwickler Niels Jensen. Er war im Begriff, mit Ole Henriksen und Mogens Glad sowie Zuschüssen der Irish Development Agency eine irische Software-Firma zu kaufen: Borland.
Borland-Mitgründer Philippe Kahn lernte an der ETH Zürich das Programmieren in Pascal
Quelle: Keystone
Ihr Portfolio bestand aus dem Verwaltungsprogramm «Menu Master» und der Textverarbeitung «Word Index». Beide waren in Pascal-ähnlichen Sprachen geschrieben. Damit war auch das Interesse Kahns geweckt, der den Vertrieb in den USA übernahm. Als Jensen den Compiler Compass Pascal der dänischen Firma Polydata lizenzierte und mit Kahn weiterentwickelte, war «Turbo Pascal» ge­boren. Die Software sollte zu einer der meistgenutzten Programmierumgebungen überhaupt werden.



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