Computerworld vor 30 Jahren 30.12.2020, 05:59 Uhr

John Sculley, Vater  der ersten Billig-Macs

Apple hatte sich mit hochpreisigen und hochwertigen Computern einen Markt­anteil von über 10 Prozent gesichert. CEO John Sculley legte mit den ersten Billig-Macs den Grundstein für (kurzfristiges) Wachstum in den 1990ern.
Eine Indiskretion im Vorfeld der Lancierung des Macintosh IIci liess tief in die Apple-Seele blicken
(Quelle: Archiv CW)
Macintosh-Computer sind sehr bedienerfreundlich, weshalb sie auch etwas teurer sein können als PCs. Nach dieser Argumentation funktionierte 1990 die Preis- und Produktpolitik von Apple. Neu war mit Windows 3.0 für den PC eine ebenfalls benutzerfreundliche Betriebssystemoberfläche auf dem Markt, die Apples Argument abschwächte. Denn die PCs kosteten schon damals massiv – bis zu 50 Prozent – weniger als der Mac.
Um die Bedienerfreundlichkeit der Apple-Computer unter Beweis zu stellen, hatte Apple-CEO John Sculley verschiedene Methoden getestet. So hatte er die von ihm populär gemachte «Pepsi Challenge» auf die Computer­industrie übertragen: Die Konsumenten sollten selber ausprobieren, ob das Arbeiten am Mac besser «schmeckt» als am PC. Dafür hatte Sculley die Kampagne «Test Drive a Macintosh» lanciert. Inhaber
einer Kreditkarte konnten einen Mac gratis zu Hause testen – und ihn bei Nichtgefallen zurückbringen. Fast eine Viertelmillion User nahmen das An­gebot an, die Mehrheit brachte den Mac aber zurück. Viele der Rechner waren beschädigt und konnten nicht mehr verkauft werden. Das war 1984. Zusätzliche Millionen Dollar waren in einen Werbespot geflossen, den Sculley gar nicht hatte zeigen wollen. Genau, wie er der «Pepsi Challenge» anfangs skeptisch gegenüberstand.

Steve Jobs – vom Freund zum Feind

Dem Apple-Mitgründer und anfänglichen Sculley-Förderer Steve Jobs gefiel der Werbespot hingegen. Letztendlich wurde der Film während einer Pause gegen Ende des US-amerikanischen Super-Bowl-Finales 1984 gezeigt. Und bekam im Anschluss viel Aufmerksamkeit von den traditionellen Medien. Die Investition von rund 1 Million US-Dollar wurde vergoldet durch Publicity im Wert von über 5 Millionen Dollar.
Die Differenzen über den berühmten Spot waren der Anfang vom Ende der Freundschaft zwischen Jobs und Sculley. Apple war 1985 in eine finanzielle Schieflage geraten, wofür Jobs Sculley verantwortlich machte und umgekehrt. Jobs zeichnete verantwortlich für die Macintosh-Abteilung, Sculley war der (neue) CEO. Während Geschäftsleitungssitzungen gerieten die Manager immer häufiger aneinander, da Jobs auf seinem Führungsanspruch bestand und Sculley sich seiner Leadership-Rolle wehren musste. Am 31. Mai 1985 entschieden sich die Mitglieder des Apple-Aufsichtsrats schliesslich für Sculley und gegen Jobs, der per sofort freigestellt wurde. Parallel kommunizierte der Konzern den ersten Quartalsverlust der Firmengeschichte. Neben Jobs mussten Hunderte weitere Angestellte gehen.

Gerangel um Mac-Neuheiten

John Sculley musste 1990 viel Kritik einstecken. Er landete mit dem Macintosh Classic aber einen Verkaufsschlager
Quelle: Archiv CW
Mit dem Ruder allein in seiner Hand führte Sculley den Apple-Konzern in den Folgejahren zu neuer Blüte. Der Mac profitierte mit seiner bedienerfreundlichen Oberfläche und dem vergleichsweise niedrigen Preis des Einstiegsmodells von der zerstrittenen Konkurrenz. Der globale Platzhirsch IBM werkelte gemeinsam mit Microsoft am DOS-Nachfolger OS/2, Microsoft entwickelte parallel sein Windows und HP portierte den Presentation Manager (von OS/2) auf Unix. Für Windows hatte HP noch «NewWave» als alternativen Desktop im Portfolio. 1990 wendete sich das Blatt: Windows 3.0 wurde zum Verkaufsschlager. Daraufhin zog sich Microsoft zuerst aus der Entwicklung von Presentation Manager, später aus der Entwicklung von OS/2 zurück und konzentrierte sich rein auf Windows.
Daneben stand Apple mit einer intuitiven Bedienoberfläche, um die es immer wieder Patentstreite gegeben hatte. Die Klage des Konzerns gegen HPs «NewWave» und die Gemeinschaftsentwicklung Presentation Manager aus dem Jahr 1988 war noch hängig (und sollte erst 1995 abgewiesen werden). Firmenintern suchte Sculley einen Weg für den kommerziellen Grosserfolg. Allerdings arbeitete das Unternehmen auch gegen ihn.
Ein Zulieferer hatte der Presse weit vor der offiziellen Ankündigung die technischen Daten und Fotos des neuen Mac­intosh IIci zugespielt. Nach einem Bericht von Computerworld löste die Indiskretion eine derart gigantische Suchaktion nach dem Urheber der Vorabinformationen aus, dass Eingeweihte von einer «Hexenjagd» sprachen. Welchen Stellenwert Apple der Geheimhaltung beimass, ging aus einem Brief hervor, den zuvor die Mac­intosh-Gemeinde erhalten hatte: «Die Geheimhaltung vertraulicher technischer Daten ist der Schlüssel zum Über­leben der Computerindustrie auch im nächsten Jahrtausend», stand darin. Es gehe weniger um Technik, denn «weder IBM- noch Compaq-Techniker dürfte das Bild eines Mac-Motherboards aus der Ruhe gebracht haben». Des Rätsels Lösung sei wohl verkaufstechnischer Natur, so Computerworld. Hinter der Aufregung bei Apple stecke die Angst, die älteren Mac-Modelle möglicherweise nicht mehr loszuwerden, wenn schon die Neuheit in der Luft liege.
An der «MacWorld Expo» im April 1990 sollte sich die Stimmung nicht bessern. Lange Gesichter gab es schon im Vorfeld, als Apple bekannt gab, es gäbe nichts Neues zu vermelden. Ein wahrer Sturm der Entrüstung brach allerdings los, als Apple auch noch verlautbarte, die Be­nutzeroberfläche Windows 3.0 für DOS-Rechner habe «keinen Einfluss auf den Macintosh». An einem Podiumsgespräch an dem Anlass in Boston mit Sprechern von Microsoft, Aldus, Symantec und ande-ren Apple nahestehenden Firmen, sagte William Campbell, Chef der Apple-Tochter Claris: «Ich glaube wirklich, dass Apple keinen Bezug zu einem Preis-Leistungs-Verhältnis hat. Der Unterschied zu DOS-Rechnern ist heute so klein, dass niemand einige Tausend Dollar mehr für einen Macintosh ausgibt.» Der Applaus des Plenums gab ihm recht, so Computerworld. Die Diskussion endete nur Minuten, bevor Apple-Chairman John Sculley seine Rede hielt. Auf die
Kritik ging er mit keiner Silbe ein, sondern hielt sich strikt an das vorbereitete Manuskript. Seine Schlussworte waren: «Der Mac lebt und es geht ihm gut.»
Beim Betriebssystem konnte Sculley nicht reüssieren. Das ursprünglich für den Herbst 1989 angekündigte «System 7» wurde zwischenzeitlich auf Mai 1990, dann auf Oktober und schliesslich auf die erste Hälfte des Jahre 1991 verschoben. Tatsächlich startete Apple den Verkauf dann im Mai des Folgejahres. Aufgrund des grossen Ressourcenhungers der Betriebs-Software benötigten Anwender allerdings vielfach eine Speichererweiterung. Oder gleich eine komplett neue Hardware. Die Ende 1990 lancierten «Billig»-Macs waren alle schon bereit für das Betriebssystem.

Die «Billig»-Macs

Als letzter der grossen Personalcomputerhersteller startete Apple am 15. Oktober 1990 die Billig-Offensive. Sie war gemäss Computerworld erst Anfang Jahr eingeläutet worden. Firmen-Boss Sculley verabschiedete US-Chef Allen Loren – laut der US-Finanzpresse zuständig für die Hochpreispolitik – sowie den detailbesessenen Entwicklungschef Jean-Louis Gassée und liess den Deutschen Mike Spindler, bisher Europa-Chef, als neue Nummer zwei frischen Wind in die schlaff hängenden Segel pusten.
“Der Mac lebt und es geht ihm gut.„
John Sculley
Obschon Spindler nicht für die Entwicklung der neuen Geräte verantwortlich zeichnete – diese Aufgabe oblag dem Chief Executive Officer höchstpersönlich –, zeigten deren Produktion und Marketing bereits seine Handschrift: Kostete bisher der zu einem Mac­intosh-Modell adäquate IBM-Rechner durchschnittlich 30 bis 50 Prozent weniger, sollte sich dies nun radikal ändern: Für Apple-Rechner mussten Käufer gleich viel oder
weniger Geld in die Hand nehmen wie für ein vergleichbares Modell der Konkurrenz. Spindlers und Sculleys Ziel: Mit frisch gestylten Macs zu Tiefpreisen zwischen 2000 und 7500 Franken neue Kunden
gewinnen und alte behalten.
Eine erste Erfolgsmeldung für Sculleys Initiative publizierte Computerworld noch Ende Jahr: Die drei Billig-Macs, der Classic, der LC und der IIsi, hätten sich zu Verkaufshits entwickelt: «Bis zum 25. November sind bei uns 6388 Bestellungen eingegangen. Besonders gefragt ist dabei der Classic», erklärte Jürg Stutz, General Manager der Schweizer Apple-Generalvertreterin Industrade. Allerdings offenbarte sich auch gleich die Kehrseite der Verkaufsmedaille: Bis Ende Jahr konnten in der Schweiz nur 2810 Rechner tatsächlich ausgeliefert werden. Käufer des Macintosh Classic musste Industrade auf nach Weihnachten vertrösten, der Macintosh LC liess sogar bis Ende Januar auf sich warten. Händler konnten häufig nur leere Regale vorführen, sodass in den USA die Wiederverkäufer bereits über das entgangene Weihnachtsgeschäft klagten.


Das könnte Sie auch interessieren