Praxis
23.03.2015, 09:00 Uhr
Das neue Denken in Wirkungsbeziehungen - die Bandbreitenplanung ist im Kommen
Es tut sich gerade einiges in der Unternehmensplanung. Ausgehend von der Treiberorientierung kommen neue Denkansätze auf, die sich abseits der reinen Finanzorientierung auf Wirkungsbeziehungen und Abhängigkeiten konzentrieren.
Beitrag direkt im pmOne-Blog lesen Insbesondere die Bandbreitenplanung eröffnet den Unternehmen ganz neue Perspektiven, weiss pmOne-Planungsexperte Prof. Dr. Karsten Oehler. Im ersten Teil unseres Interviews ordnet er die Verschiebung hin zu einem längeren Planungshorizont ein. Als Dozent für Internes Rechnungswesen und Controlling sowie als Berater für Corporate Performance Management Lösungen stecken Sie sowohl theoretisch als auch praktisch tief im Thema Unternehmensplanung. Was gibt es hier Neues zu berichten?
Erwähnenswert ist auf jeden Fall die Treiberorientierung. Das ist zwar kein wirklich neues Thema – es kommt seit 20, 25 Jahren immer mal wieder in verschiedenen Ausprägungen auf – aber es ist aus der Versenkung zurückgekehrt und in den Unternehmen angekommen. Im Gegensatz zum klassischen, auf Konten oder Kostenarten basierten Ansatz geht es bei der Treiberorientierung um das Denken und Arbeiten in Einflussfaktoren, also um Ursache-Wirkungsbeziehungen. Ein kleines Beispiel: Der Umsatz wird nicht direkt geplant, sondern in Preis und Absatz aufgelöst, natürlich unter Berücksichtigung der Abhängigkeiten zwischen beiden Faktoren. Dies kann dann noch weiter in die verschiedenen Absatzarten Neugeschäft und Bestandsgeschäft aufgesplittet werden. Bereits mit dieser Definition eines kleinen Treiberbaums ist es möglich, sich stärker auf die wesentlichen Faktoren zu fokussieren. Und ist der Absatz erst so geplant, lassen sich auch die Vertriebskosten besser planen, wenn beispielsweise das Neugeschäft andere Kosten „treibt“ als die Bestandskundenakquise. Auf diese Weise können diverse Abhängigkeiten abgeleitet und in einer Baumstruktur hinterlegt werden. Weiterer Pluspunkt: Unternehmen können auf dieser Basis auch entsprechende What-If-Szenarien aufbauen und simulieren – ein Aspekt, der momentan ebenfalls intensiv diskutiert wird. Und damit ist dann zugleich der Grundstein für ein besseres Planungssystem gelegt. Sprechen wir hier von einem ganz neuen Denkansatz in der Planung?
Ja und nein. Treibermodellierung gibt es schon lange, aber in der Konsequenz wird es noch nicht so lange umgesetzt. Es geht darum, sich von der Finanzperspektive weg hin zu einem Denken in Wirkungsbeziehungen zu entwickeln und Abhängigkeiten zu modellieren. Daneben wirken endogene Faktoren auf die Planungsresultate. Der klassische Planungsansatz, bei dem die angestrebten Ziele in eindimensionale Zahlen und bestenfalls noch in Massnahmen gegossen werden, entspricht nicht der Realität. Schliesslich gibt es immer mehrere Möglichkeiten, und auf dem Weg zum Ziel kann eine ganze Menge schief gehen. Das können normale Unwägbarkeiten sein, beispielsweise dass ein grosser Auftrag nicht kommt. Es können aber auch kleinere Katastrophen sein, etwa, dass wichtige Mitarbeiter kündigen oder dass es einen grösseren Zahlungsausfall gibt. Um all das zusammenzubringen und besser abschätzen zu können, gibt es die Bandbreitenplanung. Die lief früher so ab, dass aus dem Worst und Best Case ein Szenario aufgebaut wurde. Das ist eine sehr einfache Art der Bandbreitenplanung. Allerdings kann es durchaus sehr aufwändig sein, sämtliche Finanzpositionen mit einer Bandbreite zu planen. In der klassischen finanzorientierten Planung hat das nicht gut funktioniert. Mit Treibern hingegen geht es deutlich besser, weil es genügt, sich auf wenige Basisgrössen zu konzentrieren. Also sind Treiber die Voraussetzung für effiziente Simulation und Bandbreitenplanung. Aber was haben die Unternehmen davon?
Bandbreitenplanung ist ein Wunsch, den viele Unternehmen hegen. Zugleich haben sie sich bislang vor dem Aufwand gescheut, neben der finanzorientierten Planung und Budgetierung auch noch pro Finanzposition Einflussfaktoren und Risiken zu planen. Durch die Treiberorientierung ergeben sich hier ganz neue Möglichkeiten. Denn wenn ich mein Geschäft mit den Wirkungsabhängigkeiten modelliert habe, kann ich eine ganze Menge Automatismen nutzen. Bandbreitenplanung heisst im Grunde genommen, in Chancen und Risiken zu denken und diese mit Wirkungsketten zu verzahnen. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, Bandbreiten nicht nur händisch einzugeben, sondern sie ermitteln zu lassen. Auch können auf dieser Grundlage bestimmte Szenarien durchgespielt werden. Das entspricht denn auch dem eigentlichen Verständnis von Bandbreitenplanung viel eher als die bislang gängige Methode, bei der jede einzelne Finanzposition mit einer Bandbreite versehen und danach alles addiert wird. Was ändert sich durch die Bandbreitenplanung?
Ein ganz wesentlicher Effekt ist, dass die Unternehmen damit von einer kurzfristigen Betrachtung hin zu einer mittelfristigen bis langfristigen Planung gelangen. So zum Beispiel auch ein grosser Automobilhersteller, der eine auf 15 Jahre ausgelegte Absatz-, Umsatz- und Gewinnplanung macht, die inzwischen einen deutlich höheren Stellenwert erlangt hat als in der Vergangenheit. Natürlich sind 15 Jahre eine lange Zeitspanne, allerdings geht es hier auch um riesige Investitionen. Nehmen wir das Flaggschiff, bei dem eine Modellreihe acht bis zehn Jahre läuft. Das bedeutet, es muss jetzt schon das Nachfolgemodell des Nachfolgers des aktuellen Modells eingeplant werden – eine grosse Herausforderung. Hier mit Bandbreiten zu arbeiten, in die Markttrends miteinfliessen, ist aber zugleich eine Riesenchance, um mehr Flexibilität zu erlangen. Und das ist schliesslich der Sinn der Planung: Sie dient der Koordination und hat das Ziel, Flexibilitätspotenziale aufzubauen, so dass die Unternehmen auch auf unvorhersehbare Ereignisse schnell reagieren können. Gerade bei der Mittelfrist- und Langfristplanung ist das hochgradig sinnvoll. Insofern ist die deutliche Verschiebung hin zu einem längeren Planungshorizont aus Unternehmenssicht sehr begrüssenswert. Wie sieht es in der Praxis aus? Welche Voraussetzungen müssen die Unternehmen erfüllen?
Bislang sind es noch relativ wenige Unternehmen, die Bandbreitenplanung praktizieren. Und selbst dann handelt es sich oft nur um zaghafte Versuche. Wobei die Einstiegshürden gar nicht so hoch sind, wie man zunächst vermuten könnte. Simulation und Treiberorientierung sind zwar wichtige Voraussetzungen, aber es ist gar nicht erforderlich, diese komplett im Unternehmen auszurollen. Es muss nicht jede Abhängigkeit hinterlegt sein. Vielmehr reicht es für die Mittelfristplanung aus, zunächst einmal sehr grobe Zusammenhänge zu modellieren. Beispielsweise kann man aus der Einstellung neuer Mitarbeiter aufgrund von Ist-Daten eine Menge an Folgekosten ableiten wie Arbeitsplatzkosten, Reisekosten oder Firmenwagen. Das lässt sich recht pauschal in die Mittelfristplanung integrieren und ist vollkommen ausreichend für eine Simulation. Im Prinzip funktioniert es sogar, wenn man sich auf die GuV-Positionen beschränkt. Um bei dem Beispiel der Neueinstellungen zu bleiben: Wenn der Headcount um 25 Prozent erhöht wird, welche Kostenwirkungen ergeben sich daraus auf die GuV? Damit wären bereits ausreichende Treiberabhängigkeiten modelliert, um auch simulieren zu können. Auch hier genügt es vollauf, wenige Szenarien durchzurechnen und die Konsequenzen aufzuzeigen. Auf diese Weise gelangt man schon zu den Bandbreiten und kann erkennen, in welchem Korridor sich die Planung befindet. Selbst die Unternehmen, die das moderat praktizieren, haben so bereits die ersten verwertbaren Ergebnisse erzielen können. Sie profitieren davon, sich gegen den Worst Case abzusichern und beim Best Case Überlegungen anstellen zu können, wie sich eventuelle Kapazitätsengpässe bewältigen lassen. Handelt es sich bei der Bandbreitenplanung um einen generellen Trend?
Absolut. Es ist festzustellen, dass die Mittelfristplanung viel stärker in den Fokus der Unternehmen rückt, während das Interesse an der operativen Planung nachlässt. Ein radikaler Ansatz, sich nicht mehr mit Budgetierung zu beschäftigen – Stichwort Beyond Budgeting – hat sich als wenig praxistauglich erwiesen. Die Unternehmen wissen sehr wohl, dass sie eine Budgetierung brauchen. Die Frage ist nur, welcher Aufwand dafür notwendig und gerechtfertigt ist und ob das Thema zugunsten eines verbesserten Forecasts bzw. einer verbesserten Mittelfrist- und Langfristplanung in den Hintergrund treten kann. Viele Unternehmen gehen genau diesen Weg. Ein gutes Beispiel ist der Henkel-Konzern, der die klassische Budgetierung radikal zurückgefahren hat und einen wesentlich grösseren Fokus auf die Mittelfristplanung legt. Im zweiten Teil des Interviews geht es darum, wie die IT helfen kann, diese neuen Planungsansätze voranzutreiben und wie die Corporate Performance Management-Lösung Tagetik die Unternehmen unterstützt.