15.04.2011, 06:00 Uhr

Kleiner Aufwand, grosse Wirkung

Nach der Krise ist vor der Krise – soweit die ökonomischen Tatsachen. Unternehmen sollten die Verschnaufpause nutzen, um sich und ihre IT entsprechend zu rüsten. Dabei ist es nicht immer nötig, das komplette System auszutauschen. Manchmal helfen auch schon kleinere Anbauten.
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Der Autor ist Senior Business Consultant bei Infor Wer mit einem blauen Auge davongekommen ist, sollte wissen: Die nächste Krise kommt bestimmt – und dafür müssen Präventivmassnahmen getroffen werden. Doch tun die Unternehmen das auch? In Zusammenarbeit mit der Hamburger Unternehmensberatung SoftSelect hat Infor bei Geschäftsführern und kaufmännischen Leitern von 120 mittelständischen und grossen Unternehmen nachgefragt, ob und wie sie vorsorgen. Die ernüchternden Ergebnisse: Viele sind sich der Gefahren zwar bewusst, entsprechende Massnahmen ergreifen allerdings nur wenige. Jedes vierte Unternehmen setzt eine Software länger als zehn Jahre ein und verzichtet aufgrund der hohen Investitionskosten auf den Generationswechsel ihrer ERP-Software. Stattdessen werden hohe Wartungs-, Betriebs- und Prozesskosten einer inkonsistenten und wenig flexiblen Altlösung in Kauf genommen. Die Gründe dafür liegen zum einen am fortwährenden Kostendruck und an der Schwierigkeit, an neues Kapital zu kommen. Zum anderen bremsen die langen Einführungszeiten neuer Systeme die Wechselbereitschaft aus. Dabei muss es nicht immer der Komplettaustausch sein, um wettbewerbsfähig und krisensicher zu bleiben. Es gibt eine Reihe verschiedener Möglichkeiten zur Software-Modernisierung, die auch mit wenig Geld und geringem Zeitaufwand durchgeführt werden können – angefangen bei produktionsnahen Lösungen für Product Lifecycle Management über Vertriebs- und Logistikanwendungen wie Customer Relationship Management und Supply Chain Management bis zu finanzgetriebenen Applikationen wie Business Intelligence beziehungsweise Performance Management.

Kostenfaktor Lagerhaltung

Ein einfaches Beispiel: Statt Logistikprozesse komplett neu aufzusetzen, kann schon die Einführung einer Lösung zur Erfassung und Ver­arbeitung von Barcodes für mehr Flexibilität sorgen, wie das Beispiel eines niederländischen Anlagenbauers zeigt. Meyn Food Processing Technology stellt Systeme für die geflügelverarbeitende Industrie her. «Durch die Kanban- und Cross-Dock-Funktion (beides Methoden der Materialsteuerung aus dem Supply Chain Management und Bestandteil der Infor-Barcode-Lösung) haben wir unsere Bestände im Zentrallager um mindestens 50 Prozent verringern können», erklärt John Deken, Business Analyst bei Meyn Food. Weil das System vergleichsweise einfach und ohne grossen Kostenaufwand zu implementieren war, habe es sich  rasch bezahlt gemacht. Lagerbestände sind ein kritischer Wert, wenn es darum geht, die Qualität betrieblicher Prozesse zu beurteilen. Ähnliche Erfahrungen hat auch Alcoa, ein deutscher Anbieter von Kabelbäumen gemacht: Bei dem Unternehmen häuften sich zu grosse Bestände im Rohstofflager an. Wie sich herausstellte, ging die Lieferantenkommunikation nicht koordiniert vonstatten. Nach acht Monaten Implementierungszeit der SCM-Lösung Supply Web kommuniziert Alcoa nun wesentlich effizienter mit seinen über 300 Lieferanten, konnte seine Bestände um 20 bis 25 Prozent reduzieren und erstmalig eine Pull-basierte Nachbestellung realisieren. Das heisst, es wird nach der aktuellen Auftragssituation und weniger spekulativ eingekauft.

Optimierungspotenziale ausloten

Grösseres Optimierungspotenzial bieten Lösungen für die Produktionsfeinplanung und -terminierung. Denn um Fertigungsressourcen bis auf das letzte Quäntchen produktiv auszulasten, muss genauestens geplant werden – jede Minute zählt. Ein realistisch erscheinender Tagesplan scheitert unter Umständen an plötzlichen Kapazitäts- und Materialbeschränkungen oder an Wechselwirkungen, die durch Umrüstungen entstehen. Um Liefertermine einhalten zu können, muss ein ergänzendes Planungs-Tool her. Die GSR Ventiltechnik, ein deutscher Spezialist für kundenspezifische Ventil-Sonderlösungen, arbeitet zum Beispiel mit einem solchen Production-Planning- und Scheduling-System. Michael Beer, Leiter Technik und Produktion bei
GSR, erklärt, warum: «Wir lassen viele routinemässigen Aufgaben vom System machen. Dadurch können wir vorausschauender planen, rechtzeitig Handlungsalternativen zu Störungen ergründen, realistische Lieferterminzusagen treffen und kurzfristig auf Kapazitäts- oder Bestelländerungen reagieren.» Firmen, die verderbliche Waren verarbeiten, haben zusätzliche Schwierigkeiten zu bewältigen. Die niederländische Brauerei Heineken etwa musste besonderes Augenmerk auf die Verderblichkeit ihrer Waren und auf Verbrauchsspitzen im Sommer legen. Durch eine Software-gestützte Feinplanung, also minuten­genaue Abfüllung und ein abgestimmtes Management von Behältern, Tanks und Fertigungslinien konnten zusätzliche Produktionskapazitäten vom Umfang eines kompletten Tanks freigelegt werden.

Austausch oder Ergänzung?

Die Frage, ob Modernisierungen oder Erweiterungen sinnvoll sind, können die meisten Unternehmen aus dem Effeff beantworten. Kniffliger ist da schon die Frage, wo man sinnvollerweise ansetzt. Viele Software-Unternehmen bieten daher Analysen über den Status Quo eingesetzter Lösungen an. Je länger eine Software angewendet wird, umso wahrscheinlicher ist, dass es Verbesserungspotenzial bei der täglichen Nutzung gibt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Mitarbeiter verlassen die Firma und nehmen wichtiges Wissen mit. Denkbar ist auch, dass sich die Aufstellung des Unternehmens im Markt ändert – durch starkes Wachstum, durch eine internationale Expansion oder durch eine Portfolio-Erweiterung. Wird nicht gleichzeitig die Nutzung des Systems konsequent angepasst, verlieren die Prozesse an Effizienz. Um diese Effizienzverluste aufzudecken, schickt Infor beispielsweise Berater vor Ort ins Unternehmen, die mit einem speziellen Fragebogen Interviews mit den Fachbereichsverantwortlichen durchführen. Die Auswertung der Antworten spiegelt die aktuelle Systemnutzung wider. Auf dieser Basis wird zusammen mit den Anwendern ein Massnahmenkatalog entwickelt: Möglicherweise könnte ein weiteres Modul, eine individuelle Anpassung oder einfach weitere Schulungen ungenutzte Potenziale aktivieren. Dass der Austausch kompletter ERP-Systeme sowie einheitliche IT-Landschaften zwangsläufig zu Kosteneinsparungen und mehr Effizienz führen müssen, ist eine weitläufig falsche Annahme. Im Gegenteil: Zwar wird im Vertrieb grosser ERP-Anbieter oft die Vereinheitlichung der Systeme als Wert für sich verkauft. Dieser Wert ist jedoch höchst immateriell und oftmals nur für die IT-Abteilung spürbar. Die Realität zeigt vielmehr, dass alte ERP- oder Patchwork-Systeme mit grossem Aufwand, hohen Kosten und mehrjährigen Einführungszeiten abgelöst und durch ein einheitliches ERP-System ersetzt werden. Funktional im Sinne der Abbildung von Geschäftsprozessen ist dadurch aber meist nicht viel gewonnen: Oft wird sogar als Projektziel vereinbart, lediglich die existierenden und schon funktionierenden Geschäftsprozesse im neuen System abzubilden. Wer sich trotz aller Widerstände für einen Wechsel entscheidet, sollte daher sicherstellen, dass die Zielvereinbarungen auch Geschäftsprozess-verbesserungen oder noch besser monetär wirksame Veränderungen durch die Neu-Einführung enthalten. Wenn schon viel Geld in ein Projekt fliesst, muss für die Fachabteilungen auch inhaltlich mehr herausspringen, als sich nur auf ein neues System einstellen zu müssen. Letztlich bleibt einer der wichtigsten Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen einen Komplettaustausch die Steuer: Nur wenn ein System schon abgeschrieben ist, gehen
bereits getätigte Investitionen nicht verloren. Die Bewahrung von Investitionen ist somit das wichtigste Argument für den alternativen Modernisierungsweg. Alle grossen Software-Häuser bieten inzwischen Applikationen an, die klassische ERP-Systeme erweitern. Im Kostenvergleich schneidet die Ergänzung durchweg besser ab als der Austausch der gesamten ERP-Lösung. Hat der Anbieter zudem das Schnittstellenthema und damit den Austausch von Daten zwischen der ergänzenden Lösung und den bestehenden Systemen bereits zufriedenstellend gelöst, könnte das den Lebenszyklus einer ERP-Lösung entscheidend verlängern.


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