Praxis 03.05.2013, 09:09 Uhr

Vorsprung durch Daten

Als Schlagwort ist Big Data längst in den Marketingabteilungen angekommen. Praktiziert wird die Tiefenanalyse der Datenströme in der Schweiz allerdings kaum. Dabei böten sich dem E-Commerce unzählige Möglichkeiten, durch die Analyse des Kundenverhaltens den Vertrieb zu optimieren.
Welche Methoden zur Datenanalyse nutzen die Schweizer Online-Händler?
Wenn es um das Analysieren des Verhaltens der Nutzer geht, gibt es wohl keinen Shop-Betreiber, der nicht auf Google Analytics setzt. Doch bei der Analyse des Kundenverhaltens kratzt das kostenlose Tool nur an der Oberfläche des Möglichen. Theoretisch liesse sich jeder einzelne Kunde verfolgen und bei jedem Klick könnte man die Reaktion ablesen: An welchem Punkt im Verkaufsprozess springt der Interessent ab? Welches Produkt hat er sich besonders lange angesehen? Wechselt er womöglich zu einer Konkurrenzseite? So weit sind die meisten Unternehmen in der Schweiz noch lange nicht – zum Teil deshalb, weil der Datenschutz manchen Begehrlichkeiten einen Riegel vorschiebt. Aber auch weil man noch keine passenden Werkzeuge hat oder weil das Business die Daten gar nicht abfragt.

Was Analysiert die Schweiz?

Wir haben uns unter Schweizer Onlineshop-Betreibern einmal umgehört, ob und wie sie das Verhalten ihrer Kunden analysieren. «Durch ein externes Tool messen wir die Besucherzahlen der verschiedenen Onlinekommunikations­kanäle wie zum Beispiel Newsletter, Social-Media-Plattformen oder Bannerwerbung. So sehen wir, welchen Erfolg beziehungsweise welche Klickraten die verschiedenen Marketing­instrumente erzielen», sagt Erwin Bucheli, Social Media & PR Manager von Steg. «Es werden keine persönlichen Kundendaten gesammelt, analysiert oder weiterverarbeitet.» In Zukunft dürfte dieses Thema aber an Bedeutung gewinnen, vermutet der PR-Manager des Computerhändlers. Auch beim Mitbewerber Digitec ist man sich bewusst, dass die Analyse von Kundendaten immer wichtiger wird, und ist auch vorbereitet: «Wir kennen die Möglichkeiten im Umgang mit gesammelten Onlinedaten und wissen sie auch auszuschöpfen», sagt PR-Managerin Stefanie Hynek. «Teilweise analysieren wir bereits Kundengeschichten, Einkaufsvolumen sowie -frequenz. Wir sprechen in einigen unserer Aktionen auch gezielt bestimmte Zielgruppen an. Eine umfassendere praktische Umsetzung wird jedoch erst nach Lan­cierung des neuen Shops realisierbar sein», so Hynek. Der Lebensmittelhändler Coop beschäftigt für seinen Online-Store coop@home ein eigenes Data-Mining-Team, das dem Marketing angegliedert ist und die Kundendaten analysiert. Die IT stellt lediglich die Datenbanken und Werkzeuge zur Verfügung. Weitere Details zur Methode und welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden, wollte Coop allerdings nicht verraten, nur so viel: «Wir ent­wickeln die Themen weiter.»

Retargeting bei Zalando

Retargeting bei Zalando

Zalando, das für 8,33 Prozent der Einkäufe im Schweizer Onlinehandel verantwortlich und damit der grosse Aufsteiger des letzten Jahres ist, tut einiges mehr. Hat sich ein Shop-Besucher zum Beispiel einen bestimmten Turnschuh auf der Zalando-Plattform angesehen und ist danach auf die Webseite des Tages-Anzeigers gewechselt, bekommt er die passende Turnschuh-Anzeige eingeblendet. «Retargeting» nennt sich dies. Welche Anforderungen dafür an die IT gestellt werden oder welche Software dazu eingesetzt wird, will Zalando trotz mehrmaligem Nachfragen nicht beantworten. Generell halten sich die Unternehmen mit detaillierten Auskünften zu Technik und Methodik bedeckt, denn gerade im Bereich Kundenverhaltensmonitoring ist technischer Vorsprung gleichbedeutend mit einem Startvorsprung im Wettbewerb.

Brack.ch ist der Konkurrenz voraus

Rolf Geisser, Leiter E-Commerce bei Brack.ch, sieht das etwas differenzierter: «Retargeting hat als Marketinginstrument bei uns heute noch einen eher geringen Stellenwert.» Denn: «Dabei die richtige Feineinstellung zu finden, ist elementar.» So müsse die Software beispielsweise wissen, dass sie einem potenziellen Kunden nur zwei- bis dreimal die gleiche Werbung anzeigen soll, ansonsten würde der Interessent eher «vergrault». Entsprechende Tests hätten gezeigt, dass sich Retargeting nur rechnet, wenn die Akzeptanz des Kunden nicht überstrapaziert werde. Dabei ist Brack schon wesentlich weiter als viele Mitbewerber: Seit knapp fünf Jahren werden Daten analysiert. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind auch in die Entwicklung des neuen Shops eingeflossen, der bald online gehen wird. «Wir messen vor allem die Gesamt-Conversion und die einzelnen Schritte», sagt Geisser. Daher weiss er, dass die Conversion 2 seit Beginn der Messungen um 50 Prozent gestiegen ist. Diese misst, wie viele Interessenten, die etwas in den Warenkorb legen, auch tatsächlich kaufen. Eine andere Technik, mit der Brack bereits experimentiert, ist die «Customer-Journey-Analyse». Damit soll genau eruiert werden können, welche Zyklen ein Kunde durchläuft, bevor er sich für ein Produkt entscheidet. Dazu zählen nicht nur die Interaktionspunkte zwischen Kunde und Unternehmen (Anzeigen etc.), sondern auch die indirekten Kontaktpunkte, bei der die Meinung Dritter über ein Produkt eingeholt wird. «Bei der Customer-Journey-Analyse stehen wir ganz am Anfang», sagt Geisser. «Und wer etwas anderes sagt, übertreibt höchstwahrscheinlich.» Der E-Commerce-Verantwortliche warnt denn auch vor zu hohen Erwartungen: «Wie soll ein System sagen können, welche Werbemethode effektiv zum Kauf geführt hat?» Es gehe vielmehr darum, die Kanäle einzeln zu messen und einfache Kombinationen von Werbemitteln in ihrer Gesamtwirkung zu verstehen.

Ricardo fehlen Ressourcen

Ricardo fehlen Ressourcen

Auch der grösste Schweizer E-Commerce-Anbieter Ricardo setzt vermehrt auf die Analyse seiner Nutzer. «Wir haben ein Data Warehouse Marke Eigenbau. Der gesamte Entwicklungsprozess hat rund zwei Jahre gedauert», sagt Barbara Zimmermann, Kommunikationsverantwortliche bei Ricardo. Damit könne man alles analysieren: «Customer Life Cycle, Retargeting etc. machen wir auch.» Auf Nachfrage räumt Zimmermann allerdings ein, dass eine Zusammenführung aller Daten noch nicht stattfindet. Der Bereich Social Media laufe zum Beispiel noch getrennt. «Das hat auch mit fehlenden Ressourcen zu tun. Uns fehlen manchmal noch die Spezialisten in der IT, um alles umzusetzen, was gewünscht ist», sagt sie.

Amazons Geheimformel

Die auch in der Schweiz erfolgreich­ste E-Commerce-Plattform Amazon (9,5% Marktanteil) setzt auf ein komplexes Data-Mining-System, zu dem das Unternehmen jedoch keine detaillierte Auskunft geben will. Einiges ist trotzdem bekannt. «Amazon verwaltet eine riesige Matrix, die jedes der mehr als zehn Millionen Produkte jedem anderen zuordnet – mit der Information, wie viele Menschen sowohl das eine als auch das andere gekauft haben», sagte der ehemalige Chefwissenschaftler und heutiger Berater von Amazon, Andreas Weigend, dem Magazin Focus. Damit betreibt die Plattform sogenanntes «association learning». Ein Beispiel: Der Shop-Betreiber kann erkennen, dass ein Kunde, der schon einen Rucksack und einen Hut gekauft hat, sich oft auch noch ein neues Paar Wanderschuhe zulegt.

Vieles ist noch Zukunftsmusik

Davon sind die Schweizer Shops noch weit entfernt. Allerdings gebe es Fortschritte, wie Remo Prinz, Mitgründer der Digitalagentur Serranetga, meint. «Wir holen die Kunden ab, indem wir ihnen sagen, wie wichtig Daten sind», so der Agenturchef. Dabei versucht Prinz den Unternehmen zu erklären, dass Google Analytics nicht alles ist: «Google-Display- und Google-Branding-Werbung, alles spielt ineinander. Die Daten müssen gesammelt analysiert werden, damit das Marketing entsprechende Kampagnen fahren kann.» Dies zu vermitteln, könne aber kompliziert sein: «Es sind gute Beraterqualitäten gefragt, damit der Kunde versteht, was gemeint ist.» Zuhören könnte sich jedoch lohnen – vor allem für die Marketing- und Vertriebsabteilungen. Denn die meisten der von uns befragten Unternehmen gehen davon aus, dass die IT mit den bisherigen Massnahmen bereits alles liefert, was das Business will. Möglicherweise stellt das Business aber einfach noch nicht die richtigen Fragen.


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