Computerworld vor 30 Jahren 15.12.2021, 06:16 Uhr

Software-Klau in Schweizer Firmen

Der Einsatz unlizenzierter Software war 1991 durchaus verbreitet in Schweizer Firmen. ETH-Professor Carl August Zehnder nannte die hohen Preise als Hauptgrund. Die Industrie gab sich uneinsichtig.
Die Software-Branche hob 1991 auch in der Schweiz den mahnenden Finger wegen der Raubkopien
(Quelle: Computerworld)
Computerworld beschrieb Anfang 1991 ein Schreckensszenario für jeden Informatikleiter: Auf einem Geschäfts-PC waren durchschnittlich Standardprogramme im Wert von 5000 bis 8000 Franken installiert. Für die 200 Personalcomputer im Unternehmen wurde eine Software allerdings nur einmal gekauft und dann 200-fach kopiert. Das Management hatte vielfach keine Ahnung, was das Fussvolk so trieb. Entsprechende Weisungen fehlten in vielen Unternehmen.
Wenn nun ein EDV-Leiter beschloss, in seinem Unternehmen endlich reinen Tisch zu machen, stand er vor einer riesigen Herausforderung: Für ihn galt es plötzlich, Investitionen für Software von 1 bis 1,5 Millionen Franken nachträglich zu budgetieren. Wenn bis anhin nur gerade 10 000 Franken für Software-Beschaffung eingeplant waren, dürfte es schwierig gewesen sein, den Finanzchef von der Notwendigkeit dieses so unerwartet auftauchenden Postens zu überzeugen.

Raubkopie als «Kavaliersdelikt»

Je länger, je weniger hatten die EDV-Leiter eine Wahl, ob sie reinen Tisch machen wollten. Durch die bisherige Praxis wurden die Software-Hersteller und -Händler allein in der Schweiz um Millionenbeträge gebracht. Und die Software-Industrie ging zum Angriff über. Im Februar 1991 berichtete Computerworld von einem Polizeieinsatz in Italien: Dort wurden die in einer Firma eingesetzten Raubkopien beschlagnahmt und Anzeige erstattet.
Ende Jahr formierte sich auch in der Schweiz die Front gegen die «Software-Piraten». Die Niederlassungen von fünf US-amerikanischen Herstellern – Ashton-Tate (Borland), Autodesk, Lotus Development, Microsoft und WordPerfect – gründeten den Verband «Softfair». Wie die Gründungs­mitglieder an einem Medienanlass erklärten, entfielen in der Schweiz auf eine Originallizenz ein bis zwei widerrechtliche Abzüge. Dadurch entstehe ein Schaden in Höhe von mindestens 100 Millionen Franken. Diesem Treiben wollten die Herstellervertreter nicht länger tatenlos zuschauen.
Peter A. C. Blum, «Softfair»-Präsident und Chef von Microsoft Schweiz, kündigte «viel Aufklärungsarbeit mittels Informations- und Beratungstätigkeit» an. Zudem sollten «gezielte Aktionen» realisiert werden, womit allerdings nicht überfallartige Kontrollen verdächtiger Firmen und öffentliche Blossstellungen gemeint seien, sondern gut schweizerische «Ausstellungen, Seminare etc.».
Dass der Verband nur «weiche» Aktionen ins Auge fasste, hing mit dem zusammen, was er als Wurzel des Übels ausgemacht hatte: Software-Klau gelte weitherum als «Kavaliersdelikt». Daher müsse man zuerst einmal die Entscheidungsträger – Informatik- und Projektleiter sowie Einkäufer – über Lizenzrechte informieren, um auf diesem Weg «letztendlich» an den Endbenutzer zu gelangen.

Professoraler Widerspruch

An der Medienkonferenz zur Gründung von «Softfair» sollten zwei ETH-Professoren mit ihren Statements die Dringlichkeit der Lage unterstützen. Dazu kam es aber nicht, wie Computerworld berichtete. Informatikprofessor Carl August Zehnder und Wirtschaftsprofessor Willy Linder benannten als eigentliche Wurzel des Übels die Hochpreispolitik. Zehnder empfahl den Software-Häusern eine Reihe von preislichen Massnahmen, die der Software-Piraterie den Wind aus den Segeln nimmt: Firmenlizenzen für Grossbenutzer, weil diese «in der Ausbildung wichtige Eigenleistungen erbringen». Tiefe Preise, weil dann «mehr korrekte Käufer ihre Software legal einkaufen». Noch tiefere Preise für Schulen, nicht nur weil damit «die Verbreitung bestimmter Produkte gefördert wird (wenn sie gut sind)», sondern auch, weil «gerade über die Schulen der korrekte Umgang mit lizenzierter Software geübt werden sollte». Denn eines der Grundprobleme der Software-Welt sei, dass sie im Gegensatz zur Hardware-Industrie «kein Gesicht» habe. Dieses Image-Problem gelte es anzugehen, unter anderem via Schule. Heilsame Preiskorrekturen könnte auch die von Linder empfohlene Freigabe des Händlerwettbewerbs bringen.
Die Industrievertreter waren erwartungsgemäss nicht wirklich glücklich mit den professoralen Widerworten. Nach ihren Verlautbarungen waren die Chancen eher gering, dass in der Schweiz die Preisfront für Standard-Software in absehbarer Zeit ins Wanken geraten würde.

Alternative: Software per Post

Abseits der etablierten – und preisgebundenen – Distributionskanäle für Software agierte seit 1985 der Versandhändler Toni Smith. Er bediente die deutschsprachigen Märkte mit PC-Programmen zu Tiefstpreisen. So kostete die englische Version von Windows 3.0 ganze 216, die deutsche Version nur 328 Franken. Die deutsche Version von Word für Windows ging für 1111 Franken über den Ladentisch. Die empfohlenen Verkaufspreise für die Pakete waren doppelt bis dreimal so hoch.
Im Gespräch mit Computerworld wollte Smith nicht verraten, wie er die Preise kalkuliert. Die Frage wurde mit einem Lachen quittiert. Jedoch versicherte er, dass es sich durchwegs um legal beschaffte Programme handelt. Mit Raubkopien habe die «Software Post by Toni Smith» nichts im Sinn. Trotz seiner tiefen Preise habe Smith allerdings festgestellt, dass es in der Schweiz nicht leicht sei, sein Geld mit dem Verkauf von Software zu verdienen. Der Kunde verlange einiges an Dienstleistung und Service, entscheide sich aber trotzdem häufig aufgrund des Preises.
Doch Smith hatte hart zu kämpfen. Ihm fiel insbesondere auf, dass er nicht gerade von Grossaufträgen überschwemmt wurde. Dafür hatte er nur eine Erklärung: «In der Schweiz wird viel kopiert», sagte er im Interview mit Computerworld Schweiz. Besonders Grossfirmen kauften nur ein Exemplar eines Software-Pakets, damit sie in den Besitz des Manuals kamen, klagte er. Das Handbuch und die Software würden dann kopiert und auf allen Personalcomputern der Firma installiert.
Toni Smith (hinten links) hatte sechs hungrige Mäuler mit dem Verkauf von Software zu stopfen
Quelle: Computerworld
Da Smith und seine Frau mittels Software-Verkauf sechs Kinder zu ernähren hatten, blieb ihm beim Geschäfts­modell keine Wahl: tiefe Preise. Denn der Umschlag grösserer Mengen war nur über den Preis zu erreichen. Ob der neuen Initiativen der Software-Industrie bliebe nach den Worten von Smith allerdings abzuwarten, ob der Preis nicht noch um einiges günstiger ausfallen könne, wenn die «Software Post» grosse Stückzahlen eines Standardpakets durch die Lieferung an Grossunternehmen umsetzen könnte. Auch dies käme schliesslich wieder dem Einzelkunden zugute. Jedoch: Smiths Rechnung sollte nicht aufgehen. 1994 musste er Insolvenz anmelden.
143 bekannte Computer-Viren
Heute werden Raubkopien in vielen Fällen zur Verbreitung von Malware zweckendfremdet. Vor 30 Jahren war diese Praxis noch nicht gängig. Schweizer Firmen konnten noch «guten» Gewissens beliebig viele Kopien ihrer Software erstellen, ohne Gefahr zu laufen, von einem Angreifer attackiert zu werden.
Wer sich trotzdem schützen wollte, konnte ab 1991 zu einem Produkt des Computerpioniers Peter Norton respektive Symantec greifen: «Norton Antivirus». Die Software-Neuheit wurde unter anderem damit beworben, dass sie wenig Systemressourcen benötigt (27 Kilo­byte Arbeitsspeicher), sämtliche der damals bekannten 143 Viren erkennt und während eines Jahres mit Updates versorgt wird – auf Diskette, versteht sich.
Für OS/2 gab es vor 30 Jahren keinen einzigen Computerschädling. Trotzdem lancierte die britische Firma S&S International ein Antivirenprogramm für das IBM-Betriebssystem. Dr. Solomon’s Virus Toolkit sollte OS/2-Viren umgehend erkennen und vernichten können. Zum Erfolg wurde das Programm erst, als es auf Windows portiert wurde. Zu den Hochzeiten von Norton – das Ende der 1990er rund 60 Prozent Marktanteil hatte – wurde Dr. Solomon’s von McAfee übernommen.
Das Jahr 1991 markiert auch den Beginn der Pro­fessionalisierung der Virenautoren. Im US-Computer­magazin «Microtimes» warb HLD Publishing für das «Jerusalem»-Virus. Auf Anfrage erklärte die Firma, das Virus sei für 29.99 US-Dollar zu haben.



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