3D-Drucker 07.12.2017, 13:21 Uhr

Innovation ist ein Balanceakt

Alle reden von additiver und digitaler Fertigung. Kommt in Zukunft alles aus dem 3D-Drucker? Mirko Meboldt, Fachmann für Produktentwicklung, diskutiert mit Managementexperte Torbjörn Netland über Potenziale und Realitäten neuer Fertigungstechnologien.
(Quelle: Tailored Fits)
Haben Sie ein Objekt aus dem 3D-Drucker zuhause?
Mirko Meboldt:
Ich besitze einen Aufsatz für ein Fräswerkzeug. Das ist günstiger als Kaufen und ich kann es auf meinen Anwendungsfall konfigurieren. 
Torbjörn Netland: Bei mir gibt es eine Spielzeugeisenbahnschiene. Das zeigt vielleicht, wo 3D-Druck heutzutage steht: im Kinderzimmer. Es sind noch grösstenteils Spielereien, Kleinteile ohne grossen Wert.
Spielereien? Enthusiasten bezeichnen die additive Fertigung als disruptive Technologie, die alles ändert…
Meboldt: Die Situation ist ziemlich absurd. Ich glaube, das gab es noch nie, dass eine Produktionstechnologie zeitgleich im Kinderzimmer und in Unternehmen auf Vorstandsebene eingeführt worden ist. Es gibt keine Technologie, die so masslos unter- wie überschätzt wird.
Woran liegt das?
Netland: Oft machen sich die Leute falsche Vorstellungen. Man kann ja heute für wenige hundert Franken einen 3D-Drucker kaufen. Aber solche Geräte können nur Spielzeuge drucken. Für die Produktion in einem Unternehmen sind sie ungeeignet. 
Meboldt: Es gibt nicht «den» 3D-Druck. Wir müssen über die ganze Bandbreite der additiven, also schichtbasierten Produktionsverfahren sprechen. Diese bilden eine ganze Verfahrensklasse, die aus über zwei Dutzend Prozesstechnologien besteht. Ein ganzer Kosmos mit unterschiedlichen Eigenschaften und Werkstoffen.
Mirko Meboldt (links) ist Professor für Produktentwicklung und Konstruktion, Torbjörn Netland ist Assistenzprofessor für Produktions- und Operations-Management
Quelle: ETH Zürich/Giulia Marthaler
Was lässt sich denn alles machen?
Meboldt: Heutzutage gibt es 3D-Drucker für Keramik, Metall, Kunststoff, Wachs, Gips, Sand, Beton und in allen Grössenskalen: Ich kann Figuren drucken, die so klein sind, dass sie in ein Nadelöhr passen, und andererseits kann ich die Technologie zum Druck eines Gebäudes nutzen. Eine Technologie also, die in sehr vielen Anwendungsfeldern verfügbar ist, selbst in der Medizin, etwa um künstliche Gelenke oder Gewebeersatz und Transplantate herzustellen. Es ist ein riesiger Verfahrenskosmos, der viele Leute auf den Plan ruft.
Also doch eine disruptive Technologie?
Meboldt: Bei neuen Technologien geht die Vision immer mit einem durch. Ich würde sagen: Die Technologie an sich ist nicht disruptiv. Die Disruption liegt im Anwendungsfall, nämlich dort, wo ich das Verfahren in einem Wertschöpfungskontext nutze und einen Mehrwert für den Kunden schaffe oder günstiger produzieren kann.


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