Firmenfachbeitrag 20.12.2021, 07:45 Uhr

«Digitalisierung ist keine Aufgabe der IT»

Corona hat der digitalen Transformation einen Schub verliehen – auch in der Schweiz. Aber reicht das höhere Tempo? Was hat sich dadurch verändert? Und worauf müssen sich Unternehmen und ihre IT einstellen? René Fitterer, CTO bei SAP Schweiz, hat Antworten.
René Fitterer ist seit 2017 Chief Technology Officer von SAP Schweiz
(Quelle: SAP Schweiz)
Die Corona-Pandemie hat hiesige Unternehmen auch 2021 noch auf Trab gehalten. Der Vorteil: Digitalisierungsinitiativen wurden und mussten vielerorts vorangetrieben werden. Im Interview spricht René Fitterer, Chief Technology Officer von SAP Schweiz, über die Auswirkungen der Pandemiejahre, die Reise in die Cloud und die wichtigsten Themen auf der CIO-Agenda.
Zenon Stadler: Wir nähern uns dem Ende eines weiteren schwierigen Jahres. Wie haben sich die zwei Pandemiejahre auf die IT-Branche und die IT-Community ausgewirkt?
René Fitterer: Im letzten Jahre haben wir bewiesen, dass wir einen digitalen Betrieb ermöglichen können. Wir können die Leute ins Homeoffice schicken. Die Basisinfrastruktur funktioniert. 2021 war und ist wesentlich anspruchsvoller. Jetzt geht es darum, das Ganze aufs nächste Level zu heben.
Stadler: Was meinen Sie damit?
Fitterer: Die IT muss einen Beitrag zum Geschäftsergebnis leisten, einen Beitrag zur Vitalisierung und Dynamisierung der Zusammenarbeit entlang der Supply Chain, zur Gewährleistung von Sicherheit, zum Aufbau von neuen Geschäftsmodellen. Da sind Unternehmen und Anbieter gleichermassen gefordert. Das klappt nur mit einem gemeinsamen Effort.
Stadler: Hat sich dadurch die Beziehung zwischen Kunde und Anbieter verändert?
Fitterer: Wir haben sehr viele Strategiediskussionen mit Kunden geführt und in der Krise sehr eng mit ihnen zusammengearbeitet. Daraus ist ein neues Level von Beziehung entstanden.
Stadler: Was ist anders geworden?
Fitterer: Ich verstehe die digitale Transformation als Kernelement der Unternehmensentwicklung. Und da ist die Frage, ob es primär darum geht, Software-Technologie bereitgestellt zu bekommen. Oder geht es darum, auch auf fachlicher Ebene Transformationspartner zu sein und Erfahrungen aus anderen Branchen und Projekten einzubringen. Im Mittelpunkt steht, sich vom Softwarelieferanten zum Innovationspartner zu entwickeln.
Stadler: Was heisst das in der Praxis?
Fitterer: Die Kunden wollen, dass wir nicht nur Software liefern, sondern Verantwortung übernehmen. Das machen wir auf der einen Seite, indem wir beispielsweise mit RISE with SAP end-to-end verantwortlich sind für das Produkt und seine Bereitstellung. Auf der anderen Seite haben wir sogenannte Business-Architekten etabliert, die beim Kunden vor Ort sind, die «Customer Success»-Organisation, die Cloud-Crew – sie alle sorgen dafür, dass die Digitalisierung bei den Kunden zu einem Erfolg wird. Die Technologie ist da, die Technologie funktioniert. Jetzt muss sie beweisen, dass sie die Transformation beschleunigt.
Stadler: Wenn wir nach vorne schauen, womit müssen sich CIOs unbedingt befassen, was gehört zwingend auf ihre Agenda?
Fitterer: Ich sehe zwei grosse Themen. Auf der einen Seite stelle ich einen extremen Trend zur Agilisierung der IT fest. Man hat erkannt, dass wir nicht in Silos arbeiten können, wenn wir mit der Digitalisierung wirklich ernst machen wollen. Wir müssen wegkommen von auf einzelnen Lösungen fokussierte Teams und durchgängige Wertschöpfungsströme realisieren. Das geht nur, wenn IT und Business partnerschaftlich die Digitalisierung als gemeinsames Gestaltungsobjekt identifizieren. Das Business muss die digitale Transformation aktiv mitgestalten. Auch die IT ist neu gefordert. In den letzten 10 Jahren hat sie sich sehr stark auf Effizienz, Automatisierung konzentriert und dabei oft ein Stück weit vom Business wegbewegt.
Stadler: Und das zweite Thema?
Fitterer: Ich möchte das als Renaissance der Unternehmensarchitektur bezeichnen. Beim Aufbau von Wertschöpfungsströmen braucht es als Kernelement ein abgestimmtes Domänenmodell. Die Daten müssen zusammenpassen. Es braucht eine ereignisgesteuerte Architektur, damit man schnell und agil in der ganzen Wertschöpfungskette reagieren kann, wenn ausserordentliche Situationen auftreten. Und man muss Prozesse wirklich end-to-end denken, durchgängig vom Konsumenten bis zur Supply Chain. Ich sehe viele Enterprise-Architekten, die fast schon die rechte Hand des CIO sind. Das ist vielerorts neu.
Stadler: Bei den Herausforderungen, mit denen sich CIOs in 2022 konfrontiert sehen, steht weit oben: Das Tempo der Digitalisierung sei zu langsam, es fehle an Agilität …
Fitterer: … richtig. Es fehlt in zweifacher Hinsicht an Agilität. Es fehlt an Agilität im Mindset, in den Köpfen. Und es fehlt an Agilität im Sinn der Methode wie Scrum oder SAFe. Ich finde es ganz schlimm, dass agil immer noch gerne als sprunghaft verstanden wird. Das ist oft immer noch diese 68er Sicht.
Stadler: Was wäre die richtigere Sichtweise?
Fitterer: Der bekannte Change-Management-Guru John Kotter sieht ein grosses Problem darin, dass die Unternehmen nicht mit dem Wandel, der auf sie hereinprasselt, mithalten können, wenn sie sich an die alten Top-down-Massnahmen und -Programme halten. Sie müssen viel mehr jeden einzelnen in der mittleren Führungsebene befähigen, sich zu hinterfragen: Was ist meine Aufgabe, was kann ich beitragen, um mit dem Wandel mitzuhalten. Der mit der Digitalisierung einhergehende Wandel ist keine Aufgabe des Senior Management, er ist keine Aufgabe der IT, es geht nur zusammen. Dafür gibt es diese methodischen Frameworks. Diese Frameworks halten mehr und mehr Einzug auch in klassischen arrivierten Unternehmen.
Stadler: Eine weitere Sorge vieler IT-Verantwortlichen ist die Integration über Abteilungs- und andere Grenzen hinweg, das Problem der Datensilos. Was raten Sie da den geplagten CIOs?
Fitterer: Wichtig ist hier, dass man die Prozesse durchgängig end-to-end denkt. Aber die Frage der Integration wird uns weiterhin begleiten. Und ich fürchte, dass das Volumen in dieser Frage nicht weniger wird.
Stadler: Dennoch, welche Strategie empfehlen Sie nun?
Fitterer: Bei SAP verfolgen wir klar die Strategie, Daten zusammenzubringen, nicht zu replizieren. Die Daten sollen am Ort ihrer Entstehung belassen werden. Dort haben sie ihre Semantik, dort hat es keine Aggregation, dort haben sie Echtzeit. Im Rahmen von modernen, cloudbasierten Data-Warehouse-Konzepten konzentrieren wir uns darauf, eine Integration auf dem semantischen Layer hinzubekommen. Dabei ist elementar, sich über strukturierte APIs zu öffnen und diese Welt semantisch integrativ zu machen, damit kein Content verloren geht.
Stadler: Die Öffnung ist eine alte Forderung. Wo stehen wir da heute?
Fitterer: Wir haben uns massiv geöffnet. Wir verfügen über mehr als 2000 APIs und «Integration Flows», um in Daten und Prozesse von SAP einzugreifen. Wir haben heute mehrere hundert Out-of-The-Box-Integratoren mit etablierten Software-Playern, um diese Integration zu bewerkstelligen. Wir investieren in die Integrierbarkeit und akzeptieren die Heterogenität dieser Welt.
Stadler: Noch setzen viele Unternehmen lieber auf On-Premise als auf die Cloud.
Fitterer: Aus technischer Sicht spricht heute nichts gegen Cloud-Lösungen. Aus Betriebs-, Effizienz- und Standardisierungsgründen gehen viele Unternehmen in die Cloud – auch weil die Cloud eine disziplinierende Wirkung hat. Dennoch arbeiten wir mit den Kunden daran, On-Premise Lösungen durch Private-Cloud-Ansätze zu «cloudifizieren».
Stadler: Steht die Individualisierung nicht im Widerspruch zum Cloud-Prinzip?
Fitterer: Wir schauen, dass wir nahe am Standard bleiben. Wir hinterfragen beispielsweise im Zusammenhang mit Supportprozessen, ob eine Individualisierung auch wirklich nötig ist. Unser Ziel ist: möglichst wenig technische Hürden, um neue Funktionen im laufenden Betrieb einzuführen.
Stadler: Oft hört man aber aus Unternehmen, sie seien nicht releasefähig, es gebe Abhängigkeit etc.
Fitterer: Ja, das ist ein gängiges Muster. In diesen Fällen ist es wichtig, einen Cloud-Mindset zu etablieren, wo immer möglich mit Public APIs zu arbeiten und vor allem immer zuerst zu hinterfragen, ob es diese Individualisierungen wirklich braucht. Denn Standardsoftware heisst aus gutem Grund Standardsoftware.
Zur Person und Unternehmen
René Fitterer wirkt nun seit insgesamt vier Jahren als Chief Technology Officer bei SAP Schweiz. In dieser Funktion schlägt er Brücken zwischen der auf Effizienz getrimmten Technologie und Kultur für das heutige Geschäft einerseits und den Teams, die sich primär um Digitalisierung und Innovation kümmern, andererseits. Mit einem Hintergrund in Betriebswirtschaft und Informatik unterstützt er so Kunden in der digitalen Transformation.
Zum Unternehmen: SAP unterstützt als Marktführer für Geschäftssoftware Unternehmen jeder Grös­se und Branche dabei, ihre Ziele bestmöglich zu erreichen: 77 % der weltweiten Transaktionserlöse durchlaufen SAP-Systeme. Unsere Technologien für maschinelles Lernen, das Internet der Dinge und fortschrittliche Analyseverfahren helfen unseren Kunden auf dem Weg zum intelligenten Unternehmen. SAP unterstützt sie dabei, fundiertes Wissen über ihre Organisationen zu gewinnen, und hilft so, dem Wettbewerb einen Schritt voraus zu sein.
Mehr Informationen: www.sap.ch
Dieser Beitrag wurde von SAP Schweiz zur Verfügung gestellt und stellt die Sicht des Unternehmens dar. Computerworld übernimmt für dessen Inhalt keine Verantwortung.



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