Häseli sagt 21.10.2021, 13:39 Uhr

Die Faszination des Unperfekten, perfekt programmiert

Ohne Kommunikation keine IT. In seiner Kolumne beleuchtet Stefan Häseli die zwischenmenschliche Kommunikation von IT und Business.
(Quelle: Stefan Häseli)
Wer hierzulande regelmässig mit dem Zug unterwegs ist, dem kommt das wohl wahrlich bekannt vor: «Gleis 3, Einfahrt des Intercity 5 nach Solothurn, Olten, Zürich Hauptbahnhof. Abfahrt, 10 Uhr 46. Erste Klasse, Sektor C, zweite Klasse, Sektoren A und B, Restaurant, Sektor B». Die Stimme wirkt vertraut und ist seit diesem Jahr eine neue. Sie ist digitaler, aber hört sich natürlicher an. Was vorher mühsam durch unzählige Textbausteine digital zusammengesetzt wurde, wird jetzt von A bis Z digital produziert.
«Die Sprache tönt flüssiger», sagt nicht nur die SBB, sondern ich nehme es auch so wahr. Isabelle Augustin, die ehemalige Geberin der Stimme, die alle Bausteine aufgenommen hat, ist akustisch in den Ruhestand getreten. Millionen von Bahnkunden hatten sie irgendwie im Ohr. Nach der Landung in Zürich Flughafen auf dem Bahnsteig im Untergeschoss angekommen, war nach der Zugsankündigung klar: Ich bin wieder zu Hause. Isabelle Augustin hatte ein perfektes Hochdeutsch. Die neue, die digitale, hat einen schweizerdeutschen Akzent, geografisch aus dem Raum Zürich. Auf Nachfrage, warum es dann jetzt kein perfektes Deutsch mehr sei, kam die Antwort: «Es soll menschlicher, näher, vielleicht auch etwas unperfekter tönen.»
Ist Sprache unperfekt, dann ist sie menschlich. Nicht nur der Sprachfluss ist menschlicher, weil natürlicher, sondern auch das nicht ganz lupenreine Hochdeutsch. Eigentlich ja faszinierend. Menschen streben Perfektion an, die Digitalisierung strebt punktuell Unperfektion an (zumindest bei Sprachausgaben). Vielleicht finden sich hier ja Mensch und Maschine. Offenbar weiss der digitale Sprachprogrammierer, dass «unperfekt» menschlich ist – vielleicht können wir Menschen uns das ja auch wieder einmal getrost zugestehen.



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