Dynamische Plattformen 13.03.2023, 06:15 Uhr

B2B-Marktplätze expandieren

Der Markt für B2B-Online-Marktplätze wächst und diversifiziert sich weiter. Neue Nischen, Zielgruppen und Geschäftsmodelle werden ­verstärkt von den Plattformen erkundet.
(Quelle: Shutterstock/Vadim Sadovski)
Bis Ende des Jahres 2022 sollen über B2B-Online-Marktplätze weltweit Umsätze von rund 130 Milliarden Dollar abgewickelt worden sein. So lautete eine Prognose des US-Marktforschungsinstituts Digital Commerce 360 vom Oktober 2022.
Das klingt auf den ersten Blick nach einer riesigen Zahl, die aber beim zweiten Hinschauen deutlich schrumpft: Schliesslich beliefen sich die B2B-Online-Umsätze 2022 auf fast 2 Billionen Dollar, der Anteil der Online-Marktplätze daran liegt also bei unter 7 Prozent. Verglichen mit dem B2C-Sektor, in dem mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Umsätze über Plattformen abgewickelt werden, könnte man zum Schluss gelangen, dass Online-Marktplätze für den B2B-Online-Handel von geringer Bedeutung sind. Das wäre allerdings ein Trugschluss.
Nirgends im B2B-E-Commerce ist die Entwicklung derzeit so dynamisch wie bei den Plattformen. Der Plattformumsatz wächst siebenmal schneller als der gesamte B2B-Online-Umsatz und die Zahl der am Markt aktiven Plattformen folgt den Regeln exponentiellen Wachstums. 2019 gab es 75 B2B-Online-Marktplätze weltweit, 2022 zählte Digital Commerce 360 in seinen Reports mehr als 400 Plattformen. Kein Zweifel: Der Pandemie-Effekt, der die Digitalisierung des B2B-Handels um Jahre in die Zukunft katapultiert hat, wirkt sich besonders und vor allem auf Online-Marktplätze aus.
Das hängt einerseits mit der Kundennachfrage zusammen: Jeder B2B-Einkäufer ist nach Dienstschluss vor allem auch Verbraucher und als solcher hat er oder sie im Privatleben den Komfort von Online-Marktplätzen zu schätzen gelernt – selbiger wird dann auch bei der Beschaffung im Job erwartet. Ein Drittel der B2B-Einkäufer wickeln deshalb bereits über die Hälfte ihrer B2B-Einkäufe über Plattformen ab.
Auf der anderen Seite eignet sich der B2B-Markt besonders für eine Diversifizierung durch immer neue Online-Marktplätze. Das liegt zum einen an der schieren Grösse: Im B2B-Sektor sind auch kleinste Nischen schon riesige Märkte mit Umsatzpoten­zialen im Milliardenbereich. Ausserdem sind die Bedürfnisse der Zielgruppe einer ­Nische extrem heterogen. Kunden der gleichen Produkte haben verschiedene Anforderungen an Lieferung, Bestellfrequenz, Rabattstrukturen, Bezahlung, Service, Garantien und zahlreiche andere Aspekte – auf diese Weise entsteht in der gleichen Nische Platz für viele verschiedene An­bieter, die in keinem Verdrängungswettbewerb zueinander stehen.
Quelle: Digital Commerce

Investoren haben das Potenzial entdeckt

Dieses Potenzial für von Konkurrenz beinahe unbehelligtes Wachstum haben auch die Investoren für sich erkannt: Seit einem guten Jahr wachsen die in Finanzierungsrunden für B2B-Plattformen erzielten Beträge deutlich an. Der US-amerikanische Online-Grosshandelsmarktplatz Faire verdoppelte innerhalb von sechs Monaten seine Bewertung auf 12 Milliarden Dollar. Der B2B-Marktplatz Ankorstore sammelte zu Jahresbeginn 2022 in der Series C 250 Millionen Euro ein. Und selbst die B2B-Plattform für Cannabis-Produkte, Cansativa, bekam Anfang März 2022 13 Millionen Euro – unter anderem von Rapper Snoop Dogg. Insgesamt haben die europäischen B2B-Marktplätze bislang umgerechnet über 3 Milliarden Schweizer Franken an Risikokapital eingesammelt.
Der Dreiklang aus einem noch wenig entwickelten Markt, willigen Kunden und begeisterten Investoren hat zu einer Goldgräberstimmung bei B2B-Marktplätzen geführt. Immer neue Plattformen schiessen wie Pilze aus dem Boden und machen den Markt stetig diverser und unübersichtlicher. Auch macht die Fülle der Angebote eine Klassifizierung schwierig. Dennoch ist zu beobachten, dass sich viele Neugründungen von B2B-Marktplätzen auf die Beschaffung von C-Teilen konzentrieren – also Materialien mit geringem Wert und hoher Beschaffungsmenge. Plattformen wie Ankerstore, ManoManoPro oder merXu adressieren die Einkäufer von Handwerks- oder Industriebetrieben und vernetzen diese mit den Herstellerfirmen ihrer Verbrauchsgüter. Dabei setzen sie meist auf ein breites Sortiment und eine für B2B-Verhältnisse recht breite Zielgruppe – da werden die Schreiner genauso angesprochen wie die Maurerbetriebe, die Fensterfabrikanten oder die Auto­garagen.
Quelle: Digital Commerce
Eine vergleichsweise neue Untergruppe bei den B2B-Generalisten sind Secondhand-Plattformen wie Refurbed, die sich auf die Wiederaufbereitung von gebrauchten C-Teilen spezialisiert haben. Sie haben häufig einen B2C-Hintergrund und erweitern ihre Zielgruppe jetzt um Geschäftskunden.

Nischen-Player fokussieren sich auf nur eine Branche

Deutlich gezielter als die Generalisten gehen Nischen-Player wie CaronSale oder die Gastro-Plattform Choco vor. Sie konzentrieren sich auf eine Branche und richten ihren Service an den Bedürfnissen dieser Zielgruppe aus. Bei Choco können Gastronomen beispielsweise all ihre Standardlieferanten in einer App hinterlegen und per Knopfdruck Zutaten nachbestellen. Das spart viel Zeit und somit die wertvollste Ressource im hektischen Alltag einer Grossküche.
Zielgenaue Bedürfniserfüllung ist auch der USP von Procurement-Spezialisten, welche die Beschaffung neu denken und mit besonderen Prozessen überzeugen. Ein Beispiel wäre Schüttflix, ein B2B-Marktplatz für Schüttgut, der Sand, Kies und so weiter in der gewünschten Menge zur Baustelle liefert.
Neben all diesen spannenden Plattformen ist noch ­genug Platz für neue Ideen. Experten schätzen, dass es in wenigen Jahren Tausende von B2B-Marktplätzen geben könnte. Der Goldrausch hat erst begonnen und ist noch lange nicht vorbei.
Die Autorin
Ingrid Lommer
arbeitet als Journalistin, Moderatorin und Sprecherin. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Wirtschaft, Technik und Wissenschaft.



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