03.08.2010, 06:00 Uhr

SAP muss jetzt handeln

SAP hat sich neu aufgestellt, aber was haben die Kunden davon? Die Anwender-Organisation DSAG setzt den ERP-Weltmarktführer mit Forderungen unter Druck, die Schweizer Firmen Mehrwert bringen.
SAP-Lösungen gelten als zu umständlich, zu komplex, zu bedienunfreundlich. Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) vertritt die Interessen der Kunden gegenüber SAP. Wo hakt es zurzeit zwischen dem ERP-Weltmarktführer und seinen Anwendern? Computerworld diskutierte die heissen Eisen mit den DSAG-Vorständen Otto Schell (Fachressort Branchen), Christian Zumbach (Vorstand Schweiz) und Geschäftsführer Mario Günter.
CW: Das Thema Enterprise Support ist erledigt. Über was spricht die DSAG gerade mit SAP? Schell: Wir sind zufrieden, dass das Thema Enterprise Support so gut über die Bühne gegangen ist. Die Themen, die uns jetzt interessieren: SAP hat sich mit der Triade On-Premise, On-Demand und On-Device neu aufgestellt, aber die Produktstrategie ist für uns noch nicht transparent. Wie verbindet SAP etwa die drei Strategien in der Netweaver-Plattform? Ein anderer Punkt betrifft die Komplexität der Lösungen: Wenn sich der Kunde für ein SCM, ein ERP oder ein CRM entscheidet, ist er gezwungen, verschiedene Datenbanken zu nutzen, die dann auch wieder miteinander verbunden werden müssen. Die Datenmodelle sehen zum Teil unterschiedlich aus. Eine einheitliche Qualität in der Datenplattform muss unbedingt gewährleistet sein.
SAP wird oft vorgeworfen: Die Lösungen seien technologisch top, aber schlecht bedienbar und die Einarbeitung dauere daher mehrere Jahre. Teilen Sie diese Meinung? Schell: Wichtig ist das Zuhören. Es stimmt: Zwei-Jahres-, Drei-Jahres- teilweise auch Fünf-Jahres-Zyklen sind nötig, um SAP richtig zu verstehen. Auf der anderen Seite werden viele Funktionalitäten, die SAP im Standard liefert, gar nicht genutzt. Unternehmen führen die Lösung ein, schöpfen aber das Potenzial gar nicht aus. Anwender arbeiten mit dem neuen SAP genauso wie mit ihrem alten System. Das ist nicht der Sinn der Sache. Ausserdem kommen immer neue Produkte auf den Markt und der Kunden ist verwirrt. Soll er auf das neue Produkt springen oder das alte vorerst optimieren? Apropos neues Produkt, da denkt man gleich an Business ByDesign (BbD), das Anfang 2011 in die Schweiz kommen soll. Wie schätzen Sie das Potenzial für BbD in der Schweiz ein? Schell: BbD ist zum Beispiel ideal für eine Händlerlösung und andere Szenarien. Es stellt sich aber die Frage, wie man BbD sauber in die bestehende IT-Landschaft einpflegt. Wie gut der Markt BbD annehmen wird, entscheidet vor allem die Stabilität des Produkts. Läuft BbD, wenn es 2011 in der Schweiz eingeführt wird, so stabil, dass man direkt damit arbeiten kann? Die Kunden erwarten, dass Sie von SAP ein Produkt erhalten, das läuft. Nun haben etwa 100 Pilotkunden BbD bereits ausprobiert. Haben Sie schon Feedback von diesen Kunden bekommen? Schell: Pilotkunden kommen auch in den Genuss eines privilegierten Pilotservices. Man muss erst die breite Markteinführung abwarten, um ein fundiertes Urteil über BbD fällen zu können. Befürchten Sie, dass BbD nicht stabil läuft? Schell: Nein, aber wir brauchen eine transparente Meinungsbildung. Kunden, die bei Ramp-ups mitmachen, kommen in den Genuss einer bevorzugten Behandlung, eines besonderen Consulting-Service. Es handelt sich bei BbD aber um ein ganz neues Architektur- und Beschaffungsmodell, auf das sich Kunden erst einstellen müssen. Das gilt für den deutschsprachigen Markt in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Wo könnte es mit BbD Probleme geben? Schell: Die Architektur zwischen BbD und anderen SAP-Lösungen muss vereinheitlicht werden, sodass wir vom gleichen Datenmodell reden. Finanzlösungen oder Einkaufsprozesse, die mit einer bestehenden SAP-Architektur verlinkt werden sollen, müssen ihre Datenmodelle verstehen. Das ist jetzt noch nicht der Fall? Schell: Wir hören von unseren Mitgliedern, dass Unzufriedenheit herrscht. Mit den CIOs veranstalten wir Workshops, die genau diese Themen angehen: Wie reduziert man die Komplexität einer Gesamtlösung, die aus mehreren Teilen besteht? Die hohe Nachfrage zeigt ja auch, dass dort ein Bedarf besteht. Ein Grossteil der an uns gerichteten Anfragen zielt in diese Richtung. Unternehmen haben Gelder in eine SAP-Lösung investiert und sind erst einmal daran interessiert, diese Lösung zu stabilisieren. Haben Schweizer Unternehmen bei Ihnen schon wegen BbD angefragt?
Zumbach: Einige Schweizer Unternehmen haben Interesse am Produkt signalisiert, aber ob bis jetzt ein konkretes Projekt aufgegleist wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ist es noch zu früh dafür? In die Schweiz kommt BbD Anfang 2011.
Zumbach: Der Schweizer wartet eher ein bisschen ab, bis er sich dann entschliesst, ein solches Produkt einzuführen. Er wird von den Erfahrungen, die bereits in anderen Ländern gemacht worden sind, profitieren können und sich am Markt orientieren.
Schell: Sie sehen an unserer Reaktion, BbD ist noch nicht das Hot Topic. Unternehmen haben zwei Jahre lang ihre Investitionen zurückgestellt und richten sich jetzt neu auf ihren Markt aus, etwa die Erweiterung in den Osten, die Stabilisierung der europäischen Märkte. Das sind jedoch keine Entscheidungen, die man von heute auf morgen trifft, und die Erfahrung zeigt, dass man nicht unbedingt auf jeden technischen Hype direkt aufspringen muss. Ich betreue den Bereich Branchen und habe bisher noch keine konkrete Anfrage nach BbD von einem Branchenanbieter bekommen. Wir erwarten aber in Zukunft vermehrt Anfragen. Etwa: Wie realisiere ich einen Produktmix mit SAP als Backbone, der mir eine grosse Abdeckung zu einem geringen Preis bietet. BbD erweitert die Möglichkeiten für Unternehmen. SAP hat Sybase vor allem wegen der mobilen Lösungen akquiriert. Welche mobilen Lösungen wären sinnvoll? Was wünschen sich die Mitglieder der DSAG? Schell: Ganz normale Einkaufsprozesse für Mitarbeiter auf Reisen wie die Genehmigung eines Einkaufs, was heute schon funktioniert. Ein anderes typisches Beispiel ist die Spesenabrechnung. Die ganze Business-Analytik wird mobile Lösungen vorantreiben. Einfache administrative Prozesse erleichtern Arbeitsabläufe und werden relativ schnell kommen. Und dafür braucht SAP die Hilfe von Sybase? Schell: Es gibt zwei Gründe für die Akquise. Ein strategischer Grund soll signalisieren: «Wir sind als Unternehmen wieder da.» Der zweite Grund: Wenn SAP bis 2015 die Zahl der Anwender signifikant steigern will, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder entwickelt man die Lösung selbst oder man kauft sie ein und spart sich den Einsatz der eigenen Arbeitskraft. SAP hat sich für den letzteren Weg entschieden. Günter: Dieser Weg ist legitim, solange er nicht die Lösungen gefährdet, die von den Kunden bereits eingesetzt werden. Solange der Bestandsschutz gewahrt bleibt und Produkte nicht doppelt gekauft und lizensiert werden müssen. Schell: SAP hat angekündigt, das Arbeitsmodell von Sybase beibehalten zu wollen. Mitarbeiter sollen in einem Umfeld arbeiten können, in dem sie sich wohlfühlen. Das zeigt ganz klar, dass SAP aus der Vergangenheit gelernt hat. Ein anderer Grund für die Akquise war die superschnelle In-Memory-Technik. SAP hat eine Appliance angekündigt, mit der auch Kunden mit Altsystemen wie R/3 riesige Datenbestände quasi in Echtzeit analysieren können. Schell: In-Memory wird sich durchsetzen, das ist kein Thema. Unternehmen müssen sich aber die Frage stellen: Passt meine bestehende IT-Architektur überhaupt auf diese Zukunftstechnologie? Hasso Plattner hat auf der Sapphire 2010 eine weiche, risikolose Migration von Altsystemen auf In-Memory skizziert. Schell: Wir haben im SAP-Umfeld gelernt, dass nichts ohne Investitionen geht. Viele Unternehmen haben Legacy-Systeme im Einsatz und müssen sich überlegen, wie sie ihre IT auf In-Memory transferieren. Man kann In-Memory nicht auf Knopfdruck direkt umsetzen. Viele Unternehmen müssen zum Beispiel erst einmal auf den Versionsstand ERP 6.0 kommen. Lohnt es sich, auf ERP 6.0 aufzurüsten, um in den Genuss einer schnellen Analytik zu kommen? Diese Überlegungen werden zurzeit angestellt. Ausserdem: Was nützt mir eine schnelle Information zu einem Sales-Datum, wenn ich zwei Wochen brauche, um den Approval-Prozess durchzuboxen. Firmen müssen also ihr ganzes Eco-System umstellen. SAP gibt uns mit In-Memory zwar eine gute Richtung vor. Die Grundstimmung auf der SAP Sapphire war positiv, aber die Kunden haben auch gelernt, verhalten mit derartigen Ankündigungen umzugehen. Für In-Memory und schnelle Analysen in Echtzeit ist Umdenken in den Führungshierarchien zwingend notwendig und das dauert eine Weile. Etwa 2012/2013 werden Sie merken, dass die Unternehmen umgestellt haben.



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