Die Schweiz reist in die Wolke 29.03.2023, 06:15 Uhr

Der Cloud-Markt wächst rasant

Die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft migrieren ihre IT zunehmend in die Wolke und die Data Center bauen ihre Kapazitäten aus, um die steigende Nachfrage stillen zu können. Die Schweiz hat aber nach wie vor Aufholbedarf.
Die Schweiz ist nicht nur mit der Patrouille Suisse, sondern auch mit ihrer IT-Wirtschaft auf der Journey-to-the-Cloud
(Quelle: Daniel Thüler)
Der Cloud-Markt in der Schweiz befindet sich in einem rasanten Wachstum. Gemäss einer Studie des Marktforschungsunternehmens IDC im Auftrag von Microsoft soll sich der Markt für Public-Cloud-Services von 2022 bis 2026 mit einem Gesamtwachstum von 22 Prozent mehr als verdoppeln, und zwar auf über 11 Milliarden Franken. Das grösste Wachstum sieht IDC im Bereich Zentrale Regierung mit 23 Prozent, gefolgt vom Gesundheitswesen, der Fertigung und dem Einzelhandel mit jeweils 22 Prozent und von Finanzdienstleistungen und Bildung mit jeweils 21 Prozent. Dominanteste Kategorie bei den Cloud-Services bleibt Software as a Service (SaaS), die bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum (CAGR) von 18 Prozent bis 2026 dann 56 Prozent des gesamten Cloud-Markts ausmachen soll. Noch schneller ist das erwartete Wachstum der Kategorien Platform as a Service (PaaS) mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von satten 32 Prozent und Infrastructure as a Service (IaaS) mit einem solchen von 23 Prozent; allerdings von einem deutlich tieferen Niveau aus, als dies bei der Kategorie SaaS der Fall ist.
Das Wachstum des Cloud-Markts in der Schweiz wird denn auch deutlich schneller als jenes des Schweizer IT-Markts insgesamt prognostiziert, der laut IDC von 2021 bis 2026 «nur» um 6,5 Prozent wachsen wird. Am grössten sind dort die Erwartungen für das Segment Software mit einem CAGR von 10 Prozent, während bei der Hardware ein CAGR von 5 Prozent und bei den IT-Services von 4 Prozent vorausgesagt werden.

Gross-Rechenzentren boomen

Damit die stark steigende Nachfrage nach Cloud-Diensten gestillt werden kann, braucht es auch ein entsprechendes Wachstum der Cloud-Infrastrukturen, sprich einen Ausbau der Data-Center-Kapazitäten. So ist es nicht verwunderlich, dass derzeit Gross-Rechenzentren wie Pilze aus dem Boden schiessen.
So hat beispielsweise der Anbieter Green Mitte Januar 2023 im zürcherischen Dielsdorf ein weiteres Hochleistungs-Data-Center in Betrieb genommen, das auf einer Fläche von 5600 Quadratmetern Platz für rund 80 000 Server bietet und High-Density-Computing erlaubt, was insbesondere von den Hyperscalern nachgefragt wird. Und dieses Data Center «M» ist erst eines von insgesamt drei, die an diesem Standort, dem Metro-Campus Zürich mit einer Fläche von über 46 000 Quadratmetern, entstehen werden. Aufgrund der grossen Nachfrage erfolgt der Baustart der Data Center «N» und «O» bereits in diesem Jahr. Doch nicht nur Kapazität, auch Nachhaltigkeit steht im Fokus von Green: So sollen die Data Center wenn immer möglich mit Umgebungsluft gekühlt werden, statt maschinell und energieintensiv. Hinzu kommen die Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gebäude und der Bezug erneuerbarer Energie. Dies erlaubt den Green-Data-Centern einen PUE-Wert nahe von 1 (der PUE-Wert bestimmt das Verhältnis zwischen dem Gesamtenergieverbrauch und der bezogenen elektrischen Energie hinsichtlich der IT-Infrastruktur). Die Abwärme des Data Centers «M» fliesst wiederum in einen künftigen Fernwärmeverbund, wodurch über 3500 Haushalte sowie Gewerbe und Industrie von klimaneutraler Heiz- und Prozesswärme profitieren können.
Green hat Anfang Jahr das erste von drei auf dem Metro-Campus Zürich in Dielsdorf geplanten Rechenzentren in Betrieb genommen
Quelle: Green
Auch Digital Realty (vormals Interxion) konnte kräftig ausbauen: Mittlerweile ist der Rechenzentrumsdienstleister mit drei Data Centern in Glattbrugg vertreten: ZUR1 (5 Megawatt Leistung/7417 Quadratmeter), ZUR2 (12 Megawatt Leistung/6300 Quadratmeter) und seit 2022 mit dem nochmals deutlich grösseren ZUR3 (24 Me­ga­watt Leistung/11 400 Quadratmeter). Alle drei Data Center sind als Campuslösung nicht nur miteinander verbunden, sondern bieten auch dieselbe Konnektivität (über 50 Telekom-Carrier, SwissIX, Netzwerkknoten von AWS, Microsoft Azure, Google Cloud). Und auch Digital Realty ist die Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen: So wird nur Strom aus Wasserkraft eingesetzt, zudem soll ab 2025 die Gemeinde Opfikon in den kostenlosen Genuss der Abwärme vom ZUR3 für ihr Fernwärme- respektive Fernkältenetz kommen, womit sich jährlich bis ca. 15 000 Tonnen CO2 einsparen lassen.
Ein weiterer Data-Center-Riese, Equinix, setzt nicht auf Neu-, sondern auf den schrittweisen Ausbau seiner Rechenzentren: Wie Equinix im Mai 2022 mitteilte, erweitert er sein Flagship-Data-Center ZH5 in Oberengstringen um einen neuen Komplex mit über 700 Quadratmetern und rund 240 Cabinets. Im Endausbau bedeutet das 7700 Quadratmeter reine Colocation-Fläche. Geplant sind dort noch zwei weitere Ausbauschritte. Equinix, das bis 2030 einen klimaneutralen Betrieb anstrebt, nutzt für den Betrieb von ZH5 erneuerbare Energie der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ). Ebenfalls wird geprüft, ob die Abwärme in Zukunft an externe Verbraucher abgegeben werden kann. Bereits im vergangenen Jahr weiter ausgebaut – es ist schon die fünfte Ausbaustufe – wurde das Equinix-Data-Center ZH4 im Herzen der Stadt Zürich, und zwar mit einer Datenhalle mit rund 850 Quadratmetern Whitespace und 200 Cabinets. Die Rechenzentren ZH4 und ZH2, die sich im gleichen Gebäude befinden, verfügen somit über noch mehr Colocation-Fläche.

Öffentliche Hand schafft Grundlagen für die Public-Cloud-Nutzung

Dass IDC für «Zentrale Regierung» das grösste Wachstum im Bereich Public Cloud prognostiziert, ist insofern nicht verwunderlich, da beim Bund ein sehr grosser Nachholbedarf besteht. Und es geht tatsächlich vorwärts, wenn auch teilweise unter externem Druck: So teilte der Bundesrat Mitte Februar mit, dass die gesamte Bundesverwaltung «nach einer gründlichen Prüfung und einer bereits länger andauernden Testphase» Microsoft Office 365 als neue Office-Version einführen wird. Nötig sei dies auch, weil Microsoft die bisher verwendeten Office-Anwendungen in wenigen Jahren, voraussichtlich ab 2026, nicht mehr unterstützen werde. Der Ersatz sei aussergewöhnlich, weil die Nachfolgeprodukte nur noch mit Public-Cloud-Anbindung angeboten werden. Deshalb habe der Bund zuerst prüfen müssen, ob und wie sich dies mit den Anforderungen der Bundesverwaltung vereinbaren lässt. Diese Abklärungen liegen nun vor und der Bundesrat hat auch schon den Verpflichtungskredit von über 14,9 Millionen Franken freigegeben. Genutzt werden darf Microsoft Office 365 von der Bundesverwaltung allerdings nur unter der Voraussetzung, dass keine besonders schützenswerten Daten oder vertrauliche Dokumente in der Microsoft Cloud gespeichert werden. Ebenso werden die E-Mails und Kalender der Mitarbeitenden weiter vom Bund selbst in dessen eigenen Rechenzentren (On-Premises) verarbeitet und gespeichert. Geplant ist die Einführung von Microsoft 365 schrittweise ab der zweiten Hälfte 2023. Ferner weist der Bundesrat darauf hin, dass die Bundesverwaltung «heute abhängig von Office-Produkten des Herstellers Microsoft» sei. Um sich mittel- bis langfristig aus dieser Abhängigkeit zu lösen, werde die Prüfung von Alternativen, auch von Open-Source-Lösungen, weitergeführt.
Dem vorausgegangen ist, dass der Bund im vergangenen Sommer/Herbst die zentrale Voraussetzung für den Bezug von hochskalierbaren Cloud-Diensten durch die Bundesverwaltung geschaffen hat: Im Rahmen des Vorhabens «Public Clouds Bund» alias WTO-20007 – dessen Fokus auf der Nutzung von «öffentlichen Daten und auf Daten, für die keine besonderen Schutzanforderungen bestehen», liegt – wurden mit fünf grossen Cloud-Anbietern inhaltlich übereinstimmende Rahmenverträge abgeschlossen und ergänzend dazu mit jedem Anbieter zusätzliche Vertragskomponenten erarbeitet. Zudem wurde mit einer rechtlichen Vertragsanalyse sichergestellt, dass die Anbieter vergleichbare Leistungen erbringen. Der Abruf von Leistungen im Rahmen von WTO-20007 bleibt optional und die Leistungen sind auf total maximal 110 Millionen Franken begrenzt. Vor dem Bezug müssen die Behörden für jedes Projekt ein «anbieterneutrales Pflichtenheft» erstellen sowie umfangreiche Abklärungen vornehmen. Zuständig für den Entscheid, ob die gewünschten Cloud-Dienste dann tatsächlich eingesetzt werden dürfen, sind die Departemente und die Bundeskanzlei.
Daraufhin beschritt eine Privatperson den Rechtsweg und forderte, dass der Bezug von Cloud-Diensten bei ausländischen Anbietern vorsorglich verboten wird. Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) lehnte den Antrag im November 2022 ab, worauf die Bundeskanzlei entschied, dass die entsprechenden Dienste – nach den vorgesehenen Abklärungen – bezogen werden dürfen, und das, obwohl noch nicht klar war, ob der Entscheid des BVGer an das Bundesgericht weitergezogen wird. Er wurde nicht, die Beschwerde wurde zurückgezogen.

Auch die Kantone sind auf der Cloud-Reise

Die Kantone sind bezüglich Cloud Computing zumindest teilweise schon etwas weiter als der Bund. So wurde beispielsweise in Schaffhausen bereits im Januar 2022 der Entscheid gefällt, dass Microsoft 365 im Jahr 2023 in der Verwaltung von Kanton und Stadt als Produktivitäts- und Kollaborationslösung eingeführt wird. Dies um Prozesse zu optimieren, die Zusammenarbeit effizienter zu machen sowie die Telefoniekosten durch die Nutzung von Teams zu reduzieren. Möglich sei dieser Schritt, weil Microsoft lokale Rechenzentren in der Schweiz betreibe.
Im vergangenen April entschied dann auch der Zürcher Regierungsrat, die Cloud-Lösung Microsoft 365 in der kantonalen Verwaltung und der Kantonspolizei zuzulassen. Als wichtigste Dienste nannte er Exchange Online und Teams. Die Leistungen würden aus Rechenzentren von Microsoft in der Schweiz bezogen und dort auch Daten gespeichert. Im Hinblick auf den Datenschutz schuf er die neue Stelle eines Cloud-Sicherheitsbeauftragten.
Der Kanton Aargau wiederum migriert mit seiner im Jahr 2016 eingeführten SAP-Basis von On-Premises in die SAP-Cloud. Der entsprechende Auftrag für insgesamt 10 Millionen Franken (über die gesamte Laufzeit von fünf Jahren) wurde im vergangenen Herbst freihändig an SAP Schweiz vergeben, unter anderem weil es «keine angemessene Alternative» gebe, wie simap.ch, der elektronischen Plattform für das öffentliche Beschaffungswesen, zu entnehmen ist.

Bildungswesen setzt zunehmend auf Cloud-Lösungen

Auch in der Bildung gewinnt Cloud Computing immer mehr an Bedeutung. Beispielsweise wechselt die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) ebenfalls mit ihrem SAP in die Cloud, insbesondere um zusätzliche Cloud-exklusive Services nutzen zu können. Der Auftrag über 6 Millionen Franken (1,8 Millionen Franken für den Grundauftrag und 4,2 Millionen Franken für Optionen) ging wiederum an SAP Schweiz. Und auch hier wurde auf eine Ausschreibung verzichtet, mit derselben Argumentation wie jener des Kantons Aargau und weil SAP eine Garantie biete, dass die Cloud-Services in der Schweiz gehostet werden.
Die EPFL wechselt mit ihrem SAP in die Wolke, um zusätzliche Cloud-Services nutzen zu können
Quelle: Shutterstock/Mihai-Bogdan Lazar
Von der Stiftung Switch wiederum wurde im vergangenen November eine neue Wolke speziell für Schweizer Hochschulen angekündigt: Die «Switch Cloud» ist spe­zifisch auf die Bedürfnisse des Schweizer Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystems (BFI) zugeschnitten. Diese würden von den bestehenden Cloud-Angeboten nur teilweise gedeckt, besonders in Sachen Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Sicherheit, Leistung und Governance. «Nutzende unserer Cloud-Lösung haben Zugang zu einem einzigartigen Zusammenarbeitsmodell, indem sie gegenwärtige und künftige Herausforderungen in die Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Switch Cloud einbringen können», so die Stiftung, die diesbezüglich mit Phoenix Systems zusammenarbeitet.

Schweizer Privatwirtschaft holt im internationalen Vergleich auf

Auch in der Privatwirtschaft geht die Reise in die Cloud stetig und unaufhaltsam weiter. Fast alle Schweizer Unternehmen beschäftigen sich derzeit in der einen oder anderen Form mit Cloud Computing, einerseits weil sie sich davon mehr Kosteneffizienz, Performance, Flexibilität, Skalierbarkeit und Sicherheit versprechen, andererseits weil sich die Software-Entwicklung immer mehr in diese Richtung bewegt und manche Funktionen exklusiv in der Cloud angeboten werden, beispielsweise was rechen­intensive Bereiche wie künstliche Intelligenz (KI) oder Daten­analyse und -verwertung anbelangt. So teilen fast im Wochentakt Unternehmen mit, dass sie mit ihren ERPs und CRMs von On-Premises- zu Cloud-Lösungen wechseln. Oft stammen diese vom selben Software-Anbieter, um die ­Migration nicht unnötig zu verkomplizieren.
Dass Cloud Computing in der Schweiz boomt, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass unser Land international nicht zu den Spitzenreitern gehört, zumindest noch nicht. Oder wie Christian Hitz, Studiengangleiter des Weiterbildungsangebots Cloud Provider Management an der ZHAW, kürzlich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte: «Wir holen auf. Die Schweiz ist in Sachen Cloud eine Spätzünderin.» Zurückzuführen sei dies unter anderem auf das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis der hiesigen ­Informatikverantwortlichen und CEOs: «Schweizerinnen und Schweizer sind von ihrer Mentalität her bewusster in puncto Datensicherheit und Datenschutz als andere Länder.» Allerdings – und da sind sich praktisch alle Experten einig – sind Daten in der Cloud oft besser geschützt als in so manchen Firmennetzwerken. Gleichzeitig werden die Cloud-Security-Lösungen fortlaufend weiterentwickelt und immer besser, sodass das Argument der ungenügenden Datensicherheit je länger je mehr entfällt.



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