Data Center 13.05.2020, 08:40 Uhr

Gleichstrom erobert das Rechenzentrum

Wenn Digitalisierung auf Energiewende trifft, sind neue Konzepte gefragt. Ein vielversprechender Ansatz ist die Energieversorgung von Datenzentren mit Gleichstrom. Ein Hoffnungsträger im Kampf um die Energieeffizienz.
Der Stromverbrauch ist ein entscheidender Kostenfaktor beim Betrieb eines RZs. Anbieter könnten viel Geld sparen durch den durchgehenden Einsatz von Gleichstrom
(Quelle: Lisa-S / shutterstock.com)
Rechenzentren (RZ) brauchen Kapital und Energie, um den Produktionsfaktor Daten ausfallsicher zu handhaben. Der Energiebedarf der RZs könnte in absehbarer Zeit überproportional steigen, warnen Fachleute. Laut der IDC-Studie «Data Age 2025 – The Digitization of the World» sollen die globalen Datenbestände von 33 Zettabyte im Jahr 2018 auf 175 Zettabyte 2025 steigen, das entspricht einem Wachstum von 530 Prozent. Damit einher geht auch ein steigender Strombedarf. Um den auch durch die Digitalisierung wachsenden Energiehunger in den Griff zu bekommen, suchen Unternehmen händeringend nach Stromsparpotenzialen für ihre Rechenzentren. Ein Hoffnungsträger in diesem Kampf um Energieeffizienz heisst Gleichstrom. 

Gleichstrom vs. Wechselstrom

Vor der Energiewende hat sich die Frage Gleichstrom oder Wechselstrom für Rechenzentren nicht gestellt. Erst das Thema erneuerbare Energiequellen hat die Problematik ans Tageslicht gebracht. Zudem ist die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung eine vergleichsweise junge Technik. IT-Geräte wie Server, Storage oder Switches und andere ICT-Komponenten nutzen intern Gleichstrom (DC für Direct Current), typischerweise mit je 12 Volt pro Leitung. In einem konventionellen Rechenzentrum beziehen sie jedoch Wechselstrom (AC für Alternate Current) mit 220 Volt Spannung je Leitung aus den Leistungsverteilern. Die Umwandlung von Wechsel- in Gleichstrom erfolgt im Netzteil der Geräte und geht mit hohen Energieverlusten, vorwiegend in Form von Abwärme und elektro­magnetischen Störfeldern, einher. 
AC-zu-DC-Transformatoren geben ihre Abwärme in direkter Nähe temperatursensibler IT-Bauteile ab. Dies erhöht sowohl den unmittelbaren Bedarf an aktiver Kühlung als auch die Kosten eines Betriebsausfalls der Kälteanlagen. Die Notwendigkeit der Abführung beziehungsweise Neutralisierung der Abwärme und der Abschirmung elektromagne­tischer Störfelder reduziert die erzielbare Systemdichte und erhöht so den ökologischen Fussabdruck der ICT. 
Zusätzliche Herausforderungen entstehen, wenn die Hauptversorgung ausfällt. Batterien und Notfallaggregate liefern nämlich keinen Wechselstrom, sondern Gleichstrom. Zur Gewährleistung einer unterbrechungsfreien Energie­versorgung muss also zuerst eine Konvertierung von Gleichstrom in Wechselstrom und dann wieder zurück stattfinden, stets unter Erhaltung der Netzfrequenz. Auch Selbstversorger haben es nicht leicht. Denn «grüne» Energiequellen wie Fotovoltaikanlagen oder Windturbinen erzeugen von sich aus Gleichstrom. Jede Umwandlung von Gleich- in Wech­selstrom und umgekehrt geht mit Energieverlusten und hohem Platzbedarf einher. 
Ausrüstern wie ABB, Amstein + Walthert und Stulz zufolge könnte ein RZ durch den Wegfall der Umwandlungsschritte auf dem Weg von der Einspeisung bis hin zum Endgerät eine Effizienzerhöhung von mehr als 10 Prozent realisieren. 

Zuverlässigkeit könnte steigen 

Ein weiterer Vorteil des Gleichstroms: Ein Data Center benötigt mehrere redundant ausgelegte Energiequellen, um einen unterbrechungsfreien Betrieb und die erforderliche Datenintegrität zu gewährleisten. Die Zuverlässigkeit der Stromversorgung liesse sich dank Gleichstrom aufgrund der geringeren Kom­plexität auf das Zehnfache steigern, hat wie­derum der IT-Anbieter NTT vorgerechnet. Der durchgängige Einsatz von Gleichstrom könnte Experten zufolge die gesamte Energieversorgungskette von RZs vereinfachen und nebenbei auch die Anbindung der Stromverbraucher an regenerative Energiequellen erleichtern. 
Gleichstrom würde zu einer höheren Energieeffizienz massgeblich durch drei Faktoren beitragen:
  • Keine DC-zu-AC-Umwandlung bei Selbstversorgern: Regenerative Energiequellen wie Windturbinen und Fotovoltaikanlagen erzeugen Gleichstrom; die umständliche Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom zur Einspeisung ins eigene Netz entfällt für ein Gleichstrom-RZ.
  • Wegfall der AC-zu-DC-Umwandlung im Rechenzentrum: IT-Geräte laufen mit Gleichstrom statt mit Wechselstrom; die sensible IT-Elektronik erfordert bisher eine Umwandlung von Wechselstrom (zurück) in Gleichstrom. 
  • Starke Reduktion von Streuverlusten bei Hochspannung: Die Übertragung von Gleichstrom über hohe Distanzen reduziert die Streuverluste gegenüber Wechselstrom. 

Open Source für Gleichstrom 

Für eine Versorgung mit Gleichstrom sind RZs wie geschaffen. Aufgrund der Homogenität der Anforderungen seitens der ICT-Anlagen kommen Data Center im Vergleich zur sonstigen Industrie mit einer geringen Zahl an Spannungs­niveaus aus. «Eine konsequente Verwendung der Gleichstromtechnologie im Rechenzentrum ist wirtschaftlicher und effizienter als die konventionelle Wechselstromtech­nologie», urteilte bereits vor drei Jahren eine Studie von Amstein + Walthert im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Energie BFE. Es fehlten zu dem Zeitpunkt aber noch technische Standards der Komponenten und Schnittstellen. 
Inzwischen hat sich die Lage in diesem Punkt verbessert, auch dank Initiativen wie Open Compute Project (OCP) und Open19. Auch konkrete Produkte liessen lange auf sich warten. Doch mittlerweile boomt die Nachfrage. OCP ist ein Projekt zur Entwicklung quelloffener Hardware-Standards, um reibungslose Interoperabilität und massive Skalierbarkeit zu gewährleisten. Zu den treibenden Kräften zählen – neben Gründungsmitglied Facebook – Intel, Nvidia, Rackspace und Goldman Sachs. Deutsche Telekom, Rittal und Schneider Electric sind als Sponsoren mit an Bord. 

Open19 Foundation 

Während OCP vorrangig die Bedürfnisse von Hyperscale-Data-Centern berücksichtigt, geht es der Open19 Founda­tion um Rechenzentren beliebiger Grösse – von Rechenzentren mit mehreren Hunderttausend Servern bis hin zu Micro-Data-Centern an Edge-Standorten der Industrie 4.0. 
Erklärtes Ziel der Open19 Foundation ist es, Ineffizienzen im Betrieb von RZs durch offene Spezifikationen und die Energieversorgung der Racks mit Gleichstrom aus­zumerzen. Zu den Mitgliedern zählen Microsoft, HPE, Rittal und Schneider Electric. Open19 definiert einen gemein­samen Formfaktor sowie die Eckdaten der Stromversorgung und der Netzwerkkonnektivität für Server, Storage und weitere Komponenten. Anders als OCP legt die Open19-Spezifikation aber weder das Design von Mainboards noch die zulässigen Prozessortypen oder Netzwerkkarten fest.

Neue Racks für Gleichstrom 

Im Rahmen von OCP und Open19 entstehen quelloffene Standards auf der Basis interoperabler Hardware-Architekturen zum Aufbau homogener, skalierbarer und energie­effizienter Rechenzentren. Zur Gewährleistung einer unterbrechungsfreien Energieversorgung kommen dabei als Rack-Systeme nur noch ein oder zwei sogenannte Power-Shelves mit (N+1-)Netzteilen pro Rack zum Einsatz; diese versorgen alle Komponenten im Server-Schrank mit Gleichstrom. Das Design reduziert den Platzbedarf, erhöht die Systemdichte und erleichtert die Kühlung. 
OCP bevorzugt Schränke mit einer Breite von 21 Zoll, kann aber auch Standardkomponenten mit 19-Zoll-Formfaktor unterbringen. Open19 setzt auf die einheitliche Rack-Grösse von 19 Zoll. Ein OCP-Schrank wird nur von der Vorderseite aus bedient. Die Energieverteilung erfolgt auf der Rückseite des Racks via 12-Volt- oder 48-Volt-Stromleiste, die beim Einschub einer IT-Komponente automatisch Kontakt mit dieser aufnimmt. Ein Open19-Rack wiederum verfügt über einen speziellen Kabelbaum auf der Rückseite. 

Fazit: Entwicklung spricht für Gleichstrom 

Durch Umstellung auf Gleichstromtechnik können RZ- Betreiber den Energiekosten Einhalt gebieten. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Zwar ist die erstmalige Umrüstung eines RZs mangels etablierter Standards mit Aufwand verbunden, doch kommen die Effizienzgewinne durch Wegfall der Wandlungsverluste dem Betreiber danach zugute. 
OCP hat hierzu bereits konkrete Zahlen: Ein mit Wechselstrom betriebenes RZ erreicht danach eine Systemeffizienz von 77 Prozent. Ein RZ mit 400 Volt Gleichstrom nach OCP-Vorgaben würde die 90-Prozent-Marke durchbrechen und 16,8 Prozent Systemeffizienz gewinnen. Gleichstrom-RZs und -Racks halten nicht nur bei Hyperscalern, sondern auch in kleineren Rechenzentren Einzug. Das schlägt sich auch in Umsatzzahlen nieder. Laut dem Marktforschungsunternehmen IHS Markit haben Mitglieder der OCP-Foun­dation 2018 mit quelloffener Rechenzentrumsausrüstung 2,5 Milliarden Dollar US-Umsatz erwirtschaftet.



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