Digitalisierung der Vorzeigebetriebe

Papierlose Fracht bei Swissair 

Die Fluggesellschaft Swissair war 1990 ebenfalls in der Software-Entwicklung tätig. Die Informatiker hatten den Auftrag, ein global einsetzbares Kommunikationssystem für die Luftfracht zu entwickeln. Gleichzeitig sollte das proprietäre «Cardio» (Cargo Reservation Information and Handling System) der Alitalia, das seit 1980 im Einsatz stand, abgelöst werden. Im Rahmen eines IATA-Pilotprojekts (International Air Transport Association) wurde gemeinsam mit Schweizer Logistik- und Speditionsunternehmen das «Cargo Community System Switzerland» (CCS-CH) ent­wickelt. Es war einer von zwei Piloten weltweit. In Irland lief parallel die Entwicklung von «Icarus», hinter dem Air Lingus, British Airways, Lufthansa und Ryanair standen.
Die IATA und Swissair hatten das Ziel, der «schwerfälligen und extrem teuren» internationalen Luftfrachtbürokratie auf den Leib zu rücken. Aufgrund der Regularien würde Frachtgut während 85 Prozent der Transportzeit «irgendwo herumstehen», zitierte Computerworld eine Studie der IATA. Und offenbarte weitere Details: Der Papierkram und die damit verbundene Warterei kostete im Durchschnitt 4 Prozent des eigentlichen Wertes der Sendung. Eine Verminderung dieser Kosten im Warenaustausch zwischen Europa und den USA um nur 1 Prozent würde Einsparungen von jährlich 100 Milliarden US-Dollar ermöglichen. Ausserdem seien die Formulare sehr fehleranfällig. So könne jeder Luftfrachtspediteur ein Müsterchen erzählen von Maschinenteilen, die in Bombay statt in Rom gelandet seien. Der Grund war meist einfach: Die Luftfahrt­abkürzungen für Bombay und Rom lauteten «BOM» und «ROM». Dies liesse sich beim x-ten Durchschlag eines Frachtbriefes nicht mehr sicher unterscheiden. 
Swissair legte mit CCS-CH die Grundlagen für die papierlose Luftfrachtabwicklung
Quelle: Computerworld
Mit CCS-CH sollte die nur einmalige Erfassung der Frachtdaten ermöglicht werden. Sie sollten anschliessend von allen Beteiligten jederzeit und online in Echtzeit ab­gerufen werden können. Damit würden die mühsamen Koordinierungsbemühungen per Telefon, Telex oder Telefax zwischen dem Auftraggeber, dem Zoll, der Fluggesellschaft, dem Spediteur etc. überflüssig. Vielmehr «weiss» CCS-CH jederzeit, wo sich die Fracht aktuell befindet und was mit ihr gerade geschieht, frohlockte Computerworld. Die Technologie für diese Meisterleistung hatte Swissair «sorgfältig evaluiert», wie Computerworld schrieb: Zwei Tandem-Minirechner vom Typ «NonStop CLX» plus zugehörige «NonStop SQL»-Datenbanken wurden beschafft. Die Installation der Infrastruktur und die Software-Entwicklung kostete Swissair am Ende rund 5 Millionen Franken. 
Zum Start des Pilotbetriebs, der auf Oktober 1991 geplant war, und ein halbes Jahr später tatsächlich lanciert wurde, beteiligten sich noch British Airways, KLM und Singapur Airlines an dem Projekt. Um im Regelbetrieb die Neutralität der Dienstleitungen gewährleisten zu können, hatte Swissair Ende 1991 die Firma Cargo Switch gegründet. Ab September 1992 ging CCS-CH ans Netz. 
Cargo Switch und die Nachfolgegesellschaften BCE Emergis und Descartes Systems sind mittlerweile Geschichte. Die Protokolle des «Cargo Community System Switzerland» haben die Unternehmen aber überlebt. Erst 2012 wurde «e-freight» in Auftrag gegeben mit dem Ziel, eine flughafenübergreifende und landesweite Datenaustauschplattform für die Luftfracht zu entwickeln. Das Projekt wurde vom Industrieverband IG Air Cargo Switzerland mit finanzieller Unterstützung des Bundesamts für Zivilluftfahrt BAZL lanciert. Zum Start 2017 waren unter anderem der Luftfrachtspediteur Lamprecht Transport und das IT-Unternehmen Sisa Studio Informatica an Bord.



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