Visense 18.04.2022, 09:10 Uhr

Wachsame Augen auf den Produktionsprozess

Industriemaschinen sind vor Fehlern nicht gefeit. Das Start-up Visense hat eine datengesteuerte Industrial-IoT-Systemlösung entwickelt, die Fehlerereignisse mittels Videodaten festhält, die mit Sensorinformationen und KI-gesteuerten Datenanalysen angereichert werden.
Visense wurde von Marvin Thiele, Pia Spori und Christian Reich (v. l. n. r.) gegründet
(Quelle: Visense)
Maschinen-Ausfallzeiten (Downtime) aufgrund von Fehlerereignissen sind ein enormes Ärgernis für Industrieunternehmen. Wird die Produktion unterbrochen, verursacht dies schnell hohe Kosten, Verzögerungen sowie viel Personal- und Zeitaufwand, um den oder die Fehler zu finden und zu beseitigen. Teilweise dauert es Monate, bis herausgefunden wird, weshalb eine Komponente einer Produktionsstrasse nicht immer so läuft, wie sie sollte. Denn oft sind Konstruktionsfehler daran schuld, die nur sehr schwer identifiziert und behoben werden können, zumal es häufig an Hilfsmitteln fehlt. «Es gibt kaum dezidierte Prozesse für den Umgang mit ungeplanten Maschinenfehlern», erklärt Christian Reich, Co-Founder Business von Visense. «Auch sind datengetriebene Lösungsansätze oft kaum umsetzbar, da die Datengrundlagen zu schlecht sind.» Entsprechend sei ein langwieriger manueller Prozess erforderlich, der von teuren Maschinenspezialisten vorgenommen werden müsse.
Visense will mit seiner Lösung der Downtime-Problematik Gegensteuer geben. «Wir bieten den Unternehmen eine smarte Diagnoselösung für ihre Industriemaschinen», sagt Reich. «Mit dieser gewähren wir visuelle Einblicke in die observierbaren maschinellen Probleme auf dem Shop Floor.» Konkret identifiziert Visense Fehler mittels optischer Kameras und Sensoren, die an den fehlerhaften Maschinen angebracht werden. «Nach einer kurzen Installationsdauer beginnt unser System, völlig autonom die maschinellen Prozesse zu filmen, automatisch fehlerhafte Takte zu erkennen und ausschliesslich das Videomaterial abzuspeichern, das für die Fehleranalyse relevant ist», sagt Marvin Thiele, Co-Founder Technology. «Anschliessend werden die Daten mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen auf Anomalien analysiert sowie in verschiedene Fehlerkategorien geclustert.» Dies ermögliche dem verantwortlichen Personal den Zugang zu einer Datenbasis, in der jeder Fehler festgehalten ist und bereits voranalysiert wurde. «Auf unserer webbasierten Frontend-Plattform können dann die Fehlerdaten gemanagt werden, um so den zuvor unkoordinierten Fehlerfindungsprozess zu strukturieren und zu digitalisieren», erklärt er. «Dies hilft bei der Verbesserung von Prozessen wie zum Beispiel dem Reporting, der Einleitung von Gegenmassnahmen oder der Anlaufphase.»

Systemlösung mit Soft- und Hardware

Visense ist eine Systemlösung, die sich aus einer Software- und einer Hardware-Komponente zusammensetzt. Die Software beinhaltet eine Frontend-Plattform, Algorithmen für maschinelles Lernen sowie IoT-Applikationen, um die Daten von der Hardware abzugreifen. Die Hardware besteht aus einem standardisierten Hardware-Kit, zusammengesetzt aus Industriekameras, ein wenig Sensorik für die Takterkennung, einem I/O-Link-Master, der optional die Anbindung diverser weiterer Sensoren erlaubt, sowie einem Edge Computing Device und Network Equipment. «Auf den Edge Devices beim Kunden läuft Code, der die Daten aufnimmt, sequen­ziert und zwischenspeichert», erklärt Thiele.
«In unserer Cloud-Software können im Fehlerfall die gesammelten Daten angezeigt und analysiert werden.» Eine Besonderheit des Systems von Visense sei, dass es komplexe Hardware-Interaktionen und schwierige Zusammenhänge stark vereinfache und es den Kunden ermögliche, auch ohne spezifisches Wissen beispielsweise über Industriekameras einen Mehrwert zu erzielen.
Die Lösung von Visense ist branchenunabhängig einsetzbar. «Das wichtigste Kriterium sind die Maschinen selbst», sagt Reich. «Es muss sich um Maschinen mit automatisierten und observierbaren Prozessen handeln, vorzugsweise in der diskreten Fertigung.» Visense arbeite deshalb vor allem mit führenden Unternehmen aus der Automobil-, Rohrleitungs- und Verpackungsindustrie zusammen. Erfolge konnten beispielsweise bei einer Maschine erzielt werden, bei welcher der Fehler nur bei einer spezifischen Produktfarbe aufgetreten ist: «Visense stellte fest, dass der Fehler auf eine Spiegelung der Sensormessung an dem Bauteil zurückzuführen ist», so Reich. «Mit diesem Wissen konnte der Kunde den entsprechenden Sensor anpassen und so den Fehler nachhaltig beheben.» Dagegen sei Visense für geschlossene Prozesse, wie etwa den Spritzguss, nicht geeignet, da dort die Kameras die maschinellen Prozesse nicht er­fassen können.

Aus Design-Thinking-Projekt entstanden

Visense ist aus einem gemeinsamen Design-Thinking-Projekt von Studenten aus den Fachrichtungen IT-Systems Engineering respektive Business Innovation des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts (HPI) und der Universität St. Gallen (HSG) in Zusammenarbeit mit der BMW Group hervorgegangen. Gegründet wurde das Start-up, das heute in Neuhausen am Rheinfall sowie in Potsdam domiziliert ist, 2020 durch den IT-System-Engineer Marvin Thiele (HPI) sowie Pia Spori und Christian Reich, die an der HSG das Masterstudium Business Innovation absolviert hatten. «Heute sind wir ein überschaubares Team von insgesamt fünf Leuten, wobei wir nach unserer Finanzierungsrunde zwei bis drei weitere Entwickler sowie eine Vertriebsaushilfe einstellen werden.»
Um Visense nutzen zu können, ist neben der Miet-Software auch ein spezielles Hardware-Kit erforderlich, das gekauft oder gemietet werden kann

Quelle: Visense
Finanziert wird das Start-up Visense hauptsächlich durch institutionelle und private Investoren. Monetarisiert wird seine Lösung über eine jährliche Abo-Gebühr für die Software, wobei für deren Nutzung auch die Hardware-Kits über das Start-up bezogen werden müssen. «Ebenfalls bieten wir zusätzlich Demo-Projekte respektive ein Mietmodell an, bei dem die Hardware gemietet werden kann, um unsere Lösung risikofrei und projektbasiert für ein paar Wochen zur Verbesserung einer Maschine zu nutzen.»
Visense will künftig noch stärker im Bereich der zusätzlichen Analyse durch Machine-Learning-Algorithmen werden, die sich derzeit noch in der Prototypen-Phase befinden. Reich weist jedoch darauf hin: «Machine Learning hört sich immer gut an – fraglich ist jedoch, ob es das auch in jedem Fall braucht.» Grundsätzlich sei Visense der Auffassung, dass seine Lösung auch ohne Machine Learning einen immensen Vorteil bei der Fehlerbehebung bei Industriemaschinen bringe.
Weiter sei vorgesehen, dass auf der Visense-Plattform weitere Module angeboten werden. «Dazu gehören beispielsweise Features zur Produktqualitätsüberwachung oder das Monitoring der Overall Equipment Effectiveness (OEE) von Maschinen», sagt er. Auch sei geplant, eine visuelle Fernüberwachung der Maschinen zu ermöglichen, um so den Shop Floor und den Office Floor besser zu verschmelzen, oder künstliche Intelligenz mit IoT-Lösungen zusammenzuführen, um weitere wertvolle Analysen zu ermöglichen. Im Fokus stehe jedoch weiterhin eine verbesserte Auswertung der observierbaren Maschinenfehler: «Denn wir sind der Überzeugung, dass der Einsatz von Kameras auf den Shop Floors nach und nach aufgrund der steigenden Automatisierung zunehmen wird.» Visense sehe dies als Chance, um sich als wichtigen Player in diesem Feld zu etablieren, das bisher nur marginal besetzt sei.
Zur Firma
Visense
ist ein Start-up, das aus einem Design-Thinking-Projekt des Hasso-Plattner-Instituts im deutschen Potsdam und der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der BMW Group hervorgegangen ist. Gegründet wurde es von Marvin Thiele, Christian Reich und Pia Spori. Visense hat sich auf die Fehlererkennung und analyse von Produktionsmaschinen in Produktionsstrassen insbesondere auf Basis von Videodaten spezialisiert. Zur Kundschaft gehören insbesondere führende Hersteller aus der Automobil-, Rohrleitungs- und Verpackungsbranche in der Schweiz und in Deutschland. www.visense.io



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