Gastbeitrag 31.08.2020, 06:00 Uhr

Nach Projektabschluss: Was ist erlaubt?

Die Regelung der Rechte an vertraulichen Informationen und Arbeitsresultaten ist in vielen IT-Projekten von zentraler Bedeutung. Oftmals versäumen es jedoch die Parteien, die entscheidenden Punkte vertraglich vollständig und klar zu regeln.
Achtung vor diebischen Elstern: Vollständig aufgesetzte Verträge ersparen den Parteien später viel Arbeit, Kopfzerbrechen und auch Geld
(Quelle: Geri Krischker; Keystone/Stefan Gerth)
Der folgende Artikel zeigt, worauf es ankommt und wo die heiklen Punkte sind.
Fast immer geht es bei IT-Projekten auch um das Schaffen und Nutzen von Arbeitsresultaten, denn fast nie beschränken sich die vertraglich vereinbarten Aufgaben des IT-Anbieters auf das blosse Tätigwerden. Diese Unterscheidung – also die reine «Tätigkeit» im Gegensatz zum Liefern eines «Erfolgs» – ist von grundlegender rechtlicher Bedeutung in der IT-Industrie. Wird nur die eigentliche Tätigkeit des Dienstleisters geschuldet, dann gilt Auftragsrecht. Wird hingegen das Liefern eines Arbeitsresultats geschuldet, dann kommen die Bestimmungen des Werkvertrags zum Tragen. In der Praxis sind Mischformen dieser beiden obligationenrechtlichen Vertragstypen die Regel.
In vielen IT-Projekten wird an vorbestehenden Arbeitsresultaten angeknüpft, das heisst, der Anbieter baut auf Dingen auf, die vorgängig und anderweitig (etwa für seine eigenen Zwecke oder in anderen Projekten mit anderen Kunden des Anbieters) entstanden sind. Auf dieser Basis entstehen dann weiterentwickelte Arbeitsergebnisse.
Wem aber gehören solche weiterentwickelten Arbeitsergebnisse? Dem Anbieter, der praktischerweise (und meist auch kosteneinsparend) Vorbestehendes in das neue Projekt einfliessen lässt? Oder dem Kunden, dank dessen Vorgaben Vorbestehendes weiterentwickelt werden kann und der ja auch für das neue Projekt bezahlt? Oder vielleicht gar dem anderen Kunden, der seinerzeit überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hatte, dass das vorbestehende Arbeitsresultat entwickelt wurde? Und wer darf diese weiterentwickelten Arbeitsresultate unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Konditionen nutzen?

Was ist vertraglich zu regeln?

Vertragspartner, die ein Projekt vorausschauend und sorgfältig in Angriff nehmen wollen, sollten diese und andere Fragen unbedingt detailliert in einem Projekt- oder Rahmenvertrag regeln. Zu regeln gilt es dabei u. a. Folgendes:
  • Der Austausch vertraulicher Informationen («Non-Disclosure Agreement», NDA);
  • die Nutzungsrechte an vorbestehenden Immaterialgüterrechten (Urheberrechte, Patente etc.);
  • die Nutzungsrechte an vorbestehenden Arbeitsresultaten, die nicht immaterialgüterrechtlich geschützt sind (also z. B. blosse Ideen, Konzepte oder Algorithmen);
  • die Eigentums- und Nutzungsrechte an Arbeitsresultaten, die im Rahmen des Projekts auf der Grundlage von Vorbestehendem entstehen;
  • die Eigentums- und Nutzungsrechte an Arbeitsresultaten, die im Rahmen des Projekts vollständig neu geschaffen werden.
Gute, vollständig aufgesetzte Verträge ersparen den Parteien später viel Arbeit, Kopfzerbrechen und auch Geld.

Ungenügender Vertrag – was nun?

Was geschieht aber, wenn die Parteien diese Punkte vertraglich nicht, unvollständig oder unklar geregelt haben? Wie kann im IT-Bereich eine Partei ihren Vertragspartner rechtlich daran hindern, ausserhalb des Projekts identische oder ähnliche Produkte zu entwickeln bzw. anzubieten?
Ein Mittel kann zunächst das Urheberrecht sein (also ein Immaterialgüterrecht bzw. Schutzrecht), doch muss derjenige, der Urheberrechtsschutz geltend machen will, aufzeigen, dass es sich vorliegend um eine geistige Schöpfung der Literatur und Kunst mit individuellem Charakter handelt (das heisst um ein «Werk», wobei auch Computerprogramme als Werke gelten). Bei Software oder Plänen für eine Maschine wird dies meist gelingen, bei blossen Ideen, Konzepten oder Algorithmen hingegen nicht.
In solchen Fällen stellt sich dann regelmässig die Frage, ob das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) eingreifen kann. Im UWG hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Nachahmungen grundsätzlich zulässig sein müssen, da sie das Verbreiten von Innovationen fördern und zu sinkenden Preisen führen. Es gilt also zunächst einmal der «Grundsatz der Nachahmungsfreiheit». Allen steht es frei, die Produkte eines anderen (z. B. eines Konkurrenten) nachzuahmen und ebenfalls anzubieten, soweit kein Schutz durch Immaterialgüterrechte besteht. Eine Nachahmung liegt vor, wenn ein Produkt nach einer bestimmten Vorlage mehr oder minder detailgetreu nachgebildet wird, ohne dass diese Vorlage in das Reproduktionsverfahren einbezogen worden ist.
Die Nachahmung basiert damit auf einem gedanklichen Vorgang, bei dem das nachzuahmende Produkt vom Nachahmer analysiert wird, um mithilfe der so gewonnenen Erkenntnisse ein identisches oder ähnliches Produkt zu schaffen. Bei der Nachahmung wird also der geistige Gehalt des nachgeahmten Produkts genutzt.
5 Tipps für IT-Verträge
IT-Verträge sollten folgende Fragen beantworten können, um später Streitfälle zu vermeiden:
  1. Wie erfolgt der Austausch vertraulicher Informationen?
  2. Wer hat Nutzungsrechte an vorbestehenden Immaterialgüterrechten?
  3. Wer hat Nutzungsrechte an vorbestehenden, immaterialgüterrechtlich nicht geschützten Arbeitsresultaten?
  4. Wer hat die Eigentums- und Nutzungsrechte an Arbeitsresultaten, die im Rahmen des Projekts auf der Grundlage von Vorbestehendem entstehen?
  5. Wer hat die Eigentums- und Nutzungsrechte an Arbeitsresultaten, die im Rahmen des Projekts vollständig neu geschaffen werden?

Wann ist ein Nachahmen nicht okay?

Das Verwenden urheberrechtlich nicht geschützter («gemeinfreier») Werke kann gemäss UWG unlauter sein. Sanktioniert wird die unlautere Einsparung des Entwicklungs- und Herstellungsaufwands. Gemäss Artikel 5 Absätze a-c des UWG über die Verwertung fremder Leistung handelt unlauter, wer:
  • ein ihm anvertrautes Arbeitsergebnis wie Offerten, Berechnungen oder Pläne unbefugt verwertet;
  • ein Arbeitsergebnis eines Dritten wie Offerten, Berechnungen oder Pläne verwertet, obwohl er wissen muss, dass es ihm unbefugterweise überlassen oder zugänglich gemacht worden ist;
  • das marktreife Arbeitsergebnis eines andern ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt und verwertet.
Das Obergericht Zürich hat vor ein paar Jahren entschieden, konstruktiv-technische Ideen an einer Tunnelkonstruktion seien zwar nicht urheberrechtlich geschützt, die Übernahme solcher  «Arbeitsergebnisse» sei im konkreten Fall aber unlauter. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelte jedes Verhalten als unlauter, das aus objektiver Sicht geeignet ist, das Spiel des Wettbewerbs oder das Funktionieren des Markts zu beeinflussen.

Sklavisches Nachahmen und schmarotzerisches Anlehnen unzulässig

Gemäss dem Schweizerischen Bundesgericht darf man aus fremder Mühe und Arbeit Nutzen ziehen, wenn man auf andere Weise verhindert, dass der Eindruck entstehen könnte, es handle sich um das gleiche Produkt.
Verboten sind bloss die schmarotzerische Ausbeutung und die sklavische Nachahmung. Ein systematisches und damit unlauteres Vorgehen liegt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann vor, wenn der Nachahmer eine Reihe von Einzelheiten nachahmt, wodurch bei mosaikartiger Gesamtbetrachtung eine Verwechslungsgefahr entsteht. Nach der gängigen Gerichtspraxis ist nicht der gleichzeitige Vergleich, sondern das Erinnerungsbild massgebend.
Unlauterer Wettbewerb setzt weder bösen Glauben noch Verschulden, sondern bloss ein objektiv gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten voraus.

Fazit

Beim Nachahmen von Arbeitsresultaten gilt der folgende Grundsatz «Inspiration ja, Schmarotzertum nein». Bei IT-Projekten sollte aber die Frage, welches Nachahmen beziehungsweise welche Imitation im Einzelfall zulässig ist und welche nicht, auf keinen Fall später dem Richter überlassen werden.
Der Autor
Alesch Staehelin
swissICT
Alesch Staehelin ist Mitglied der Rechtskommission von swissICT. Der Rechtsanwalt ist Partner für IT- und Datenrecht bei TIMES Attorneys in Zürich. Die Rechtskommission von swissICT berichtet in der Kolumne «Recht & IT» über aktuelle juristische Themen im digitalen Bereich.
www.swissict.ch


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