Digital Leadership 23.10.2018, 07:30 Uhr

Disruptive Führung für den digitalen Wandel

Die Veränderungsgeschwindigkeit im digitalen Wandel ist extrem hoch. ­Klassische Führungsmodelle des Industriezeitalters, die sich in stabilen ­Phasen bewährten, funktionieren heute nicht mehr. Um künftig am Markt bestehen zu können, muss man herrschende Paradigmen infrage stellen.
Wer im digitalen Wandel bestehen will, muss festgefahrene Muster durchbrechen wollen
(Quelle: Shutterstock/Lightspring; Martin Frick)
Wenn über Digital Leadership diskutiert wird, taucht oft der Begriff Führung 4.0 auf. Ich spreche in meinem Beitrag bewusst von Digital Leadership und nicht von Führung 4.0. Impliziert «4.0» doch, dass die bestehenden Führungsmethoden einfach weiterentwickelt werden müssen, dann seien sie auch für den digitalen Wandel geeignet. Diese Annahme ist falsch. Vielmehr müssen wir unsere verinnerlichten Führungspara­digmen infrage stellen, sodass im Ergebnis eine neue – disruptive – Führung für die erfolgreiche Bewältigung des digitalen Wandels entstehen kann. Warum das so ist und wie diese aussieht, beantwortet dieser Fachbeitrag.
Wer sein Unternehmen in die digitale Welt führt, hat in erster Linie ein klassisches Change-Projekt zu bewältigen. In den meisten Fällen wird es sogar das grösste und radikalste Veränderungsprojekt sein, welches das Unternehmen je gesehen hat. Digitaler und damit fundamentaler Wandel im Unternehmen verlangt nach vier Voraussetzungen. Nach einer klaren Strategie, nach den dazu passenden Strukturen, also Organisation und Prozesse, nach einer Führung, die den Weg bereitet und nach einer Unternehmenskultur, die den Change aktiv fördert. Fehlt eine dieser Vo­raussetzungen, so wird – im besten Fall – nichts passieren, im schlechtesten Fall sogar das Gegenteil von dem, was ursprünglich beabsichtigt war.

Treiber von Digital Leadership

Wieso sollten wir unsere Führung überhaupt ändern müssen? Bis anhin waren wir ja auch erfolgreich und sind es (teilweise) immer noch. Vier der wichtigsten Gründe möchte ich hier nennen. Erstens ist die Veränderungsgeschwindigkeit im digitalen Wandel extrem hoch. Unsere ganze Anpassungsleistung muss daher aus einem hohen Mass an Flexibilität, Eigenmotivation und Eigeninitiative aller bestehen. All dies kann «alte» Führung à la Industriezeitalter nicht leisten, denn sie wurde für relativ stabile und nicht für disruptive Zeiten entwickelt. Durch die Globalisierung, durch das Internet und durch den Hyperwettbewerb nimmt zweitens die Komplexität exponentiell zu. Der steigenden Komple­xität können Unternehmen nur mit Flexibilität sowie mit eigenverantwortlichen und ermächtigten Mitarbeitenden in Netzwerkstrukturen begegnen.
Drittens bringt uns die Digitalisierung (endlich) eine kompromisslose Kundennutzen-Orientierung. Digitale Technologien ermöglichen «Losgrössen Eins» und damit die profitable Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen. Auch dies funktioniert nur mit eigenverantwortlichem Personal in weitgehend hierarchiefreien Organisationen. Viertens verlangt die in den Arbeitsmarkt eintretende Generation vermehrt nach sinnhafter Tätigkeit, nach Freiraum zu ihrer beruflichen und privaten Entwicklung, nach weitgehender Entscheidungskompetenz in ihrem Fachgebiet und nach einem Arbeits- und Teamumfeld, das auf Kooperation statt auf Wettbewerb ausgerichtet ist.

Andere Führungsparadigmen gefragt

Die Ursachen für das Scheitern vieler digitaler Wandelprojekte liegen meist nicht bei ungenügender Strategie und Planung, sondern bei einer Führung und einer Unternehmenskultur, die den (oft radikalen) digitalen Wandel nicht fördert, sondern im Gegenteil massiv behindert. Nach wie vor denken – und handeln – wir in unseren gelernten Führungsmustern aus dem Industriezeitalter. Sie funktionieren aber für die heutige Wissensgesellschaft, und noch vielmehr für die Digitalgesellschaft von morgen, spürbar nicht mehr. Ergo brauchen wir neue «Glaubenssätze» dafür, was Führung ist und was sie bezwecken soll:
  • Sinn und Zweck statt Profit: Der Zweck und der tiefere Sinn (Purpose) rücken in den Vordergrund. Welchen he­rausragenden Nutzen stiften wir, welche Kernprobleme lösen wir für wen? Der Gewinn ist dann – richtigerweise – lediglich die logische Folge. Als primäre Zielsetzung taugt der Gewinn hingegen nicht.
  • Netzwerke statt Hierarchien: Entscheidungen und Handlungen müssen direkt dort getroffen und umgesetzt werden, wo sie sich auswirken. Wer seine Hierarchien weiter pflegt, wird einfach überholt. Die Führungskraft wird Teil des Netzwerks und konzentriert sich auf Coaching, Mentoring und auf das «Wegräumen» von Hindernissen.
  • Befähigung und Ermächtigung statt Kontrolle: Kontrollsysteme kosten viel Geld und Zeit, zusätzlich zerstören sie systematisch das Vertrauen im Unternehmen. Damit rückt Führung im Sinne von Befähigung und Ermächtigung in den Vordergrund und erfüllt endlich den schon lange gehegten Wunsch aller Chefs nach unternehmerisch denkenden und handelnden Mitarbeitenden.
  • Experiment statt Planung: In hyperschnellen Zeiten machen langfristige Pläne wenig Sinn. Zielführender ist eine rasche Abfolge von Experimenten im Sinne von Trial and Error. Start-ups machen dies täglich vor, indem sie unfertige Produkte, sogenannte «Minimum Viable Products», am Markt lancieren und testen, was funktioniert, von den Kunden akzeptiert wird und was nicht.
  • Transparenz und Offenheit statt Vertraulichkeit: Ohne ins­titutionalisiertes und fest verankertes Vertrauen ist der (digitale) Wandel nicht realisierbar. Vertrauen entsteht aber durch Transparenz und nicht durch Heimlichtuerei.

Es beginnt mit der Organisationsform

Damit Digital Leadership funktioniert, braucht es eine Organisation, die dies auch zulässt. Diese sollte – wie oben schon erwähnt – weitgehend hierarchiefrei in eher kleinen, kundenorientierten Zellen aufgebaut und damit flexibel und schlagkräftig sein. Diese Zellen, oder besser Teams, brauchen die nötigen Kompetenzen, damit sie ihre Entscheidungen eigenständig treffen können.
Organisationen mit einem hohen Grad an Selbstorganisation sind hier klar im Vorteil. Auf ausgefeilte Führungssysteme hingegen sollte verzichtet werden. Sie kosten viel Zeit und Geld, führen zur Selbstbeschäftigung der Organisation, unterminieren Vertrauen und fördern in der Regel Konkurrenzdenken im Unternehmen, wo doch dringend Kooperation nötig wäre.

Neue Führungskräfte statt neue Mitarbeiter

Oft höre ich von Unternehmern die Klage, sie hätten nicht die richtigen Mitarbeiter für den digitalen Wandel. Realistischerweise müssen wir aber mit denjenigen arbeiten, die wir haben oder am Fachkräftemarkt bekommen können. Diese dann nach unserem persönlichen Gusto verändern zu wollen, ist einerseits ein hoffnungsloses Unterfangen, andererseits auch zutiefst inhuman. Wesentlich hilfreicher ist es, alle Führungskräfte inklusive Unternehmer in einer Weise zu befähigen, dass sie den Weg in die digitale Welt als Vorbild vorangehen können.
Für die Praxis bedeutet dies, erst wenn sich das ganze Führungsteam der notwendigen Veränderungen bewusst ist und die neuen Führungsparadigmen verstanden und anerkannt hat, kann Digital Leadership auch im Verhalten trainiert und anschliessend in den Einsatz im Unternehmen gebracht werden. Der hierfür ebenfalls notwendige Kulturwandel entsteht in Folge quasi als «Abfallprodukt» durch ein vorgelebtes und vorbildliches Verhalten der gesamten Führungscrew. Unter der Voraussetzung, dass diese die Grundsätze von Digital Leadership intus hat und sie täglich auch vorlebt.
Zum Autor
Urs Prantl
ist Gründer und Inhaber der auf Strategie-Entwicklung und -Umsetzung spezialisierten Agentur KMU Mentor.
www.kmu-mentor.ch



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