Industrialisierung der Datenverarbeitung 29.04.2022, 15:07 Uhr

Rechenzentren – Exodus oder Boom?

Immer mehr Unternehmen geben ihre eigenen Rechenzentren auf. Parallel werden immer mehr Data Center gebaut und alles «geht in die Cloud». Was sind die Ursachen dieser Trends und wie wirkt sich das auf die Umwelt aus?
Cloudifizierung und Datenwachstum nehmen weiter an Fahrt auf
(Quelle: Shutterstock/ZinetroN)
Der Daten-Boom in Wirtschaft und Gesellschaft hat sich zuletzt beschleunigt und in der Schweiz einen Rechenzentren-Boom ausgelöst. Die Cloudifizierung und die wachsenden Anforderungen an die lokale Datenhaltung lösten beispielsweise bei Interxion Schweiz zwischen 2019 und 2022 einen Anstieg von 4 auf ganze 41 Megawatt Leistungskapazität aus. Grund genug, im Rahmen der Swiss-IT-Studie 2022 nachzufragen, wo Schweizer Unternehmen aktuell auf dem Weg in die Cloud stehen und welche Pläne sie für die Zukunft haben.
Gegenwärtig betreiben die befragten Unternehmen fast zwei Drittel ihrer Workloads im eigenen Rechenzentrum, sei es als monolithische Anwendung (45,11 %) oder auf Basis einer Private Cloud (14,72 %). 21,75 Prozent der Befragten geben an, dass sie die Private Cloud(s) in einem outgesourcten Data Center betreiben. Hier fällt auf, dass die Schweizer Unternehmen sich in mehr als drei von fünf Fällen (11,78 % von 18,42 %) für die Public Cloud eines globalen Anbieters wie AWS, Google oder Microsoft entscheiden und lokale Cloud-Anbieter nur 6,64 Prozent aller Anwendungen beherbergen.

Hyperscaler-Clouds werden beliebter

Für die Zukunft planen die Schweizer Unternehmen, vermehrt Anwendungen in Richtung Cloud zu verlagern, insbesondere auf den Plattformen der Hyperscaler (21,55 % bzw. +100 %), aber auch der Anteil der lokalen Anbieter soll von 6,64 auf 9,77 Prozent wachsen (+50 %). Monolithische Anwendungen im eigenen Rechenzentrum gehen von 45,11 auf 25,41 Prozent zurück, während Private Clouds im outgesourcten Rechenzentrum weiter wachsen (28,17 %). Es erstaunt, dass das Outsourcing in Colocation «nur» um ca. 30 Prozent wachsen soll. Der Grund dafür ist, dass viele Unternehmen, die cloudifizieren, den «digitalen Kern» weiterhin ausserhalb der Cloud betreiben wollen und damit oft in Colocation gehen, da das bisherige Rechenzentrum zu gross geworden ist.  
Der Trend in die Cloud treibt auch das Datenwachstum weiter rasant an. Dies bestätigt die Studie «Global Data Insights Survey 2022», die im April veröffentlicht wird und zeigt: Datenwachstum ist allgegenwärtig. Schweizer Unternehmen sind sich des Potenzials von Daten bewusst und fokussieren sich darauf, wie sie damit ihre Kundenbeziehungen verbessern können. Um die Wertschöpfung zu optimieren und in Zukunft optimal aufgestellt zu sein, sind aber die richtigen Strategien gefragt. Konnektivität, sicherer Austausch mit dem Ökosystem und weltweite Verfügbarkeit sind ein Muss.
Die Swiss-IT-Studie zeigt also, dass heimische Unternehmen planen, ihre Anwendungen in immer stärkerem Umfang in Clouds ausserhalb des eigenen Rechenzentrums zu verlagern. Gleichzeitig werden fleissig neue Data Center gebaut. Dabei kommt vermehrt das Thema Energieeffizienz auf, denn die stetig wachsenden Datenmengen und Infrastrukturlandschaften müssen so klimaneutral wie möglich gebaut und betrieben werden, um ihren Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen zu leisten.

Mit der Cloud Wohnungen heizen

Das Zürcher Stimmvolk schaffte klare Tatsachen und nahm 2021 das neue Energiegesetz mit 62,6 Prozent an, um zukünftig die von Öl- und Gasheizungen verursachten klimabelastenden CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken. Die führende Energie- und Wärmelieferantin EBL und Interxion Schweiz haben mit dem Energieversorger Energie Opfikon AG deshalb einen Wärmeverbund ins Leben gerufen und planen in Rümlang und Opfikon den grossen «Energieverbund Airport City». Grund dafür ist das Bestreben, lokale Energie nachhaltiger zu nutzen sowie massiv weniger CO2 auszustossen. Mit dem Energieverbund sollen Gebäude nahezu CO2-emissionsfrei geheizt sowie nachhaltig gekühlt werden. Die Basis der Wärmeerzeugung beruht dabei auf der Abwärme der Interxion-Rechenzentren – die Cloud heizt so am Ende die eigene Wohnung.
Rechenzentren können auch Heizkraftwerke sein
Quelle: Interxion

Was Unternehmen in die Cloud treibt

Einerseits sind heute die grossen internationalen Anbieter wie AWS, Microsoft, Oracle und Google mit eigener Cloud-Infrastruktur in der Schweiz vor Ort präsent und bringen den Bedarf nach möglichst geringer Latenz beim Datenaustausch mit sich. Das bedeutet auch, dass Anwendungen, die nicht in die Cloud wandern, möglichst nahe an der Cloud installiert werden müssen, damit der Datenaustausch schnell, effizient und sicher stattfinden kann. Deshalb verlagern Unternehmen den selbst betriebenen Anteil ihrer Hybrid-Cloud-Infrastruktur möglichst nahe an die Cloud, idealerweise in das hochvernetzte Colocation-Rechenzentrum, das auch den Netzwerkknoten der vom Unternehmen genutzten Haupt-Cloud beherbergt – dies garantiert minimalste Latenzzeiten bei gleichzeitig höchster Sicherheit, da das öffentliche Internet komplett vermieden werden kann.

Datenwachstum verändert Anforderungen

Laut IDC wird das globale Datenwachstum bis 2025 fast unvorstellbare 175 Zettabyte erreichen. Mit steigenden Datenmengen nimmt die Komplexität von IT-Infrastrukturen zu und die Verlagerungen hin zu Cloud-Diensten intensiviert die Herausforderungen an die Infrastruktur weiter. Auch entsteht ein wachsender Bedarf an Echtzeitdaten, die am besten in hochvernetzten Cloud-Rechenzentren aufgehoben sind, da eigene On-Premise-Data-Center meist nicht die notwendige Konnektivität bieten.
Die Schweiz – und hier insbesondere Zürich – wird als eines der weltweiten Gravitationszentren für Finanz- und Versicherungsdaten gehandelt. In diesen Industrien (und vor allem im Raum Zürich) werden die Datenmengen überdurchschnittlich wachsen und damit ganz neue Anforderungen an Datenhaltung und -verknüpfung stellen.

Wohin die «Cloudifizierung» führt

Der Trend zeigt deutlich, dass sich firmeneigene Rechenzentren zunehmend leeren. Das führt dazu, dass deren Betrieb zunehmend unwirtschaftlich wird. Die IT-In­frastruktur muss heute leistungsfähig und zu jeder Zeit verfügbar sein. Vielen Unternehmen fehlt allerdings das Fachpersonal, um die IT-Infrastruktur rund um die Uhr zu betreuen. Ausserdem erhöht sich der Aufwand für Datenschutz, Sicherheit und Compliance mit der Menge an Daten und der Komplexität der Infrastruktur. Auch sind die Kosten für Betrieb, Wartung und Instandhaltung sehr hoch. Im Rechenzentrum werden diese Kosten auf alle Nutzer umgelegt, wodurch der eigene Anteil eines Unternehmens deutlich geringer ausfällt. Ebenso verschieben sich dadurch Investitions- und Betriebskosten, da Unternehmen die bestehende Rechenzentrumsinfrastruktur mieten.
Neben wirtschaftlichen Überlegungen motivieren auch ökologische Aspekte eine Verlagerung der eigenen Workloads in Colocation oder in die Cloud, da die grossen Rechenzentren deutlich effizienter betrieben werden können und auch die Abwärme ökologisch sinnvoll genutzt wird.
Cloudifizierung und Datenwachstum nehmen also deutlich an Fahrt auf. Dieser Trend könnte schlichtweg ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass sich die Datenverarbeitung weiter industrialisiert und standardisiert. In den kommenden Jahren werden tendenziell immer mehr Services und Rechenleistung aus der Cloud bezogen werden und Rechenzentren vielen Unternehmen ein neues Zuhause bieten – und das effizienter, günstiger und umweltfreundlicher als zuvor.
Zum Autor
Thomas Kreser
ist Marketing Manager bei Interxion Schweiz. www.interxion.ch



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