13.12.2005, 09:21 Uhr

Was sich hinter SOA versteckt

SOA ist zurzeit eines der Top-Themen in der IT. Unzählige Artikel wurden darüber bereits publiziert. Trotzdem mangelt es am gemeinsamen Verständnis. Ist SOA zu abstrakt?
SOA steht für Service-orientierte Architektur - ein abstrakter Begriff, der an-hand einer Parallele zum «richtigen Leben» erklärt wird. Ein Gedanken-Expe-riment: Ersetzen Sie das Wort «Architektur» in SOA durch «Organisation». Der Begriff SOA steht damit für «Service-orientierte Organisation». Jetzt stellen Sie sich Ihr Lieblingsrestaurant vor. Heute sind Sie allerdings nicht Gast, sondern Sie gehören zum Bedienpersonal und agieren als Prozess-Schnittstelle (Workflow-Engine) zwischen den Gästen und den Servicelieferanten wie Theke oder Küche. Sie begleiten Ihren Gast an den Tisch und geben ihm die Getränkekarte und die Karte mit den heutigen Me-nüvorschlägen. Sobald der Gast ausgewählt hat, nehmen Sie die Bestellung entgegen: Menu zwei,3 dl Vino Nobile di Montepulciano und ein kleines Mineralwasser. Sie bedanken sich und wenden sich Ihren Servicelieferanten zu. Die Menübestellung geht an die Küche. Das heisst, Sie sprechen mit der Person, die Küchenservices anbietet, und teilen ihr Menü- und Tischnummer mit. Die Getränkebestellung geht an den Thekenservice. Auch dort nennen Sie Tischnummer und Getränkewunsch. Schon bald meldet Ihnen die Serviceperson der Theke, dass Ihr Auftrag ausgeführt wurde und übergibt Ihnen das Tablett mit den Getränken. Die Theke hat an alles gedacht: Eine 3 dl Karaffe Wein, eine kleine Flasche Mineralwasser, ein Flaschenöffner, ein Weinglas und ein Wasserglas mit einer Scheibe Zitrone. Sie können die Getränke servieren. Kurz darauf meldet die Küche, dass die Vorspeise bereit ist, so dass Sie diese sogleich servieren können. Im Verlauf des Abends nennen Sie der Küche nur noch die Tischnummer und erhalten darauf den nächsten Gang. Irgendwann bittet Ihr Gast um die Rechnung. Sie gehen zur Kasse, nennen die Tischnummer und erhalten die Rechnung in einem hübschen Lederetui. Der Gast bezahlt und bedankt sich für den tollen Service. In der Gastronomie ist Service-orientierte Organisation selbstverständlich - in der IT steckt sie noch in den Kinderschuhen.

EAI als Vorstufe zu SOA

In einer modernen IT-Landschaft sind Appli-kationen bereits über einen zentralen EAI-Server (Enterprise Application Integration) integriert. Im Fall unseres Restaurants würde dieser EAI-Server durch eine Integ-rationsperson repräsentiert. Sie als Workflow-Engine haben dadurch eine dedizierte Ansprechperson, die mit den Angestellten der Küche und Theke kommuniziert. Doch leider müssen Sie mit dieser Integrationsperson auf eine ganz spezielle Art und Weise kommunizieren: Menüs oder Getränke (Bu-siness-Objekte) kennt sie nicht. Von der Integrationsperson erhalten Sie auch keine Menü- oder Getränkekarte, sondern nur einige Rezepte, die in der Küche zubereitet werden können, und eine Bestandesliste des Getränkelagers. Die Menüs müssen Sie selber zusammenstellen und aufschreiben. Auch die Getränkekarte liegt in Ihrer Hand. Aufgrund der Bestandesliste müssen Sie die Getränke heraussuchen, die Sie Ihrem Gast anbieten können. Erst wenn Sie all dies erledigt haben, kann der Gast seine Bestellung aufgeben.

Wenig standardisiert

Um den Wein zu bestellen nennen Sie der Integrationsperson die genaue Bezeichnung der Flasche und die Grösse der Karaffe. Dasselbe gilt für das Mineralwasser - mitteilen müssen Sie die genaue Bezeichnung und das Volumen. Denn nur damit können die Personen an der Theke etwas anfangen. Auch die zwei Trinkgläser, einen Korkenzieher, einen Flaschenöffner und die Zitronenscheibe müssen Sie bestellen. Immerhin spricht die Integrationsperson Ihre Sprache und übersetzt ihre Bestellungen in die jeweiligen Sprachen der Ansprechpersonen. Der Küche müssen Sie via Integrationsperson ein Rezept pro Gang zukommen lassen. Achtung: Die Mengenangaben müssen noch angepasst werden. Denn die Rezepte sind meist für vier Personen ausgelegt. In der modernen Architektur übernimmt die In-tegrationsperson diese Arbeit für Sie. Die Aufträge für die weiteren Gänge können Sie noch nicht abgegeben, sonst würden diese sofort zubereitet. Unterdessen ist die Theke lieferbereit. Die Integrationsperson übergibt Ihnen eine Flasche Wein, eine Flasche Wasser, eine Karaffe, zwei Gläser, Korkenzieher, Flaschenöffner und eine Zitronenscheibe. Sie müssen nun den Wein öffnen und 3dl in die Karaffe abfüllen. Dann geben Sie die Zitronenscheibe ins Wasserglas und stellen Karaffe, Mineralwasser und die Gläser auf ein Tablett und servieren die Getränke Ihrem Gast. Na also, klappt doch. Danach gehen Sie wieder zur Integrationsperson und erfahren, dass die Küche die Vorspeise liefern kann. Allerdings erhalten sie diese in einzelnen Töpfen. Daraus ein ansprechendes Gericht auf einem Teller zu arrangieren, ist Ihr Job.

Zu

sammenspiel der IT-Systeme

Vielleicht lächeln Sie jetzt ungläubig, doch so sieht eine moderne IT-Landschaft heute aus. Immerhin gibt es eine Integrations-person, die Ihnen einen Grossteil der Arbeit (Kommunikation und Organisation) abnimmt. Sie übersetzt die Aufträge an die einzelnen Personen in deren Sprache und übernimmt gewisse Koordinationsaufgaben - es könnte schlimmer sein. Ohne diesen EAI-Server, also ohne die Integrationsperson, müssten Sie mit jeder einzelnen Person in der Küche oder an der Theke selbst kommunizieren. Sie müssten wissen, in welcher Form jede einzelne Person die Aufträge erwartet (Datenstruktur) und Sie müssten die Sprache jeder Person sprechen (Protokoll). Wenn Sie eine sprachbegabte und Multistruktur-fähige Person sind, schaffen Sie das locker. Natürlich müssten Ihre Kollegen über das gleiche Talent verfügen.

Org

anisation verändern

Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn der französische Küchenchef durch einen indischen ersetzt wird. Sie und alle anderen Workflow-Engines müssten Indisch lernen und wahrscheinlich gewisse Strukturen anpassen - für IT-Applikationen bedeutet dies meist teure Änderungen.
Entfernen wir jetzt noch Sie, die Workflow-Engine. Der Gast muss sich jetzt selbst um alles kümmern. Teilweise findet er Personen wie einen Koch, der ihm anhand eines Rezepts das Gericht zubereiten kann. Teilweise findet er auch nur ein Lager, in dem er sich selbst bedienen muss. Und so sieht es leider in der IT-Landschaft vieler Unternehmen aus: nicht integrierte Applikationen, manuelle Tätigkeiten, Medienbrüche. Weit, weit weg von einer Service-orientierten Architektur.
Warum basiert denn heute noch so wenig auf einer SOA? Ein Grund sind sicher die hohen, anfänglichen Investitionen, die mit der Umsetzung einer SOA verbunden sind. Nur Personen, die Menüs und Getränke kennen, die Sprache der Workflow-Engines und die Sprache der Lieferanten sprechen, erfül-len die nötigen Anforderungen. Doch solche Multitalente sind teuer. Und die «Weltsprache» (zum Beispiel XML-Webservices) gibt es in der IT noch nicht lange. Wenn Sie nicht alle Angestellten durch Service-orientierte Personen ersetzen können, benötigen Sie eine Integrationsperson, die das Übersetzen und gewisse Koordinationsaufgaben übernimmt - den EAI-Server.
Eine grosse organisatorische Herausforderung beim Umsetzen einer SOA ist das Festlegen der Prozesse und die Definition der Services. Hierzu sind alle Beteiligten gefragt und plötzlich müssen der Beilagenkoch und der Saucenchef über das Menü diskutieren, obwohl sie gewohnt sind, in Rezepten und Zutaten zu denken.

Muss immer alles SOA sein?

Denken Sie wieder an Ihre Rolle im Restaurant als Workflow-Engine. Ihnen ist es einerlei, wie die Angestellten in der Küche kommunizieren und wer wann was erledigt. Sie kennen das Business-Objekt (Menü) und erwarten entsprechende Services. Wenn der Beilagenkoch oder der Backofen ausgetauscht wird, hat dies keinen Einfluss auf Sie und Ihre Arbeit. Zudem könnte das Res-taurant seine Services auch externen Personen anbieten, die nichts über die internen Strukturen und Abläufe wissen. Ein Lieferservice, der seine Aufträge per Telefon oder Internet erhält, würde die gleichen Services nutzen wie die Workflow-Engines im Restaurant.
Eine SOA kann also klare Vorteile bringen, ihre Umsetzung ist jedoch nicht in jedem Fall sinnvoll. Der Schnellimbiss um die Ecke als One-Man-Show kommt auch ganz gut ohne eine Service-orientierte Organisation zurecht. Doch Vorsicht: Die Frage, ob die Umsetzung einer SOA sinnvoll ist, lässt sich nicht auf die Frage «Schnellimbiss oder Restaurant?» reduzieren.
* Werner Wittich ist Business Unit Leiter der Einheit «Enterprise Solutions & Integration» bei Zühlke Engineering, Schlieren, www.zuehlke.com
Werner Wittich*


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