Computerworld vor 30 Jahren 29.12.2022, 06:22 Uhr

Apples «Personal Digital Assistant»

Anfang 1992 schuf Apple-Chef John Sculley mit dem «Personal Digital Assistant» einen neuen Computertyp. Danach liess der «Newton» auf sich warten, was für Computerworld Schweiz sein einziges Defizit war.
Mit dem «Newton» wollte Apple die Brücke schlagen zwischen Computertechnik und Konsumelektronik
(Quelle: CW)
Erstmals in der damals noch jungen Firmengeschichte war Apple 1992 der Marktführer bei Personalcomputern – zumindest im US-amerikanischen Markt. Das Unternehmen konnte den Platzhirsch IBM hinter sich lassen und behauptete sich auch gegen andere Grössen wie Compaq oder HP. Die Produktstrategie von Firmenchef John Sculley schien aufzugehen. An der Winter Consumer Electronics Show Anfang Januar 1992 nutzte er die grosse Bühne, um Apples nächste Innovation anzukündigen: den «Personal Digital Assistant».
Mit dem «Newton» wollte Sculley die Brücke schlagen zwischen der Computertechnik und der Konsumelektronik, indem er den Rechner zum ständigen Begleiter im Alltag machte. Das Adressbuch, der Einkaufszettel und der Skizzenblock sollten auf dem «PDA» genauso Platz haben wie die Meetingnotizen und der berufliche Terminkalender. Anstatt sich im Markt für Personalcomputer weiter abzumühen, dem bis zur Jahrtausendwende ein Umsatz von «nur» rund 80 Milliarden US-Dollar vorhergesagt wurde, wollte Sculley an das ganz grosse Geld: computerbasierte Unterhaltungselektronik werde nach Einschätzung des Apple-Chefs zur neuen «Mega-Industrie». Ihr Umsatz solle sich bis zur Jahrhundertwende auf 3,5 Billionen US-Dollar belaufen.
Den Verkaufsstart des «Newton» setzte Apple auf die Sommerausgabe der Consumer Electronics Show vom 28. bis 30. Mai 1992 in Chicago fest. Gut ein Jahr später sollte der PDA dann letztendlich lanciert werden – aus heutiger Perspektive ein unendlich langer Zeitraum. Nicht für Sculley.

Computer statt besserer Taschenrechner

Apples elektronische Alternative zu Papierdossiers wurde mit viel Vorschusslor­beeren bedacht
Quelle: CW
Der Apple-Chef hatte sich während fünf Jahren zurückhalten müssen. So lange tüftelten die Ingenieure in Cupertino bereits am «Newton». Sie hatten alle Hände voll zu tun, denn der PDA sollte komplett anders sein als die damals auf dem Markt befindlichen Taschencomputer. Die Modelle von beispielsweise Casio, Psion und Texas Instruments waren bessere Taschenrechner, die neben Zahlen auch Buchstaben verarbeiten konnten. Der «Psion Organiser» aus dem Jahr 1984 etwa besass ein einzeiliges Display mit 16 Stellen und 2 Kilobyte Speicher. Hier liessen sich zwar Adressen eintippen und ablegen, der Hauptzweck waren aber mathematische Kalkulationen.
Die Ursprünge des «Newton» lagen im Personalcomputer – respektive einer Miniatur davon. Die erste Produktgeneration basierte laut Computerworld auf dem «fortschrittlichsten Stand der heutigen Mikroelektronik». Der erstmals verwendete 32-Bit-Risc-Prozessor, der ARM610 von Advanced Risc Machines, verarbeitete bei einer Taktrate von 20 MHz bis zu 15 Millionen Instruktionen pro Sekunde (MIPS). Diese Leistung war vergleichbar mit einem 68040-Chip, der damals in Apples Desktop-Rechnern verbaut wurde. Das Hardware Design hatte Apple zusammen mit Sharp entwickelt. Die Japaner waren zuständig für die Miniaturisierungsarbeit, Apple für die Software.
Der ungewöhnlich frühe Ankündigungstermin erklärte sich daraus, dass das PDA-Geschäft Apple «in bislang unbekannte Gewässer führt» (Sculley). Die vom Firmenchef anvisierte Zusammenführung von Personalcomputer und Konsumelektronik wollte gut vorbereitet sein. Das Risiko mildern sollten Allianzen rund um den Erdball, darunter die Kooperation mit Sharp. Die Japaner kannten sich in den von Apple angepeilten Märkten aus. So übernahm Sharp dann auch die Produktion des «Newton» und öffneten ihm anschliessend seine Vertriebskanäle.

Handschrift statt Tasten

Auf den «unbekannten Gewässern» sollte Apple auch mit der Software schippern: Das eigens entwickelte «Newton OS» erlaubte dank präemptivem Multitasking den gleichzeitigen Betrieb verschiedener Anwendungen: Dazu gehörten Adress- und Pendenzenverwaltung, elektronische Post, Kalender sowie Notizblock. Alle Programme, auf dem Bildschirm (etwa 7,5 x 12,5 cm) als Symbole dargestellt, liefen auf einer «unstrukturierten Datensuppe». Jedes einzelne Datenstück wurde als Objekt behandelt und automatisch mit allen Programmen verbunden. Wenn dann der PDA-User beispielsweise einen Namen in der Agenda antippte, erschien auch gleich die entsprechende Eintragung aus dem Adressverzeichnis. In gleicher Weise liessen sich auch Informationen zu einem bestimmten Kunden oder einer spezifischen Woche einsehen, ohne zwischen Applikationen hin und her springen zu müssen.
Der damalige Computerworld-Chefredaktor Martin Meier testete 1992 den Prototyp des «Newton» persönlich
Quelle: CW
Neuartig war schliesslich die Stifteingabe. Der «Newton» besass keine Tasten, sondern wurde allein mit dem beiliegenden Stift bedient. Dieser diente auch zur Texteingabe, wobei sich der Anwender allerdings erstens mit Druckbuchstaben und zweitens mit englischer Sprache begnügen musste. Laut Apple-Werbung gab es daneben jedoch keine Einschränkungen: Eine Lehrstunde für die Buchstabenerkennung war nicht notwendig, für das Eintragen der Zeichen in speziell dafür vorgesehene Kästchen ebenfalls nicht. Eine «künstliche Intelligenz» sollte mit der Zeit die individuellen Charakteristika der Texteingabe lernen, damit die Erkennung besser funktionierte.
Die «Intelligenz» ging gemäss Apple über die Schrifterkennung hinaus. Der PDA zerlegte die handgeschriebenen Sätze und brachte die Einzelteile in den passenden Programmen unter. Beim Eintrag «Lunch mit Markus am Dienstag» sollte der «Newton» automatisch wissen, dass der Lunch normalerweise am Mittag stattfindet, Markus mit Markus Stadler im persönlichen Adressbuch identisch ist und Dienstag den kommenden Dienstag bedeutet. So wurde der Kalender automatisch am Dienstag geöffnet und die Zeit zwischen 12 und 2 Uhr für das Mittagessen mit Markus Stadler reserviert.

Lunch mit dem Chefredaktor

Ob der Lunchtermin des damaligen Chefredaktors von Computerworld Schweiz, Martin Meier, mit seinem Kollegen Stadler tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Meier konnte aber 1992 zumindest einen Prototyp des «Newton» in den Händen halten. Sein «Testbericht» lässt jedoch keinen Schluss zu, ob das Computerchen tatsächlich funktioniert hat. Angesichts der später laut gewordenen Kritik, die Buchstabenerkennung sei in der ersten Version des «Newton OS» quasi unbrauchbar gewesen, legt die Vermutung nahe, dass Meier von der Qualität der Software nicht überzeugt war.
Mangelhafte Produktqualität kombiniert mit einem vergleichsweise hohen Verkaufspreis waren schlechte Voraussetzungen für den Erfolg des «Newton». Das sah Apple erst nach Investitionen von rund 100 Millionen US-Dollar und fünf Jahren Marktpräsenz ein. 1998 stampfte der soeben zurückgekehrte Steve Jobs den «Newton» ein. Im iPhone sollten 2007 zumindest das Bedienkonzept und die Technologie teilweise wiederbelebt werden.


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