KI-Hype zwischen Erfolg und enttäuschter Hoffnung

Artificial Discrimination

Noch immer hält sich die Vorstellung hartnäckig, Computerprogramme seien neutral, unbestechlich und vorurteilsfrei. Ein gutes Beispiel für diese Einstellung ist der Chef des österreichischen Arbeitsmarktservices AMS, Johannes Kopf. Auf Vorwürfe, die vom AMS eingeführten Algorithmen zur Bewertung von Arbeitslosen diskriminierten ältere, alleinerziehende und ausländische Arbeitssuchende, reagierte er mit Unverständnis: «Nicht das System diskriminiert, sondern es gibt alleine Auskunft über die Arbeitsmarktchancen», erklärte Kopf gegenüber dem Netzmagazin «Futurezone». Auch die Trefferquote von 85 Prozent hielt Koch für «sehr gut», obwohl diese Rate bedeutet, dass rund 50'000 Menschen im Jahr falsch klassifiziert werden.
Sarah Spiekermann, Leiterin des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, kritisiert diese Einstellung scharf: «Der gegenwärtig mir bekannte Stand der Technik gibt es nicht her, verlässlich über einzelne Personen mit solcher Präzision zu urteilen, dass man darauf die weitere Förderung durch den Staat basieren dürfte», schreibt sie in ihrem Blog «Die ethische Maschine» auf «DerStandard.at». Spiekermann bezeichnet den Einsatz von Algorithmen zur Menschenklassifizierung als entwürdigend und naiv. «KIs stecken Menschen in Schubladen auf Basis von Regeln, die sie aus einer grossen Grundgesamtheit von Daten abgeleitet haben.»
“KIs stecken Menschen in Schubladen auf Basis von Regeln, die sie aus einer grossen Grundgesamtheit von Daten abgeleitet haben„
Prof. Dr. Sarah Spiekermann, Leiterin des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien
Der Einsatz von KI zur Bewertung von Arbeitslosen mag fragwürdig sein und berührt mit Sicherheit die Grundrechte der Betroffenen, es geht aber noch schlimmer. Falsch eingesetzt sind Algorithmen sogar in der Lage, das Leben von Menschen nachhaltig zu beeinträchtigen oder sogar zu zerstören. So verwenden etwa viele US-Justizbehörden das Vorhersagesystem COMPAS (Correctional Offender Management Profiling for Alternative Sanctions), um die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern abzuschätzen. Das System berechnet drei Scores: «Pre­trial Release Risk» bezeichnet das Risiko, dass ein auf Kau­tion freigelassener Angeklagter noch vor dem Prozess Straftaten begeht, «General Recidivism» bewertet die generelle Rückfallwahrscheinlichkeit und «Violent Recidivism» prognostiziert die Wahrscheinlichkeit, dass der Delinquent zukünftig Gewalttaten verübt. Der Hersteller Equivant behauptet, auf Basis von nur sechs Faktoren eine Prognosegüte von 70 Prozent zu erreichen. Wissenschaftler bezweifeln den Nutzen solcher Systeme jedoch massiv. Laut Julia Dressel und Hany Farid vom Dartmouth College sind die Vorhersagen von COMPAS nicht besser als die von Menschen ohne oder mit geringem Fachwissen im Bereich der Strafjustiz.
Quelle: Gartner
Doch damit nicht genug: Der COMPAS-Algorithmus ist nicht nur unzuverlässig, sondern auch diskriminierend. Der Nachrichtenplattform «ProPublica» zufolge treten bei afroamerikanischen Straftätern rund doppelt so viele falsche Zuordnungen zur Hochrisikogruppe auf wie bei weissen (45 versus 23 Prozent). Die Diskriminierung durch Algorithmen ist im Übrigen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner werden bis 2022 rund 85 Prozent aller KI-Projekte fehlerhafte Ergebnisse liefern, weil die Datenbasis verzerrt ist oder bei der Programmierung und beim Training der Algorithmen unbewusst menschliche Vorurteile eingeflossen sind.

Fazit & Ausblick

Die Leistungen KI-basierter Systeme sind beeindruckend. Sie sind schneller, effizienter und zuverlässiger als jeder menschliche Experte, wenn es um die Mustererkennung in grossen Datenmengen und vieldimensionalen Datenräumen geht. In allen heutigen Anwendungsfällen handelt es sich jedoch um sogenannte «schwache KI».
Die Systeme sind in ihrem eng begrenzten Einsatzgebiet höchst effizient, scheitern aber schnell, wenn sich die Voraussetzungen auch nur ein wenig ändern. Die erstaunlichen Fortschritte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Forschung und Entwicklung nach wie vor meilenweit von einer «starken KI» entfernt sind und nicht einmal in die Nähe menschlicher Intelligenzleistungen kommen. Es ist daher unseriös und gefährlich, ihnen Entscheidungen zu überlassen, die nur Menschen treffen können und dürfen.
Besonders problematisch wird der Glaube an die Allmacht der Algorithmen, wenn deren Empfehlungen das Leben der Betroffenen massiv beeinträchtigen können. Scheinbar gute Trefferquoten von 70, 80 oder auch 90 Prozent sind in solchen Fällen absolut inakzeptabel, denn sie bedeuten, dass Hunderte oder gar Tausende von Menschen falsch klassifiziert und damit unter Umständen entsprechend ungerecht behandelt werden.



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