ETH Lausanne
09.03.2021, 09:31 Uhr

Künstliches Sehen dank Netzhautprothese und Computerbrille

An der ETH Lausanne arbeiten Forschende an einer Kombination aus Computerbrille und künstlicher Netzhaut, die es Blinden ermöglichen soll, einen Teil ihres Sehvermögens wiederzuerlangen. Da Tests an Patienten noch nicht möglich sind, setzt man auf virtuelle Realität.
Diego Ghezzi präsentiert das Netzhautimplantat
(Quelle: Alain Herzog/EPFL)
Die Wiedererlangung des Sehvermögens für Erblindete: Diesem Ziel hat sich Diego Ghezzi, Inhaber des Medtronic Lehrstuhl für Neuroengineering an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der ETH Lausanne, verschrieben. Seit 2015 arbeitet er an der Entwicklung einer Prothese, die auf der Netzhaut des Auges angebracht wird. Dieses Gerät funktioniert mittels einer intelligenten Brille, die mit einer Kamera und einem Computer ausgestattet ist. «Zweck des Geräts ist es, blinden Menschen mithilfe elektrischer Stimulation der Netzhaut künstliches Sehen zu ermöglichen», erklärt Ghezzi. 
Dabei erfasst eine Minikamera, die auf dem Brillengestell angebracht wird, Bilder im Sichtfeld des Trägers und überträgt sie an den Minicomputer, der auf einem der Bügel montiert ist. Der Rechner wandelt diese Daten dann in Lichtsignale um, die an die Elektroden gesendet werden, aus denen die Prothese besteht. Mit diesen Elektroden sollen dann die Zellen der Netzhaut stimuliert werden. Patienten könnten somit ein reproduziertes und vereinfachtes Schwarzweissbild sehen.

Tests an Patienten noch nicht möglich

Doch das Forscherteam der ETH Lausanne hat ein Problem: Ihre Technologie wurde bisher noch nicht am Menschen getestet. Um zu diesem letzten Schritt übergehen zu können, müssten sich die Wissenschaftler der Ergebnisse komplett sicher sein. «Im Moment dürfen wir unser Gerät nicht bei Patienten implantieren, denn medizinische Zertifizierungen brauchen Zeit», gibt Ghezzi zu bedenken. «Doch wir haben eine Methode entwickelt, mit welcher das Testen trotzdem möglich ist, eine Art Abkürzung also», fügt er an.
Sein Team nutzte virtuelle Realität, um das zu imitieren, was Patienten mit der Netzhautprothese sehen würden. Ihre Ergebnisse haben sie derweil im Wissenschaftsmagazin «Communication Materials» veröffentlicht

Gesichtsfeld und Auflösung überprüft

Um herauszufinden, ob das Netzhautimplantat für die Wahrnehmung des künstlich Gesehenen überhaupt tauglich ist, wollten die Forschenden prüfen, ob Gesichtsfeld und Auflösung dafür das richtige Mass haben. Konkret ist die derzeitige Prothese mit 10’500 Elektroden ausgestattet, die je einen Lichtpunkt erzeugen. «Wir mussten herausfinden, ob diese Anzahl ausreichend oder übertrieben ist», kommentiert Ghezzi. Denn es sei wichtig, hier das richtige Mittelmass zu finden, damit das Bild nicht unklar werde, betont er. «Der Patient muss in der Lage sein, zwei nahe beieinander liegende Punkte zu unterscheiden, ohne sie zu vermischen. Gleichzeitig müssen ausreichend Punkte angeboten werden, um eine akzeptable Auflösung des Bildes zu erzielen», erklärt der Professor.
Ob das Implantat brauchbare Informationen liefern kann, mussten die Forscher mit Simulationen herausfinden
Quelle: Alain Herzog/EPFL
Die Wissenschaftler mussten somit prüfen, ob jede Elektrode der Prothese auch wirklich einen Lichtpunkt erzeugt. «Wir wollten sicherstellen, dass nicht zwei Elektroden denselben Teil der Netzhaut stimulierten. Deshalb führten wir elektrophysiologische Tests durch, bei welchen die Aktivität der retinalen Ganglienzellen aufzeichnet wurde», berichtet Ghezzi weiter. Offenbar mit Erfolg: «Das Ergebnis war erfreulich und bestätigte, dass jede Elektrode einen anderen Teil der Netzhaut aktiviert», so das Fazit des Forschers.

Einsatz von virtueller Realität

Aber wie konnte das Forscherteam herausfinden, ob die Auflösung von 10’500 Lichtpunkten passt? Um diese Frage zu beantworten, rekonstruierten die Wissenschaftler mit Hilfe von virtueller Realität das, was ein Patient mit der Prothese wahrnimmt. «Diese Simulationen haben gezeigt, dass die Anzahl der Lichtpunkte und damit auch die Anzahl der Elektroden Sinn macht. Eine höhere Anzahl würde für die Patienten hinsichtlich der Auflösung keine Verbesserung bringen», meinte Ghezzi.
Die Wissenschaftler führten auch Experimente mit der gleichen Auflösung durch, bei welchen jedoch der Winkel des Gesichtsfelds verändert wurde. «Wir begannen bei 5 Grad und öffneten bis zu 45 Grad. Der Sättigungspunkt war bei etwa 35 Grad erreicht. Darüber hinaus blieb die Leistung des Objekts stabil», so Ghezzi. Alle diese Experimente bestätigten den Forschern, dass die Leistungsfähigkeit des Geräts nicht verbessert werden müsse und es für klinische Tests bereit sei.



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