24.03.2015, 15:25 Uhr

So lohnt sich Big Data Analytics

Big Data macht Unternehmen profitabler, Finanzdienstleister besser, kranke Menschen gesünder und Autofahren weniger stressig. Wir zeigen erfolgreiche Kunden-Cases, von denen auch die Schweiz profitiert.
Big Data, Industrie 4.0, Internet der Dinge (IoT) und Machine-to-Machine-Communication (M2M) sind mehr als Schlagworte. Es gibt überzeugende Anwendungsszenarien, die Schweizer Mittelständlern und Konsumenten echten Mehrwert bringen. Ein Szenario, das die Wirtschaft mittlerweile überzeugt hat, ist Predictive Maintenance. An stark beanspruchten Maschinenteilen angebrachte Sensoren melden Lastwerte ans Backend. Werden Limite erreicht, muss die betroffene Komponente ausgetauscht werden. Die Ausfallrate sinkt dadurch gegen Null, und natürlich steigt die Kundenzufriedenheit. Anbieter wiederum profitieren davon, dass sie Verschleissteile weder zu früh noch zu spät, sondern "just in time" austauschen können. Die Lebensdauer der Komponenten wird dadurch optimal ausgenutzt. Ausfälle fallen aus Global Player der Software-Industrie wittern das grosse Geschäft mit der vorausschauenden Wartung und präsentieren konkrete Kunden-Cases. (Die Bewertung der Big-Data-Lösungen von IBM, Microsoft, Oracle, SAP und Teradata finden Sie am Ende des Artikels.) ThyssenKrupp Elevator (TKE) zum Beispiel hat zusammen mit dem Technologiedienstleister CGI die Wartung seiner Aufzüge optimiert. Sensoren messen unter anderem die Motortemperatur, Kabinengeschwindigkeit, Schachtausrichtung sowie die Türfunktion und schicken die Daten an Microsoft Azure IoT. Tausende von Sensoren werden mit der Microsoft-Cloud vernetzt. Dashboards auf PCs und mobilen Devices visualisieren dann in Echtzeit die Messungen. Die dadurch ermöglichte Ferndiagnose verbessert die Effizienz und reduziert die Kosten bei ThyssenKrupp. Sogenannte Remote-Aufzugsbefehle sorgen zudem dafür, dass nicht in jedem Fall ein Wartungstechniker vor Ort Hand anlegen muss. Falko Lameter, CIO des mittelständischen Maschinenherstellers Kaeser Kompressoren, erzählte auf der letzten SAP TechEd von seiner Nutzung der Machine Cloud. Kaeser sammelt Daten von Kompressoren, die bei seinen Kunden im Einsatz sind. Pro Kompressor gibt es 50 Messpunkte, die unter anderem die Erhitzung kritischer Maschinenteile an SAPs In-Memory-Datenbank Hana übermitteln. Insgesamt nimmt der Kompressorhersteller 50 Sensormessungen pro Sekunde vor, was sich über alle Kunden auf mehr als eine Million Messungen pro Tag summiert. Pro Jahr fallen dadurch mehrere hundert Terabytes an Daten an. CIO Lameter will mit SAPs Machine Cloud die Ausfallzeiten bei seinen Kunden auf null reduzieren. Er verspricht sich davon zufriedenere Kunden, einen Verkaufsschub für die Produkte seines Unternehmens und letztlich höhere Umsätze. Effizienter mit Google Glass Muss doch einmal ein Wartungstechniker vor Ort Maschinenkomponenten auswechseln oder andere Reparaturarbeiten vornehmen, dann können Datenbrillen wie Google Glass die Arbeit erleichtern. Google hat zwar den Verkauf von Glass an Privatkunden kurzfristig eingestellt, weil die Datenbrillen die Privatsphäre anderer verletzen können. Im Business-Umfeld aber ist deren Einsatz sehr sinnvoll. Das Beratungsunternehmen Accenture etwa zeigte auf dem Mobile World Congress in Barcelona, wie Google Glass bei der Wartung zu Produktivitätssteigerungen von über den Daumen gepeilt 30 Prozent führen kann. Glass lotst den Wartungstechniker durch das Gebäude des Kunden und hilft ihm, einmal vor Ort, bei der Analyse und Lösung des Problems, wodurch der Zeitaufwand sinkt. Accenture will den Proof-of-Concept zusammen mit einem niederländischen Mittelständler im Jahresverlauf realisieren. Sage Schweiz demonstrierte auf den letztjährigen X.Days, welches Potential die ERP-Software Sage 200 in Kombination mit einer smarten Datenbrille wie Google Glass bei der Lagerbewirtschaftung bietet. "Das war ein Proof-of-Concept, um zu zeigen, was möglich wäre", sagt Jean-Jacques Suter, CEO von Sage Schweiz. Im konkreten Fall ersetzt Google Glass den Barcode-Scanner; der erfasste Artikel wird auf dem mobilen Endgerät angezeigt. Die Eingabe der Artikelmenge erfolgt anschliessend auf dem Tablet und wird dann mit dem ERP-Backend synchronisiert. "Denkbar wäre auch, Google Glass als Navigationshilfe im Lager oder als Unterstützung bei der Mengenerfassung einzusetzen", so Suter. "Für zusätzliche Funktionalitäten sind wir aber auf die Weiterentwicklung von Google Glass angewiesen", räumt er ein. Cloud-Dienste von Telkos Fragt man Top-Manager nach attraktiven Marktopportunitäten für das Internet der Dinge und Big Data Analytics, so erhält man oft ähnliches Feedback. Oracles Andrea Canessa etwa nennt Telematik/Verkehr, Usage-based Insurance, Asset Tracking, Flotten-Management und mobile Health. Oracle hat zusammen mit Tata Consulting gerade eine IoT-Cloud-Service-Plattform aus der Taufe gehoben, um Kunden dabei zu helfen, das Marktpotenzial von IoT/M2M zu nutzen. Zur Kundschaft von Oracle Communications gehören unter anderem die Swisscom, Vodafone und Orange, die sich zunehmend mit einem Problem konfrontiert sehen. Mit reiner Konnektivität, einst das Hauptgeschäft der Telekommunikationsanbieter, lasse sich heute nicht mehr so viel Geld wie früher verdienen, sagt Canessa und rät den Telkos, ihr Angebot auszuweiten. Das Geschäft der Zukunft seien die Services aus der Cloud, und das neue Geschäftsmodell heisse nicht mehr klassisch B2B oder B2C, sondern B2B2C. Nächste Seite: Genom-Analyse, eHealth und das Auto mit Staumodus Überwachung bei Diabetes Computerworld sprach mit zwei typischen B2B2C-Vertretern. Die Geschäftseinheit Diabetes Care des Schweizer Pharmariesen Roche hat zusammen mit SAP eine mobile Lösung für Diabetes-Patienten gebaut, an der weltweit 347 Millionen Menschen leiden. Als wissenschaftliche Partner begleiten die Universitäten St. Gallen und Heidelberg das Projekt. Das Ganze funktioniert so: Der Patient erhält als Willkommenspaket das Bluetooth-fähige Blutzuckermessgerät Accu-Chek Aviva Connect, die mobile App Accu-Chek View, welche die gemessenen Werte anzeigt und in die SAP-Hana-Cloud übermittelt, sowie ein Aktivitätsarmband. Ziel ist es, zusammen mit dem behandelnden Arzt den Patienten zu beobachten und gleichzeitig zu einer gesünderen Lebensweise zu motivieren. Erfasst werden der Blutzucker, die gelaufenen Schritte, der Blutdruck, das Gewicht, der Bauchumfang und die Medikation. Nähert sich ein Wert einem kritischen Limit, erhält der Arzt einen Hinweis und kann über die Nachrichtenfunktion direkt mit seinem Patienten kommunizieren. Krebsvorsorge Das Schweizer Unternehmen Sophia Genetics ist ein Paradebeispiel des neuen B2B2C-Geschäftsmodells. Die von Jurgi Camblong geführte Firma hat einen patentierten Algorithmus programmiert, mit dem sich das menschliche Genom präziser und schneller analysieren lässt. 2003 wurde das menschliche Erbgut zum ersten Mal entschlüsselt. Die Analyse dauerte mehrere Monate und kostete drei Milliarden US-Dollar. Heute dauert sie einen Tag, und der Patient muss lediglich 1500 Franken dafür bezahlen. Sophia Genetics bietet ihre Lösung in privaten Datenzentren im Software-as-a-Service-Modell an. 42 Organisationen gehören mittlerweile zum Kundenstamm, darunter die Kantonsspitäler in Aarau und Genf. Die reine IT sei einfach gewesen, die Herausforderung habe in der Entwicklung der Bioinformatik-Algorithmen gelegen, sagte Jurgi Camblong, CEO und Mitgründer von Sophia Genetics, zu Computerworld. Etwa 60 Prozent der Analyseaufträge beziehen sich auf Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen, und dafür müssen etwa 100 MB analysiert werden. Das ganze menschliche Genom ist – echte Big Data – etwa 360 GB gross. Bei drei Patienten kommen ein gutes Terabyte an Daten zusammen, bei dreitausend ein Petabyte, bei drei Millionen bereits ein Exabyte. Usage-based Insurance Finanzdienstleister seien die grössten Kunden von IBM Schweiz, berichtet IBMs Billy Kneubühl. Die grossen Schweizer Banken setzen nach den Skandalen der letzten Jahre IBMs Technologie zum Beispiel dafür ein, das Verhalten ihrer Mitarbeiter zu analysieren: Wer geht mit welchen Kundendaten um? Die Zurich Insurance Group setzt OpenPages für ihr Risiko-Management ein. Ausserdem steigen Autoversicherer immer stärker auf ein Usage-Based-Modell um, das Policen anhand des Fahrverhaltens und der Risikobereitschaft kalkuliert. Das werde von den Kunden gut angenommen, aber die Versicherer agieren sehr vorsichtig, sagt Kneubühl. Im Telematikbereich arbeitet IBM als Infrastrukturanbieter mit Daimler, Peugeot und BMW zusammen. Autonomes Automobil Die Automobilindustrie schraubt am autonomen Fahrzeug. Spurkontrolle, Bremsunterstützung, Abstandskontrolle und Einparkhilfe sind heute schon Realität. 2016 will die Renault-Nissan-Allianz ein Modell auf den Markt bringen, das autonomes Fahren im Stau beherrscht. Der Fahrer kann sich dann entspannt zurücklegen und anderen Tätigkeiten widmen. Für ein komplett selbstfahrendes Automobil fehlt es heute jedoch noch an einer entsprechend ausgebauten Strasseninfrastruktur. Nächste Seite: Big-Data-Lösungen im Analystenurteil Das halten Analysten von Big-Data-Lösungen Das Analystenhaus Experton hat die Big Data-Lösungen am Schweizer Markt evaluiert. IBM habe zurzeit das breiteste Angebot auf dem Schweizer Markt, was auf die zahlreichen Akquisitionen der letzten Jahre zurückzuführen sei. Gleichzeitig liefert das Unternehmen die für Big Data Analytics erforderlichen Computersysteme. IBM punkte mit dem fortgeschrittenen Niveau der Lösungen. Bausteine, die von Konkurrenzanbietern separat vermarktet würden, seien bei IBM oft integraler Bestandteil des Lösungspaketes. Auch Microsoft offeriert ein umfangreiches und leistungsfähiges Produktportfolio. Das grösste Softwareunternehmen der Welt bietet dabei Analytics-Lösungen als Self-Service-BI - also für den Business-Anwender - ebenso an wie BI-Lösungen der Unternehmensklasse. Die eigentlichen Analytics-Lösungen - Microsoft Analytics Platform System und Azure SQL Database - unterstützen die Arbeit mit relationalen Datenbanken und Hadoop-Clustern über SQL-Abfragen. Ausserdem führt Microsoft Alternativen zu SQL-basierten Lösungen wie Analysis Systems (für Enterprise BI und OLAP), Azure Table Storage (als NOSQL-Lösung) unde PowerBI (als Self-Service) im Portfolio. SAP punkte vor allem mit seinem Angebot rund um die In-Memory-Datenbank Hana, meinen die Experton Analysten. Hana habe sich von einer Datenbank hin zu einer Plattform für verschiedene Anwendungs-Szenarien entwickelt. Das Feedback aus dem Markt hinsichtlich der Eignung von Hana für Big-Data-Aufgaben sei überwiegend positiv. Oracle habe sich durch Eigenentwicklungen und Aufkäufe ein sehr gutes Portfolio aufgebaut. Die Analytics-Lösugnen sind in der Lage, mit SQL- und NOSQL-Datenbanken und Daten aus unterschiedlichen Speicherarchitekturen zu arbeiten. Die Analytics-Software wird ausserdem von einem vollständigen Portfolio ergänzender Hardware begleitet. Für die Integration der Technologien bietet Oracle "Big Data Connectors" an. Experton erwartet, dass sich Oracle in Zukunft deutlicher auf die Bedürfnisse grosser Mittelständler aus der Schweiz ausrichten wird. Teradata habe eines der vollständigsten und technisch ausgereiftesten Angebote für Big Data Analytics, loben die Analysten. Allerdings sei das Wettbewerbsfeld enger zusammengerückt, und Teradata muss vor allem die Schweizer Anwender direkter ansprechen, etwa mit konkreten Szenarien und Informationen im Web. Um Schweizer Anwenderunternehmen zu überzeugen, seien Referenzen aus der Schweiz wichtig. Die eigentlich sehr gute Bewertung werde durch lokale Defizite im Bereich Service, Support und Schulungen eingeschränkt.


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