CO₂-Footprint 19.06.2023, 06:15 Uhr

Wie grün ist grün?

Netto-Null ist das Schlagwort der Stunde. Unternehmen setzen auf Nachhaltigkeit. Doch wie grün sind die Versprechen tatsächlich? Aussendarstellung und Realität müssen sich decken. Nicht erstaunlich, dass Unternehmen vermehrt auf Berechnungsmodelle setzen.
Michele Savino begleitet als Business ­Development Manager ­Unternehmen im digitalen Innovationsprozess.
(Quelle: Swisscom)
Unternehmen müssen ihr grünes Image mit Fakten hinterlegen. Ab Anfang 2024 ist der daten­basierte Nachweis des CO₂-Fussabdrucks für Firmen ab 500 Mitarbeitenden gesetzliche Pflicht – inklusive der Emissionen der Zulieferer. Das wirkt. Die Swiss-IT-Studie zeigt, dass bereits knapp ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen auf Berechnungsmodelle setzt, um ihren CO₂-Footprint auszuweisen. Im Vorjahr waren es erst 13 Prozent. Michele Savino, Business Developer Data Driven Sustainability bei Swisscom, ordnet die Resultate der Swiss-IT-Studie ein. Er zeigt auf, wo Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null stehen und was es braucht, damit die Schweizer Wirtschaft noch mehr CO₂ einsparen kann.
Sara Wyss: Wo stehen Schweizer Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null?
Michele Savino: In den letzten zwei Jahren ging ein drastischer Ruck durch die Schweizer Unternehmenslandschaft. Immer mehr Firmen beschäftigen sich mit dem Thema, setzen sich konkrete Klimaziele gemäss der Science Based Targets Initiative (SBTi) und erstellen jährlich ihren CO₂-Fussabdruck. Auch die Swiss-IT-Studie zeigt, dass im Vergleich zum Vorjahr (2022: 61 %) deutlich weniger Unternehmen ihren CO₂-Fussabdruck gar nicht messen (2023: 36 %).
Wie ermitteln Sie den CO₂-Fussabdruck/die Klima­belastung in der IT (ICT) Ihres Unternehmens?
Quelle: Swiss IT
Wyss: Engagieren sich auch KMU?
Savino: Ja, definitiv. Denn der Druck nimmt zu: Kunden fordern Transparenz und Nachhaltigkeit ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern. Als Lieferanten grosser Unternehmen sind zudem auch KMU vermehrt gefordert, ihre CO₂-Emissionen auszuweisen. Und um junge Talente anzuziehen, ist es für jede Firma zentral, ein nachhaltiges Image zu pflegen.
“Digitalisierung und Data Driven Business sind Schlüsselelemente auf dem Weg zur Klimaneutralität„
Michele Savino
Wyss: Wo suchen Unternehmen Unterstützung?
Savino: Eine der grössten Herausforderungen für Unternehmen ist die Erstellung der Klimabilanz. Sie ist die Basis, um überhaupt Klimaziele zu definieren. Dabei und auch bei der Umsetzung von Massnahmen wünschen Unternehmen Unterstützung. Ebenfalls ist Beratung gefragt, damit gesetzliche Vorgaben auch tatsächlich eingehalten werden.
Wyss: Was sind die Voraussetzungen, um eine Klimabilanz zu erstellen?
Savino: Eine CO₂-Bilanz erfordert Daten zur Menge und der Art der eingesetzten Energieformen und Materialien, so beispielsweise zu Brenn- und Treibstoffen, Stromverbrauch, Geschäftsreisen oder Papierverbrauch. Oft werden diese Daten gar nicht erhoben oder sie werden dezentral im Unternehmen abgelegt. Sie sind aber eine zentrale Basis, um Muster im Energieverbrauch zu erkennen, Einsparpotenzial zu identifizieren und nachhaltige Lösungen umzusetzen. Dies erfordert die Dokumentation auf einer zentralen Plattform. Digitalisierung und Data Driven Business sind also Schlüsselelemente auf dem Weg zur Klimaneutralität.
So engagiert sich Swisscom für Nachhaltigkeit
Swisscom wurde mehrfach als nachhaltigstes Telko der Welt ausgezeichnet. Bis 2025 soll die ganze ­Wertschöpfungskette klimaneutral sein. Gemeinsam mit Kunden will Swisscom zudem jährlich 1 Million Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen. Dies entspricht rund 2 Prozent der Treibhausgasemissionen der Schweiz. Im Fokus stehen dabei virtuelle Konferenzen, Cloud-Lösungen aus energieeffizienten Rechenzentren, das Optimieren von Fahrzeugflotten und die Steuerung von Bürohäusern und Stromnetzen. Swisscom ist ­zudem Initiatorin der Swiss Climate Challenge.
Wyss: Wie lassen sich die Daten erheben?
Savino: Daten sollten wenn immer möglich effizient und medienbruchfrei erhoben werden. Die vernetzte Welt und der Erfolg des Internet of Things (IoT) wird die Erhebung relevanter Daten mittels Sensoren etablieren. 
Wyss: Nun können nicht sämtliche relevanten Daten erhoben werden. Deshalb braucht es Berechnungs­modelle. Welches Ziel verfolgen diese?
Savino: Das ist so. Daten werden teilweise gemessen und teilweise geschätzt. Berechnungsmodelle dienen dazu, die Realität möglichst genau abzubilden. So werden die Emissionen von bestimmten Prozessen oder Produkten berechnet. Und es werden Aspekte abgebildet, die sonst nicht sichtbar wären, zum Beispiel CO₂-Ausstoss, Energiebedarf oder Stoffströme.
Wyss: Wie lassen sich aus den Resultaten Massnahmen ableiten?
Savino: Die Berechnungsmodelle zeigen auf, wo die grössten Hebel sind für die Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz. So können Massnahmen definiert werden, die am meisten Wirkung entfalten.
Wyss: Welche Rolle spielt ICT zur Reduktion von CO₂?
Savino: Dank ICT lässt sich einerseits CO₂ einsparen, zum Beispiel indem dank Work Smart die Mobilität reduziert oder mittels IoT-Technologien Heizungen automatisiert gesteuert und optimiert werden. ICT-Lösungen ermöglichen aber auch, Daten zu sammeln, etwa von Gebäuden oder Fahrzeugen. Software-Lösungen helfen Unter­nehmen, den CO₂-Fussabdruck automatisiert zu messen. Berechnungsmodelle erlauben es, Daten zu verarbeiten und als Grundlage für datenbasierte Entscheidungen zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel um Klimaziele und Reduktionsmassnahmen zu definieren. ICT hilft also, das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu überwachen und je nach Erfolg die Massnahmen zu justieren.
In welchen Bereichen können Sie sich vorstellen, mithilfe von IT(ICT)-Lösungen den CO₂-Fussabdruck in Ihrem Unternehmen zu reduzieren?
Quelle: Swiss IT
Wyss: Was braucht es, damit die Wirtschaft noch mehr CO₂ einsparen kann?
Savino: Wie eingangs erwähnt, erstellen immer mehr Unternehmen eine Klimabilanz oder definieren gar Reduktionsziele. Berechnungsmodelle werden hier unterstützen, noch verstärkt in die Umsetzung wirksamer Reduktionsmassnahmen zu gehen. Neben den vom Unternehmen direkt und indirekt verursachten Emissionen, etwa durch Geschäftsfahrzeuge oder eingekauften Strom, ist als Nächstes die Integration der Wertschöpfungskette gefragt. Das heisst der Einkauf von Rohstoffen und Produkten, Transport, Distribution, Geschäftsreisen, Arbeitsweg der Mitarbeitenden und so weiter.
Wyss: Und was ist die mittelfristige Vision auf dem Weg zu Netto-Null?
Savino: Wir verfolgen die Idee eines digitalen Marktplatzes für Reduktionsmassnahmen in der Schweiz. Dabei werden Daten aus den grössten Emissionstreibern, insbesondere Gebäuden, Lieferketten und Mobilität, effizient und frei von Medienbrüchen über Unternehmen hinweg ausgetauscht. So können zum Beispiel einem Unternehmen mit mehreren Standorten anhand der Analyse der Mitarbeitermobilität und der Emissionen in bestehenden Gebäuden proaktiv neue Standorte vorgeschlagen werden. Ein derartiger Marktplatz kann nicht von Swisscom allein umgesetzt werden. Er erfordert ein nachhaltiges und digitales Ökosystem. Als Basis muss zudem die Vernetzung mittels IoT und die digitale Abbildung von Objekten mittels Digital Twins vorangetrieben werden.
Machen Sie den Netto-Null-Maturitäts-Check
Swisscom unterstützt Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null: mittels CO₂-Bilanzierung, strategischer Klimaberatung sowie Lösungen zum Reduzieren und Kompensieren. Die Beratung richtet sich dabei nach der Netto-Null-Maturität des jeweiligen Unternehmens. Der Maturitäts-Checker gibt Ihnen eine grobe Standortbestimmung und zeigt mögliche nächste Schritte auf.
Zur Person
Michele Savino
begleitet als Business ­Development Manager ­Unternehmen im digitalen Innovationsprozess. Er hat Elektrotechnik studiert, verfügt über lang­jährige Erfahrung in der ­IT-Branche und fungiert als ­Brücke zwischen Business und IT. Michele Savino begleitet die daten­getriebene Nachhaltigkeits-Initiative von Swisscom und arbeitet aktiv an der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsportfolios für Unternehmen.



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