10.04.2013, 11:30 Uhr

Logistik aus der Cloud

In Hamburgs Hafen werden schon heute 9,1 Millionen Container pro Jahr bewegt. Damit kein Verkehrsinfarkt die Wachstumspläne von Europas zweitgrösstem See­hafen durchkreuzt, testen die Hafenbehörden ein Cloud-basiertes Steuerungssystem.
Der Hamburger Hafen testet ein Cloud-basiertes Steuerungssystem
Die Autorin ist Head of Travel & Logistics bei T-Systems Schweiz.
Auf dem 7200 Hektar grossen Hafen­gelände müssen täglich Tausende Container von A nach B, vom Schiff zum Kunden, vom Kunden zum Schiff. In den meisten Fällen per LKW. Bis zu 40000 Trucks mit sechs oder zwölf Meter langen Stahlcontainern auf dem Buckel fahren täglich die grossen Terminals an. Ist das Chassis leer, muss neue Ladung her. Der dafür nötige Auftrag geht seit Neustem per Display bei den Fahrern ein: Auf einem Samsung-Tablet, das in einer Halterung am Cockpit klemmt. Das kleine Gerät ist Endstück einer komplexen, IT-gestützten Verkehrsmanagementlösung auf Private-Cloud-Basis. «SmartPort Logistics», so der Name des Systems, wurde von T-Systems, den Telekom Innovation Laboratories, SAP Research und der Hafengesellschaft Hamburg Port Authority (HPA) gemeinsam entwickelt und wird derzeit mit zwei Speditionen im praktischen Einsatz erprobt.

Fahrerdispo per Tablet

Die Disponenten in der Zentrale haben per GPS die aktuelle Position der Trucks und ihrer Ladung auf dem Schirm und halten über das mobile Internet Kontakt. Die schriftlich abgewickelte Kommunikation mit den Disponenten ist neu. Bis vor Kurzem glich die Verständigung über altertümliche Mikrofone und CB-Funk eher einem Glücksspiel. In den Betriebszentralen der Speditionen mussten sich Disponenten gegenseitig überbrüllen, um in quäkigen, oft von Funk­löchern unterbrochenen Dialogen mit ihren Fahrern zu kommunizieren. «Da verstand man manchmal die langen Zoll- oder Fracht­papiernummern nicht und bekam letztendlich am Terminal keine Ware», erinnert sich Trucker Ismail Devili, der für die Stapelfeldt Transport GmbH auf dem Hamburger Hafen Container transportiert. Seit seine Firma am Pilotprojekt teilnimmt, ist das anders: Die Auftragsbeschreibung per Tablet umfasst sämtliche Informationen darüber, welcher Container mit welcher Fracht von wo abzuholen und wohin zu transportieren ist. Sogar die Einspurung in die richtige Kranbahn am Terminal kann so zugewiesen werden. Durch die Abwicklung per Tablet entfällt für die Fahrer der Gang ins Büro am Terminal, um den administrativen «Papierkram» zu erledigen. Dadurch wird wiederum der Stauraum vor dem Terminal von Trucks entlastet. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Cloud-basierte Telematik
Für Fernfahrer, die von weither auf Hamburg zurollen, haben die Disponenten mit ihrer neuen Logistik- und Kommunikationslösung noch mehr Telematiktricks zu bieten. Von der Zentrale aus können beispielsweise den Fahrern, die aus Richtung Süden den Hafen ansteuern, die jüngsten Meldungen des Verkehrsdienstes übermittelt werden: «Stau A7 Zufahrt Elbtunnel Richtung Norden». Aber auch: «Autohof 1, Currywurst 1.50 Euro, freie Plätze 34». Es ist nicht nur der Gourmettipp, der für Fern-Trucker wertvoll ist, sondern vor allem die Kenntnis von Verkehrsblockaden und freiem Parkraum. Beides kann den auf begrenzter Fläche immer dichteren Hafenverkehr entzerren helfen, dadurch Lieferzeiten verkürzen und den Fahrern viel Stress ersparen. Aus der Flut der ständig aktualisierten Meldungen sollen natürlich nur diejenigen die Fahrer erreichen, die an der aktuellen Position gerade sinnvoll sind – Stichwort «Geofencing». Dringt der Wagen in ein Gebiet mit stufenweise wählbarem Radius ein, werden Informationsschwellen ausgelöst. Die Telematik-Software filtert jeweils nur solche Infos heraus, die auf dem Streckenabschnitt relevant sind. «Wenn ich in A unterwegs bin, brauche ich nicht zu wissen, welche Staus gerade in B sind», erklärt Speditionschef Hans Stapelfeldt, der als Vereinsvorstand der Logistik-Initiative Hamburg an praxistauglichen IT-Lösungen für den Wirtschaftsstandort mitwirkt.

Cloud-basierte Telematik

Die technische Grundlage für Smart Port Logistics bildet eine Kombination der Lösungen TelematicOne der Deutschen Telekom, SAP NetWeaver Cloud von SAP sowie Konzepten zu webbasierten Dienstleistungsmarktplätzen. TelematicOne führt als zentrales Steuerungsportal Frachtinformationen aus unterschied­lichen Telematiksystemen in einer gemein­samen Anwendung zusammen. SAP NetWeaver Cloud stellt die Plattform für die mobilen Logistikdienste und -prozesse bereit. Die übergreifende IT-Plattform wird dabei mit mobilen Applikationen kombiniert. Durch die Echtzeitverkehrsinformationen aus dem Port-Road-Managementsystem der Hamburg Port Authority und die Parkraum­informationen erhalten die Fahrer aktuelle und personalisierte Benachrichtigungen zur Verkehrssituation im und um den Hafen. Gleich­zeitig können die beteiligten Speditionen ihre Transportaufträge in Echtzeit verfolgen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Drei Monate im Feldversuch

Drei Monate im Feldversuch

Ihre Praxistauglichkeit musste die Lösung in einem Feldversuch unter Beweis stellen: In einer dreimonatigen Testphase wurden 30 Lastwagen mit Tablet-PCs ausgerüstet und in das System eingebunden. Die optimierte Kommunikation zwischen Disponent und Fahrer trug dazu bei, die Reaktionszeit auf Verkehrsstörungen, etwa einer Brückensperrung oder einen neu zugewiesenen Haltebereich, deutlich zu reduzieren. Wenn künftig immer mehr Fahrer das System nutzen, können auch Wartezeiten immer mehr verkürzt und Staus im Hafen sowie auf den Zufahrtswegen minimiert werden. In den kommenden Monaten wollen die Projektpartner die gewonnenen Erkenntnisse detailliert auswerten und über die nächsten Schritte entscheiden. Geplant ist die Einbindung weiterer Unternehmen im Hamburger Hafen.

Mit Standortvorteilen punkten

Das Pilotprojekt war allerdings nur der erste Schritt. Hamburgs Hafenbetreiber will künftig einen Service-Marktplatz bieten, in dessen Datenangebote sich mehr und mehr Akteure der Hafenwirtschaft unkompliziert einklinken können. Dazu sollen neben Spediteuren auch Terminalbetreiber, Reeder oder Lagerhäuser gehören, die derzeit noch auf eigene, miteinander inkompatible Datenlösungen setzen. Das gros­se gemeinsame Interesse: Die wachsenden Warenströme im Hafen effektiver steuern, den begrenzten Platz optimal nutzen, Störungen und Verstopfungen auf dem Hafengelände vermeiden. Schon 2011 wurden 132,2 Millionen Tonnen Waren umgeschlagen, und der Hafen will weiter wachsen. Das nutzt dem Hafen als Wirtschaftsunternehmen ebenso wie der Hansestadt als Wirtschaftsmetropole. Hafen­geschäftsführer Jens Meier kennt das Erfolgs­rezept: «Wir haben sehr früh auf moderne IT-Prozesse gesetzt. Nun folgt der konsequente Schritt, eine Plattform für die Integration aller logistikrelevanten Daten und Angebote zu schaffen.» Auf diesem Fundament sind die nächsten Ausbaustufen schon vorstellbar: automatisierte Verspätungsmeldungen, selbsttätige Wareneingangskontrollen bei Kühltransporten, die einfache Anbindung weiterer Telematiksysteme und umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten. Ein Konzept, das im Übrigen auch auf andere Logistikbereiche wie Flughäfen oder Güterbahnhöfe übertragbar ist.
Das Projekt
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- SAP
Eingesetzte Software
- TelematicOne der Deutschen Telekom
- SAP NetWeaver Cloud
- Webbasierte Dienstleistungsmarktplätze
Projektdauer
Start im Juli 2012. Das Pilotprojekt läuft noch mindestens bis Ende des 1. Quartals 2013, danach wird entschieden, wie der künftige Regelbetrieb aussehen wird.


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