Kolumne 27.10.2017, 15:50 Uhr

Zwischen 0 und 1

Nach vielen Jahrzehnten beschaulicher Entwicklung boomt die künstliche Intelligenz. In Zukunft wird sie die Unternehmenswelt tiefgreifend verändern.
Reinhard Riedl hat in reiner Mathematik promoviert und zu Fragen der IT, Ökonomie und Rechtswissenschaft geforscht. Riedl leitet das transdisziplinäre Zentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule. Seit 2015 ist Riedl Präsident der internationalen Gesellschaft für Neue Musik Bern.
Es gibt immer mehr Experimente, die belegen, dass die künstliche Intelligenz (KI) besser entscheidet als menschliche Experten, etwa im Personalwesen und im Marketing. Immer dann, wenn der Entscheidungskontext definiert und beschränkt ist, lässt sich ein Software-Werkzeug entwickeln, das besser entscheidet als fast alle Praktiker. Dabei gilt eine Art 80-zu-20-Regel: Zu Beginn ist die Software so gut wie die besten 20 Prozent und klar besser als die restlichen 80 Prozent. Weitere Verbesserungen führen danach dazu, dass auch die besten 20 Prozent der menschlichen Entscheider in den Schatten der Technik gestellt werden. Ein Teil dieser Experimente zeigt aber auch, dass es möglich ist, die Software für die Mensch-Maschine-Zusammenarbeit derart umzugestalten, dass Mensch und Maschine im Team der Maschine alleine überlegen sind. Ein Beispiel dafür ist die Bildanalyse im Mammografie-Screening: Das Programm identifiziert jene Bildteile einer Gewebeprobe, die der Arzt anschliessend anschaut und beurteilt. Die neue Hierarchie lautet also: 1. Mensch und Maschine, 2. Maschine, 3. Mensch. Dort, wo Crowds oder Teams Sinn machen, müssen auch sie sich der Überlegenheit der Maschine beugen, während die Zusammenarbeit zwischen Crowd respektive Team und Maschine die Maschine alleine übertrifft. In Zukunft wird es häufig zu einem Szenario kommen, in dem die KI mit Entscheidungsprozessen kombiniert wird, bei denen Objektivität gefragt ist. Die KI kann Fachleuten Vorgehensweisen empfehlen und die von ihnen zu beantwortenden Detailfragen vor­geben. Der Unterschied zwischen der konventionellen Entscheidungspraxis und einer, die auf Mensch-Maschine-Zusammen­arbeit beruht, ist gigantisch. Sie ist derart gewaltig, dass in Zukunft jene Unternehmen, die das Potenzial nicht nutzen, ihre Existenz gefährden.
Nebenbei werden Tätigkeiten mit erwiesener Substanzlosigkeit verschwinden. Vielversprechende und teils überraschende Bereiche für den Einsatz künstlicher Intelligenz sind die Gebiete Rekrutierung, die Zusammenstellung von Arbeitsgruppen, die  Entwicklung von Software, Aufgaben von Strategiestabsstellen und Forschung. Vorerst wenig betroffen sein werden dagegen einige Berufe mit manueller Arbeit, wie jener des Gärtners. Es gibt noch andere Bereiche, in denen der Mensch der Maschine noch lange überlegen bleiben wird, insbesondere bei offenen Kontexten, kreativen Aufgaben und bei der Interaktion mit anderen Menschen. Hier gilt die alte Hierarchie: 1. Mensch und Maschine, 2. Mensch, 3. Maschine. Was heisst das für das Schreiben von Kolumnen? Mit genügend Forschung kann man Software ent­wickeln, um Kolumnisten zu ersetzen. Die Herausforderung besteht darin, ein Konzept zu entwickeln, wie ein Autor seine Kreativität auf eine Weise einbringen kann, dass die eigentliche Arbeit am Text von der Maschine gemacht wird. Wir nehmen Forschungsaufträge dafür gerne entgegen, aber es gibt wesentlich rentablere Einsatzbereiche für KI.



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