Virtuelle Teams 10.12.2008, 15:23 Uhr

Führen mit kultureller Kompetenz

Globale virtuelle Teams gelten als Wettbewerbsvorteil. Allerdings nur, wenn sie trotz Distanz und kultureller Unterschiede zur Höchstleistung geführt werden
Der Einsatz von virtuellen Teams ist zu einer wichtigen Option für globale Organisationen geworden. Dabei ist das Führen internationaler Teams über weite Distanzen und kulturelle Grenzen eine der grössten Herausforderungen. Internationale Unternehmen investieren in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Daher wissen Teammitglieder eines internationalen Projektes zumeist, dass man sich an fremde Kulturen anpassen sollte - ganz nach der Redewendung: «When in Rome do like the Romans do.»
Aber wo ist Rom in einer Video-Konferenz? In virtuellen Teams fehlt häufig das Bewusstsein, dass kulturelle Unterschiede im Team zu Missverständnissen, ineffektiver Kooperation und letztendlich sogar zum Scheitern eines Projektes führen können.
Woher rühren kulturelle Unterschiede und welche Auswirkung haben sie auf die Zusammenarbeit auf Distanz? Wie werden virtuelle Teams erfolgreich geführt? Welche Gewohnheiten sollten Teammitglieder in der virtuellen Welt ablegen und welche Verhaltensweisen müssen entwickelt werden, um erfolgreich zusammenzuarbeiten und Projekterfolge zu sichern?

Kulturell bedingte Identität

Zunächst müssen offensichtliche Hindernisse internationaler Projekte überwunden werden: verschiedene Zeitzonen, unzuverlässige Telekommunikationssysteme, unterschiedliche Software-Versionen, fehlende oder unvollständige Peripherie, Fremdsprachen oder variable Technologiestandards.
Weniger offensichtlich ist, dass jeder Projektteilnehmer eine multikulturelle Identität besitzt, die starken Einfluss auf die Zusammenarbeit im Team hat. Multikulturelle Identität spiegelt sich in unseren Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Erwartungen und Einstellungen wider, die in erster Linie durch unsere Nationalität sowie unsere ethnische Abstammung geformt werden. Aber auch kulturelle Elemente wie unsere geografische Herkunft, der wirtschaftliche Status, Alter, Religion, Beruf und die Unternehmens- sowie Abteilungskultur, umgeben und beeinflussen unsere multikulturelle Identität und damit auch unser Verhalten in Arbeitsteams.

Multikulturelle Teams

Es ist keine Seltenheit, dass der Teamleiter etwa aus Grossbritannien kommt und Experten aus Deutschland, Schweden, Italien, USA, Indien, China und Saudi Arabien führt. Virtuelle Teams müssen häufig unter Zeitdruck das Projektziel erreichen, ohne das Gesamtbudget zu sprengen. Dabei werden die Teammitglieder von kollaborativen Technologien und Tools wie E-Mail, Instant Messaging, Audio- und Videokonferenzsystemen, Wikis, Projektmanagement-Software und Groupware-Tools unterstützt.
Der Leiter des virtuellen Teams sollte aber zunächst die kulturellen Unterschiede der Projektteilnehmer kennen - und verstehen, inwieweit die Teamarbeit davon beeinflusst ist. Nationalität und ethnische Abstammung haben einen direkten Einfluss auf das Kommunikations- und Diskussionsverhalten, auf zwischenmenschliche Beziehungen oder auch auf die individuelle Einstellung zu Zeit.

Die Bedeutung des Kontexts

Kulturwissenschaftler Edward T. Hall unterscheidet «high- and low context cultures». Personen bzw. Kulturen mit einem starken Kontextfokus legen grossen Wert auf die Umstände und das Umfeld, in dem eine Interaktion stattfindet. Eine «high context culture» fordert demgemäss ein ausgeprägtes Verständnis für ungeschriebene Regeln ein. Gemäss Hall ist eine tendenzielle Zuordnung von Nationalitäten möglich (siehe Tabelle rechts). Diese Kategorisierung darf aber nur als generelle Tendenz verstanden werden und ist nicht auf alle Personen des Kulturkreises übertragbar.
Die Tabelle zeigt die gegensätzlichen Einstellungen, Verhaltensweisen sowie Erwartungen. Sie verdeutlicht auch das grosse Potenzial für Missverständnisse, die zu Frustration unter den Teammitgliedern führen. Die fehlende Möglichkeit der persönlichen Kontaktaufnahme erschwert die Zusammenarbeit zusätzlich. Die Interpretation von nonverbalem Verhalten wie Gesten, Körpersprache, Augen- und Körperkontakt sind in der virtuellen Welt nicht möglich. Hinzu kommt die Notwendigkeit, kollaborative Technologien zu nutzen, um die Distanz zu überbrücken. Um effiziente Teamarbeit zu erreichen, ist also mehr Aufwand nötig - für die Teammitglieder und deren Manager.

Erfolgsfaktor Vertrauensbildung

Manager von virtuellen Teams können nicht über die üblichen Anweisungs- und Kontrollsysteme führen. Sie können zwar strategische Ziele vorgeben, gemeinsam Richtlinien diskutieren oder festlegen und Erwartungen ihrer Teammitglieder abfragen, aber wirkliche Teamleistung wird nur über Vertrauen und Kommunikation erreicht. In Anlehnung an den Managementexperten Terence Brake schaffen die folgenden fünf Prinzipien Vertrauen und fördern die Zusammenarbeit:

1. Türöffner Beziehungspflege

Zu Projektbeginn sollten intensive «Kennenlernkomponenten» eingeplant werden. Teammitglieder müssen die Möglichkeit erhalten, emotionale Verbindungen zu den Kollegen herzustellen. Ziel sollte sein, dass Mitglieder für das geschätzt werden, was sie sind - nicht für das, was sie tun. Idealerweise werden Kontakte im Kick-off-Meeting mit allen Teammitgliedern geknüpft. Falls das nicht möglich ist, wäre eine virtuelle Vorstellungsrunde etwa in Wikis oder per Videokonferenz angebracht. Dabei könnten Mitglieder auch ihre Interessen, Ziele und Visionen sowie persönliche Bilder untereinander austauschen.
2. Klare Zielvorgaben
Es zahlt sich aus, zu Anfang genügend Zeit in die Klarstellung des Teamzwecks, der Rollenverteilung im Team und den Verantwortlichkeiten zu investieren. Aufgrund der Distanz bestehen oftmals genügend Unsicherheiten, die nicht noch zusätzlich mit Verwirrung und Ungewissheit angereichert werden sollten. Klare Ziele und Aufgaben, einschliesslich der Festlegung von wem, bis wann und in welcher Art diese zu erfüllen sind, schaffen Klarheit für alle Teammitglieder.

3. Berechenbarkeit

Unmodern, aber nicht wegzudenken: Ein klarer Ablaufplan und die Berechenbarkeit der Teammitglieder sind kritische Erfolgsfaktoren für virtuelle Teams. Ungewissheit erzeugt Zweifel, Angst und Rückzug. Das Resultat ist ein demotiviertes und unproduktives Team. Die Nutzung von einheitlichen Team-Tools und Vorlagen, definierte Prozesse oder festgelegte Kommunikationszeiten tragen zu einem klaren Ablauf und somit zur Berechenbarkeit bei. Teamleiter sollten leicht erreichbar sowie der Dreh- und Angelpunkt im Team sein.

4. Ablaufvereinbarungen

Operationale Ablaufvereinbarungen legen Methodik und Prozesse der Teamarbeit fest und sollten zu Beginn des Projektes gemeinsam definiert werden. Vereinbarungen bedarf es in der Regel für Planungsprozesse, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Koordination. Während der virtuellen Meetings sollte der Teamleiter sich immer wieder Zeit nehmen zu prüfen, ob und wie gut die
Ablaufvereinbarungen gelebt werden.
5. Aufmerksamkeit
Was bei lokalen Teams selbstverständlich ist und an der Kaffeetheke vor dem Meeting informell passiert, sollten Manager von virtuellen Teams explizit einplanen: Treffen der Teammitglieder auch ausserhalb des offiziellen Meetings. Jedes Mitglied sollte die Chance bekommen, mit dem Leiter persönliche Erfolge, Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Die Distanz und die Technologien wecken leicht den Eindruck, dass Teammitglieder abstrakt und «ohne Gesicht» sind. Persönliche Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, kostet wenig und bietet einen enormen Vorteil für jedes Teammitglied und letztlich für die
gesamte Teamleistung.

Fazit: Erfolg durch Teamtechnik

Wir tendieren dazu, Gewohnheiten aus einer bekannten Umgebung (der herkömmlichen Teamarbeit) auf eine andere Umgebung (virtuelles Team) zu übertragen. Das ist nicht in allen Fällen möglich. Es ist wichtig, die Unterschiede zu kennen und sein Handeln daran anzupassen. So sind Mitglieder virtueller Teams gefordert, das Bewusstsein und die Akzeptanz für multikulturelle Identitäten zu entwickeln.
Ausserdem sind Manager virtueller Teams besonders gefordert, kulturelle Kompetenzen zu entwickeln, um die Teammitglieder zur Höchstleistung zu führen. Vertrauensbildung ist dabei der Erfolgsfaktor Nummer eins. Für alle Beteiligten ist es unerlässlich, kollaborative Technologien kennen und nutzen zu lernen. Nur so wird eine effektive Teamarbeit trotz weiter Distanzen möglich.
Zur Autorin: Carolin Schäfer ist Partnerin der Agentur korrekt und Trainerin im Bereich internationale Kompetenzentwicklung. Quelle: www.computerwoche.de



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