16.02.2006, 18:41 Uhr
«Ohne Risiko gibt es keine Innovation»
Rick Rashid, der die Arbeiten von Microsofts weltweiten Forschungsabteilungen koordiniert, verrät, an welchen zukunftsorientierten Techniken der Redmonder Riese momentan schmiedet.
Innovation war immer eine globale Angelegenheit, behauptet Rick Rashid, Senior Vice President von Microsoft Research, dem F+E-Bereich (Forschung und Entwicklung) des Redmonder Softwarekonzerns. Als Beweis führt er unter anderem an, dass rund die Hälfte derjenigen, die einen US-amerikanischen Doktortitel tragen, ausserhalb des Landes geboren sind. Das bedeute allerdings keineswegs, dass die USA ihre führende Rolle im IT-Sektor einbüssen werde, ergänzt er.Im Interview mit Computerworld lässt Rashid einen Blick hinter die F+E-Kulissen zu: Er verrät einige der Themen, an denen der Konzern momentan tüftelt und sagt, wie aus neuartigen Techniken später Produkte werden.
Computerworld:Microsoft beschäftigt sich derzeit unter anderem mit Oberflächentechniken und Computing. Lassen Sie uns wissen, woran Sie konkret arbeiten?Rick Rashid: In nicht allzu ferner Zukunft wird es möglich werden, nahezu jede beliebige Oberfläche in eine Computerschnittstelle zu verwandeln, das ist jedenfalls unsere Überzeugung. Also forschen wir in zwei Richtungen: nach Technologien, die dies unterstützen, und nach Technologien für die Benutzerschnittstelle. Wir versuchen herauszufinden, wie die User damit umgehen werden, welche neuartigen Applikationen sich daraus ergeben könnten. Kürzlich habe ich an einer F+E-Konferenz eine solche Anwendung vorgestellt, Play-Anywhere heisst sie. Dabei beschäftigen wir uns auch mit riesigen Anzeigen respektive Bildschirmen, so gross wie eine Wand. Wir denken über neuartige, mit Gesten steuerbare Schnittstellen nach. Und wir tüfteln an halbtransparenten Oberflächen, auf die man zum Beispiel ein Objekt legen könnte und daraufhin dieses sehen und mit ihm interagieren könnte.
Computerworld:In welchen Anwendungsbereichen kämen solche Technologien sinnvollerweise zum Einsatz?Rick Rashid: Da kommen zahlreiche, unterschiedliche Bereiche in Frage. Zum Beispiel in der Medizin und im Gesundheitswesen, um für die Ärzte bestimmte Dinge zu visualisieren, wo sich die Bilder aber gleichzeitig per Hand manipulieren lassen müssen. Oder in der Kartographie und bei der Digitalisierung von Landkarten, wo der User einerseits eine visuelle Darstellung braucht, andererseits diese Schnittstellen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und ebenfalls manipulieren können muss. Vorstellbar wäre auch der Einsatz in Schulen, wo Lehrer bestimmte Dinge darstellen lassen können. Schliesslich könnten Unternehmen von solchen Visualisierungstechniken profitieren, um Informationen besser darzustellen. Sie sehen, es gibt zahlreiche potenzielle Einsatzszenarien.
Computerworld: Werden wir in absehbarer Zeit bereits erste Produkte vorgestellt bekommen, die so etwas leisten?Rick Rashid: Wir können nie genau wissen, wann eine Technik sich in einem fertigen Produkt niederschlagen wird. So etwas kann ich nicht im Voraus prognostizieren. Was wir momentan publizieren, sind Forschungsergebnisse.
Computerworld: Ihr indisches Forschungslabor meldet, dass es ein Framework entwickelt hat, das es ermöglichen würde, Instant Messages automatisch aus einer Sprache in eine andere zu übersetzen. Könnte daraus eventuell ein Microsoft-Produkt werden?Rick Rashid: Nun, innerhalb der MSN-Gruppe versuchen wir gerade herauszufinden, wie wir diese Technologie allgemein verfügbar machen könnten. Ich gehe davon aus, dass im Lauf der nächsten eineinhalb Jahre solche Funktionen tatsächlich in unsere Produkte einfliessen werden, und ziemlich sicher auch in Produkte unserer Konkurrenz.Unser erklärtes Ziel ist es, ein solches System wirklich mehrsprachenfähig zu machen. Also nicht nur Übersetzungen aus dem Englischen in eine Fremdsprache beziehungsweise aus der Fremdsprache ins Englische zu bieten.
Computerworld: An welchen Themen arbeiten Sie derzeit ausserdem weltweit? Rick Rashid: Wir haben rund 55 verschiedene Themenschwerpunkte am Laufen, darunter computergestütztes Sehen, Editieren von Bildern, Grafiktechniken und dreidimensionales Imaging. Sehr aktiv sind wir auch beim Software-Engineering, schliesslich ist der Bereich absolut entscheidend für Microsoft. Darüber hinaus leisten wir unter anderem in der Aids-Forschung einen Beitrag. So sind einige unserer Wissenschaftler mit Hilfe von Computertechniken der Frage nachgegangen, wie sich Impfkandidaten für das Aids-Virus identifizieren und herstellen lassen. Wir sind also nicht ausschliesslich in den IT-Kernsegmenten tätig, sondern auch in verwandten Disziplinen, etwa Biologie und Physik.
Computerworld: Und wie kann sich das in der Produktplanung der einzelnen Konzernbereiche widerspiegeln?Rick Rashid: Ich habe ein komplettes Team unter mir, dass sich in Vollzeit damit beschäftigt, die Arbeitsergebnisse aus unseren Entwicklungslabors zu scannen und zu überlegen, wie sie in Produkten umgesetzt werden könnten. Das wichtigste dabei ist Kreativität, um sich neue, konkrete Einsatzgebiete für eine Technik vorstellen zu können.Soweit ich mich erinnere, ist alles, was je Microsoft-intern erfunden wurde, irgendwann in ein Produkt eingeflossen. Gezielt planbar ist das alles trotzdem nicht. So haben wir die Gruppe für computergestütztes Sehen aus der Taufe gehoben, noch bevor wir irgendeine genaue Vorstellung davon hatten, welche unserer Produkte solche Funktionen überhaupt brauchen könnten. Oder Multimedia: Wir haben uns mit Streaming- und digitalen Medien befasst, lange bevor das Thema wichtig für die Produkte wurde. Auch bei 3-D-Grafiken waren wir in der Forschung der Produktplanung weit voraus. Zusammenfassend würde ich also sagen, dass der Grossteil unserer Forschungsaktivität sich eines Tages in einem Produkt niederschlägt. Forschung ist eine riskante Sache. Man hat Ideen, versucht sie umzusetzen, und das klappt nicht immer. Hat man viele Ideen und alle funktionieren, dann heisst das nur, dass man nicht risikofreudig genug ist.
Computerworld: Heutzutage sollen multinationale Unternehmen Produkte für lokale Märkte entwickeln. Bedeutet das, dass die Forschungsabteilungen gezwungen sind, eigene Niederlassungen in mehreren Ländern und Märkten zu errichten?Rick Rashid: Einen wirklichen Zwang, das zu tun, gibt es nicht. Der Grund, warum wir Forschungslabors in verschiedenen Ländern und Kontinenten haben, ist anderer Natur: Wir wollen die besten und kreativsten Leute einstellen. In diesem Zusammenhang ist es zweifellos so, dass die unterschiedlichen Lebensumstände und -erfahrungen, unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen der Forscher das Ergebnis unserer gesamten Arbeit beeinflussen, und damit schlussendlich auch die Vielfalt und Qualität unserer Produkte.Dennoch betrachte ich das eher als einen Nebeneffekt. Unser wichtigstes Ziel ist und bleibt es, dort präsent zu sein, wo Talente zu finden sind, und die Allerbesten einzustellen.
Computerworld: Würden Sie sagen, dass Innovation immer öfter ausserhalb der USA stattfindet?Rick Rashid: Ich vertrete die Ansicht, dass Innovation schon immer eine globale Angelegenheit war. Sehen Sie sich die IT-Branche doch einmal an: Die Hälfte der Doktoranden in den USA sind Leute, die ausserhalb der Landesgrenzen geboren worden sind. Innovation und Erfindungsgeist waren immer schon ein internationales Unterfangen, und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Computerworld: Dann lassen Sie mich die Frage anders formulieren. Wenn Konzerne wie Microsoft ihre F+E-Aktivitäten ausserhalb der USA forcieren und ein Teil der einst eingewanderten Doktoranden wieder in ihre Heimatländer zurückkehren, um dort eigene Firmen aufzuziehen - heisst das, dass die USA ihre Vormachtstellung in Sachen Innovation allmählich verlieren?Rick Rashid: Nein, so sehe ich das nicht. Ich beobachte diese Vorgänge zwar auch. Aber ich frage mich dabei lediglich, wie wir als globale Gemeinschaft die Technik vorwärts bringen können. Also stelle ich die besten Mitarbeiter ein, die ich finden kann, und wenn ich die nur bekomme, indem ich Labors in anderen Ländern und Erdteilen aufbaue, dann tue ich das eben.Ich mache mir keine grosse Gedanken, wie viele Mitarbeiter genau ich hier habe und wie viele anderswo. Wenn ich begabte, talentierte Leute in Indien finde, dann bin ich in Indien präsent. Wenn die Talente in China zu finden sind, dann stelle ich eben Chinesen an. Und wenn die USA solche Leute bieten, dann stelle ich US-Amerikaner an.
Rick Rashid: BiographieRichard Rashid überwacht Microsofts weltweite Forschungsaktivitäten. Der promovierte Informatiker und Absolvent der Stanford- Universität stiess 1991 zu dem Konzern aus Redmond. Zuvor war er Professor für Computerwissenschaften an der Carnegie-Mellon-Universität gewesen. Seine akademischen Arbeitsgebiete waren computergestütztes Sehen, Betriebssysteme, Programmiersprachen für die verteilte Verarbeitung, Netzwerkprotokolle und Kommunikationssicherheit gewesen. Bei Microsoft setzt er Schwerpunkte auf künstliche Intelligenz, Betriebssysteme, Networking und Multiprozessoren. Catharina Bujnoch