LAS-Konferenz 2019 09.05.2019, 14:45 Uhr

«Unternehmen werden einen Mix an agilen Methoden nutzen»

An der LAS-Konferenz von swissICT trifft sich am 21. und 22. Mai die Lean-, Agile- und Scrum-Szene. Einer der Referenten ist Franz Röösli von der ZHAW. Im Interview spricht er über Trends bei den agilen Methoden, deren Bedeutung und worauf er sich am Event freut.
Professor Franz Röösli ist Leiter des Zentrums für Unternehmensentwicklung an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).
(Quelle: ZHAW)
Am 21. Und 22. Mai steigt die LAS-Konferenz 2019. Die Veranstaltung über Lean, Agile und Scrum, durchgeführt von der LAS-Fachgruppe des ICT-Branchenverbands swissICT, feiert dieses Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. Wer sich noch nicht angemeldet hat, kann sich auf der Website der LAS-Konferenz anmelden.
Agile Arbeitsmethoden haben sich in der zurückliegenden Dekade nicht nur gewandelt, sie werden auch zunehmend ausserhalb des Bereichs Softwareentwicklung eingesetzt. Immer mehr Unternehmen nutzen agile Arbeitsweisen um ihre Geschäftsziele zu erreichen. Eine agile Managementmethode auf Gesamtorganisationsebene, die unabhängig von der Softwareentwicklung entstand, ist Beyond Budgeting, über die Professor Franz Röösli sprechen wird, Leiter des Zentrums für Unternehmensentwicklung an der ZHAW.
Einen Ausblick darauf gibt Röösli im Interview. Ausserdem spricht er über die Bedeutung des agilen Manifests und auf welche Konferenz-Highlights er sich besonders freut.
Computerworld: Agil ist zum Schlagwort und Allgemeingut geworden und wird breit angewendet. Wie definieren Sie agile Entwicklung?
Franz Röösli: Das Umfeld von Organisationen wird durch Megatrends wie Digitalisierung, Globalisierung oder Mobilität zunehmend anspruchsvoller. Man spricht auch von einer VUKA-Welt: V für Volatilität, U für Unsicherheit, K für Komplexität und A für Ambiguität also Mehrdeutigkeit. Mit anderen Worten, die Planbarkeit sinkt und das Unerwartete nimmt ständig zu. Die allermeisten Unternehmen basieren jedoch ihre Führungs- und Organisationsstrukturen bis heute einseitig auf Stabilität und Planbarkeit. Agile Entwicklung bedeutet für mich vor diesem Hintergrund die Kompetenzentwicklung einer Organisation, mit einer ständig wachsenden Ungewissheit erfolgreich und fruchtbar umgehen zu können. Agilität beinhaltet damit Qualitäten und Fähigkeiten wie Wendigkeit, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Proaktivität aber auch Robustheit von Organisationen.
CW: Das agile Manifest wurde vor 18 Jahren vorgestellt. Inwieweit hat das «Manifesto for Agile Software Development» heute noch Gültigkeit, was müsste an heutige Bedürfnisse angepasst werden?
Röösli: Das agile Manifest ist auch heute noch von grossem Wert und ein bedeutender Grundstein in der agilen Bewegung. Der Fokus liegt wegen der Herkunft des Manifestes natürlich auf dem Bereich der Softwareentwicklung. Agile Konzepte werden heute weit über die Softwareentwicklung in verschiedensten Fachbereichen und sowie in gesamtorganisationalen Kontexten thematisiert. Der Aufbau in die vier Leitsätze und zwölf Prinzipien stellt ja eher den philosophischen Überbau dar. Deshalb vermute ich, dass das Manifest in naher Zukunft nicht allzu grossen Änderungen ausgesetzt sein wird. Die agilen Methoden und Werkzeuge im Rahmen des Manifestes werden sich aber kontinuierlich weiterentwickeln und es wird immer wieder neue Methoden geben.
CW: Es gibt verschiedene agile Arbeitsweisen. Welches ist derzeit die angesagteste Methode? 
Röösli: In Softwareentwicklungsbereichen und generell der IT haben agile Vorgehensweisen für Einzelvorhaben sich quasi zum de facto Standard entwickelt. Je nach Studie zwischen rund 70 bis gegen 90 Prozent der IT-Bereiche in Unternehmen wenden bei Einzelvorhaben agile Vorgehensweisen an. Scrum wird dabei sehr häufig eingesetzt. Absolute Aussagen zu treffen ist allerdings schwierig; Scrum wird beispielsweise mit DevOps erweitert, andere Konzepte werden ebenso kombiniert angewendet. Die Berührungspunkte der Konzepte erlauben das Experimentieren mit verschiedenen Ansätzen und einzelnen Elementen, die in kombinierten, spezifischen Lösungen resultieren.
CW: Seit dem agilen Manifest haben sich agile Methoden weiterentwickelt und es gibt verschiedene Abwandlungen. Welche künftigen Trends zeichnen sich ab?
Röösli: Unseren Beobachtungen nach, sind eine rigide oder «dogmatische» Einführung von Ansätzen oft nicht zielführend. Die Methoden sollten auf die Situation der Unternehmen zugeschnitten werden. Es gilt also, verschiedene agile Ansätze intelligent miteinander zu kombinieren. Daraus könnte sich der Trend ableiten, dass es vermehrt zu gemischten Lösungen kommt, die agile Elemente aus verschiedenen Ansätzen vereinen, situativ angepasst an die Bedürfnisse der Organisation. Anfügen möchte ich, dass es momentan nicht an Methoden und Konzepten fehlt, sondern an Transformationskompetenz- und -willen – vor allem in bereichsübergreifenden Kontexten und auf Gesamtorganisationsebene. Hier liegt der eigentliche Engpass.

Status quo in der Schweiz

CW: Wo stehen Schweizer Unternehmen bei der Adaption agiler Methoden, ausserhalb des Einzelvorhabens bei der Softwareentwicklung?
Röösli: Auf bereichsübergreifender oder gesamtorganisatorischer Ebene ist Holacracy seit einiger Zeit als regelbasierte Methode, d.h. mit vielen detaillierten, vorgegebenen Regeln, ein Ansatz, mit dem in Organisationen Erfahrungen gesammelt werden. Ebenso als gesamtorganisatorische Konzepte kommen Sociocracy 3.0 sowie Beyond Budgeting zum Zuge, welche methodisch in Form von Prinzipien gestaltet sind, also offener und weiter gefasst als ein regelbasiertes Design.  Wie schon erwähnt ist allerdings Agilität im Vergleich zu Einzelvorhaben in der IT auf bereichsübergreifender, gesamtorganisatorischer Stufe noch wesentlich geringer verbreitet. Der Anteil ist im einstelligen bis sehr tiefen zweistelligen Prozentbereich zu verorten, je nach Studie. Es ist wichtig zu betonen, dass die Lösungen für die Unternehmen individuell designt werden müssen, nicht alle in einem Hype angesagten Methoden sind auch die passenden für die individuell verschiedenen Ausgangslagen von Organisationen. Eine kritische Distanz zu teilweise gehypten «Heilslehren» ist im Sinne einer soliden Beurteilung zur Anpassung der Methoden an den konkreten Kontext einer Organisation zu befürworten.
CW: Inwieweit können Unternehmen von agilen Entwicklungsmethoden bei der Strategieentwicklung profitieren? Wo liegen die Vorteile?
Röösli: Zwei Merkmale sind typisch für Strategieprozesse. Erstens sind klassische Strategieentwicklungsprozesse in linear verlaufende Phasen unterteilt. Zweitens dauert der Prozess, je nachdem wie breit und tief eine Strategie entwickelt wird, mehrere Monate und oft über ein halbes Jahr. In diesen zwei Punkten kann agiles Denken einen Strategieprozess positiv befruchten. Zum einen, indem gezielt zugelassen wird, die verschiedenen Phasen in unterschiedlichen Durchgängen zu durchlaufen. Zum anderen treibt agiles Denken dazu, «vorwärts» zu machen und so letztlich die Machbarkeit durch frühes Testen zu prüfen.
CW: Wo liegen die Grenzen oder mögliche Gefahren?
Röösli: Entscheidungen zur Strategie sind von höchster Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit einer Organisation. Nur aus Zeitspargründen auf vertiefte Überlegungen zum Leistungsangebot, den Interessensgruppen und der Erlösmechanik zu verzichten, dürfte nicht nachhaltig sein. Ebenso macht es nicht Sinn, leichtfertig strategische Entscheidungen über Bord zu werfen – oder eben vermeintlich «agil» zu handeln, nur weil der gewünschte Effekt noch nicht eingetreten ist. Also wie überall darf Agilität nicht zum Selbstzweck verkommen, es ist ein Mittel zum Zweck von zukunftsfähigen Organisationen.

Das Managementmodell «Beyond Budgeting»

CW: Sie werden an der LAS-Konferenz über das Managementmodell «Beyond Budgeting» sprechen. Worum geht es bei dem Konzept konkret?
Röösli: Beyond Budgeting ist ein Ansatz, der auf Agilität in der Gesamtorganisation ausgerichtet ist. Es stellt ein Pioniermodell der Agilität dar. 1998 wurde der Beyond Budgeting Round Table (BBRT) als internationale Praktiker- und Forschungs-Community gegründet, die das Beyond-Budgeting-Führungs- und Organisationsmodell von nachhaltig erfolgreichen Unternehmen abgeleitet hat und kontinuierlich weiter entwickelt. Im Kern stellt Beyond Budgeting einen ganzheitlichen und agilen Führungs- und Organisationsansatz auf Basis von Selbstorganisation dar. Die zwei zentralen und miteinander verbundenen Dimensionen des Beyond-Budgeting-Ansatzes sind eine hochgradig dezentralisierte Führungsorganisation und adaptive Managementprozesse. Dabei adressiert Beyond Budgeting unter anderem auch den starren und bürokratischen Budgetsteuerungsprozess. Ohne die Budgetsteuerung - als Inbegriff von Bürokratie - radikal in Angriff zu nehmen, ist eine nachhaltige Transformation zu einer agilen Organisation höchst unwahrscheinlich - wenn nicht ausgeschlossen.
CW: Können Sie ein paar Anwenderbeispiele nennen?
Röösli: Einige bekannte Unternehmensbeispiele, die dem Beyond Budgeting Modell zugeordnet werden können, sind DM-Drogerie Markt (Deutschland), Comet (Schweiz), Hilti (Lichtenstein), Svenska Handelsbanken (Schweden), Volvo Cars (Schweden), HCL (Indien), Equinor (Norwegen), Haier (China), Southwest Airlines (USA) oder Morning Star (USA).
CW: Auf welches Highlight der LAS-Konferenz 2019 freuen Sie sich besonders?
Röösli: Ich freue mich sehr auf das Zusammenkommen von verschiedensten Menschen aus unterschiedlichsten Organisationen. Ich bin gespannt darauf, mich mit anderen Teilnehmenden auszutauschen und die Frage zu thematisieren: «Wie können Unternehmen neu gedacht und gestaltet werden, um Zukunftsfähigkeit zu kultivieren?»
10 Jahre «Lean, Agile, Scrum»-Konferenz
Am 21. und 22. Mai steigt im Conference Center des Zürcher Hallenstadions die «Lean, Agile & Scrum»-Konferenz. Die LAS-Konferenz hat dieses Jahr ihr 10-jährige Jubiläum. Das will gefeiert werden. Deshalb laden die Veranstalter, die LAS-Fachgruppe des Branchenverbands swissICT, statt wie bisher zu einem eintägigen, gleich zu einem zweitägigen Event ein. Die Besucherinnen und Besucher erwarten zahlreiche Keynotes, Vorträge und Workshops sowie eine Networking Party.
Ein Highlight dürfte der Auftritt von Mary Poppendieck sein. Sie wird eine von vier Keynotes halten und damit erstmals seit 2010 wieder an der LAS-Konferenz auftreten. Sie gehört seit dem «Agilen Manifest» zu den wichtigen Autorinnen, welche die Agilität geprägt haben. Ihre Bücher und Vorträge zum Lean Software Development gehören inzwischen zu den Klassikern des Fachs.
Interessierte können sich hier für die LAS-Konferenz 2019 anmelden.
Computerworld ist Medienpartner der LAS-Konferenz.



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