Praxis 16.06.2015, 11:28 Uhr

Der Umgang mit «Digital Natives» als Prüfstein für die Unternehmenskultur

Smartphones, Internet der Dinge und Social Media verändern die Märkte. Junge Firmen entwickeln in kurzer Zeit neue Dienstleistungen und bedrohen damit etablierte Anbieter. Der digitale Wandel bietet auch ihnen grosse Chancen. Dazu müssen sie agil und schnell werden.
Uber stellt die Taxibranche auf den Kopf; und zwar mit einer Dienstleistung, die es schon lange gibt: Man bringt Fahrgäste gegen Bezahlung von einem Ort zum anderen. Neu ist hingegen das Geschäftsmodell: Über eine App vermittelt Uber private Fahrer; damit kostet der Dienst halb so viel wie eine konventionelle Taxifahrt. Rechtlich bewegt sich Uber zwar im Graubereich, aber das Beispiel zeigt, welche Chancen der digitaleWandel bietet. Wer Internet, Smartphones oder Social Media nutzt, kann in kurzer Zeit und ohne grosse Investitionen neue Angebote auf den Markt bringen und damit etablierten Unternehmen ihre Position streitig machen. So ist im Finanzbereich zum Beispiel Lendico dabei, sich als Konkurrent von Kreditinstituten zu etablieren. Das deutsche Unternehmen wirbt mit dem Slogan «Geld braucht keine Bank» und verbindet private Kreditnehmer mit Anlegern über das Internet. Die Aussage «Wer sich nicht mit dem digitalen Wandel auseinandersetzt, ist übermorgen tot» mag provokant erscheinen. Sie dürfte aber in etlichen Fällen zutreffen. Denn die Kunden von heute möchten jederzeit und von überall her ihren Kontostand abfragen, im Zug Kleider bestellen oder Tickets per SMS reservieren. Dabei erwarten sie einen Topservice. Um vorne mit dabei zu sein, müssen die Unternehmen auf allen Kanälen ein attraktives Kundenerlebnis bieten; das Stichwort heisst Multi-Channel-Lösungen mit hohem Komfort. Manche Branchenführer machen es vor: Die Kunden von Swisscom beispielsweise können per App oder Computer ihre Abos selber verwalten und jederzeit den Stand der Kosten einsehen. Online- und Offlinekanäle verschmelzen. Der Kunde hat überall die gleichen Möglichkeiten: auf dem Handy oder Tablet, am Computer, im Shop und im Callcenter.

Roadmap in die digitale Welt

So gross die Chancen sind, so gross sind auch die Herausforderungen. Wer in die digitale Welt seiner Kunden eintauchen will, sollte den Wandel sorgfältig planen und eine Roadmap erarbeiten. An erster Stelle steht dabei eine Standortbestimmung: Welche Chancen bieten sich uns? Welche neuen Dienstleistungen könnten unsere Marktstellung gefährden? Das Ziel besteht darin, eine hohe innere Handlungsbereitschaft zu erreichen. Das Unternehmen soll fähig werden, in kurzer Zeit innovative Dienstleistungen oder neue Geschäftsmodelle auszurollen. Damit sind Veränderungen verbunden, die das gesamte Unternehmen betreffen. Die Mitarbeitenden müssen umdenken und lernen, mit den sogenannten «Digital Natives» umzugehen; eine andere Unternehmenskultur, neue Prozesse und Infrastruktur oder sogar andere Organisationsstrukturen wie die Ausgründung von Startups sind gefragt. «Altlasten» sind konsequent infrage zu stellen und abzubauen. Denn die Märkte bewegen sich schnell und die Innovationszyklen werden immer kürzer.

Die Trümpfe der Etablierten

Change-Prozesse brauchen Zeit, doch gerade diese fehlt. Das ist eine der grössten Herausforderungen für etablierte Unternehmen. Junge Firmen sind in der digitalen Welt entstanden, ihre Strukturen sind per se auf Agilität und Schnelligkeit ausgelegt. Doch etablierte Unternehmen haben auch Vorteile gegenüber Startups: Dank ihrer langjährigen Erfahrung kennen sie ihre Märkte und Kunden; sie haben schon etliche Krisen bewältigt. Entscheidend ist, dass das Management die Chancen rechtzeitig erkennt und die digitale Strategie gezielt umsetzt. Dass dies gelingen kann, zeigt die Automobilbranche: ihr Geschäftsmodell ist seit 130 Jahren, Autos zu verkaufen. Doch heute braucht es intelligente Mobilitätskonzepte und Studien zeigen, dass der Traum vom eigenen Auto an Bedeutung verliert. Konzerne wie BMW oder Daimlernutzen diese Entwicklung als Chance. Anstatt nur Fahrzeuge zu verkaufen, bieten sie zusätzlich ein Pay-per-Use-Modell. Der Kunde bucht den gewünschten Wagen per Internet oder App. Damit lässt sich dann auch das Fahrzeug öffnen. So schaffen die Anbieter ein neues Kundenerlebnis. Der Kunde fährt verschiedene Modelle seines Lieblingsherstellers, den Kombi beim Einkauf und den schnittigen Sportwagen bei der Spritzfahrt am Sonntag; eine Dienstleistung, die dem heutigen Bedürfnis nach Individualität und Flexibilität entspricht. Das Beispiel zeigt: Der digitale Wandel bietet auch etablierten Unternehmen grosse Chancen. Risiken birgt er für diejenigen, die ihn verschlafen. Mehr Artikel von Thomas Memmel Der Artikel erschien auch in der NZZ-Sonderausgabe zum Swiss Economic Forum am 3. Juni 2015. 


Das könnte Sie auch interessieren