ETH Zürich 28.04.2022, 13:52 Uhr

Dank KI: Automatisierte Analyse des Tierverhaltens

Forschende entwickelten eine neue Methode, die mit künstlicher Intelligenz das Verhalten von Tieren auswertet. Damit sind in der Verhaltensforschung detailliertere Untersuchungen und solche über lange Zeiträume möglich. Bereits getestet wird das Verfahren im Zoo Zürich.
Mit KI soll sich die Verhaltensforschung von Tieren automatisieren und standardisieren lassen
(Quelle: ETHZ)
Für Verhaltensstudien mit Tieren müssen Wissenschaftler:innen oft grosse Mengen von Videoaufzeichnungen analysieren. Klassischerweise sichten sie dabei Aufnahmen mit einer Gesamtdauer von vielen Wochen und Monaten und führen über das beobachtete Verhalten Protokoll.
Forschende an der ETH Zürich und der Universität Zürich haben die Analyse solcher Aufzeichnungen nun automatisiert. Ein von ihnen entwickelter Bildanalyse-​Algorithmus nutzt computerbasiertes Sehen und maschinelles Lernen. Der Algorithmus kann individuelle Tiere unterscheiden sowie Verhaltensweisen erkennen, die zum Beispiel auf Neugierde, Angst oder auf harmonische Interaktionen mit Artgenossen hindeuten.
Videoaufnahmen von Tieren – auch äusserst umfangreiche – können damit quasi auf Knopfdruck automatisch ausgewertet werden. Ein weiterer Vorteil ist die Reproduzierbarkeit: Wenn unterschiedliche Forschungsgruppen ihre Videodaten mit demselben Algorithmus auswerten, sind ihre Arbeiten besser vergleichbar, weil immer die gleichen Massstäbe angelegt werden.
Ausserdem ist der neue Algorithmus so empfindlich, dass auch subtile Verhaltensänderungen erkannt werden, die sich nur sehr langsam und über eine lange Zeitspanne entwickeln. «Für das menschliche Auge hingegen sind solche Veränderungen oft schwierig zu erkennen», sagt Markus Marks. Er ist Postdoc in der Gruppe von Mehmet Fatih Yanik, Professor für Neurotechnologie, und Erstautor der Forschungsarbeit, die im Fachmagazin «Nature Machine Intelligence» publiziert worden ist.

Für alle Tierarten geeignet

Die Wissenschaftler trainierten den Machine-​Learning-Algorithmus mit Videoaufnahmen aus Tierhaltungen von Mäusen und Makaken. Die Methode eignet sich jedoch für alle Tierarten, wie die Forschenden betonen. In der Wissenschaftsgemeinschaft hat sich die neue Methode bereits herumgesprochen. Die Forschenden stellen den Algorithmus auf einer öffentlichen Plattform anderen Forschenden zur Verfügung, und zahlreiche Kollegen auf der ganzen Welt nutzen ihn bereits. «Insbesondere unter Primatenforschenden ist das Interesse gross. So nutzt auch eine Gruppe, welche wildlebende Schimpansen in Uganda erforscht, unsere Technik», sagt Marks.
Dies dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass mit dieser Methode auch komplexes Sozialverhalten in einer Tiergemeinschaft ausgewertet werden kann, etwa welches Tier wann das Fell eines anderen Gruppenmitglieds pflegt. «Gegenüber bisherigen auf maschinellem Lernen basierenden Verhaltensanalysealgorithmen hat unsere Methode gerade bei der Analyse des Sozialverhaltens in komplexen Settings grosse Vorteile», sagt Marks.

Tierhaltung verbessern

Ausserdem kann die Methode zur Verbesserung der Tierhaltung eingesetzt werden. Es ist damit möglich, Tiere rund um die Uhr zu überwachen und automatisch abnormales Verhalten zu erkennen. Ungünstiges Sozialverhalten oder Erkrankungen können so frühzeitig erkannt werden, und Tierpflegende können rasch eingreifen und die Situation für die Tiere verbessern.
Die Forschenden unterhalten derzeit auch eine Zusammenarbeit mit dem Zoo Zürich, der seine Tierhaltung weiter verbessern und automatisierte Verhaltensforschung betreiben möchte. Für eine kürzlich veröffentlichten Studie zum Schlafverhalten von Elefanten mussten die Zooforschenden beispielsweise Videoaufnahmen manuell auswerten. Sie erhoffen sich von der neuen Methode, solche Arbeiten künftig automatisieren zu können.
Zum Einsatz kommt die Methode schliesslich in der biologischen, neurobiologischen und medizinischen Grundlagenforschung. «Unsere Methode kann bereits sehr geringfügige Änderungen im Verhalten von Versuchstieren erkennen, zum Beispiel Anzeichen von Stress, Angst und Unwohlsein», sagt ETH-​Professor Yanik. «Sie hilft somit, die Qualität von Studien mit Tieren zu erhöhen, die Zahl von Tieren pro Versuch zu reduzieren und die Tiere nicht übermässig zu belasten.» Er selbst plant, die Methode in seiner neurobiologischen Forschung im Bereich des Imitationslernens zu verwenden.

Autor(in) Fabio Bergamin, ETH-News



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