«Eine Bank ist heute ein Tech-Unternehmen»

Cloud-Projekte

CW: Wie viel IT nimmt Ihnen die Migros-Genossenschaft ab?
Wick: Wir arbeiten auf viele Arten zusammen, aber letztlich sind die beiden IT-Welten getrennt. Wir haben schliesslich ganz andere regulatorische Anforderungen, so muss beispielsweise unser Rechenzentrum Finmazertifiziert sein. Früher lief unser Backup-Rechenzentrum noch innerhalb des Migros-Rechenzentrums. Das ist aber schon seit fünf, sechs Jahren nicht mehr so: Wir wechselten mit unserem zweiten Rechenzentrum zu einem kommerziellen Anbieter. Wir arbeiten aber beispielsweise in den Themen Cybersecurity oder Cloud mit dem MGB zusammen. Zudem tätigen wir gewisse Einkäufe über sie, um von Gruppenkonditionen profitieren zu können. Ebenfalls beziehen wir von ihr alle Dienstleistungen rund um HR-Systeme. Im Moment sind diese noch bei uns installiert, wandern aber jetzt komplett in die Cloud.
CW: In eine Schweizer Cloud?
Wick: Für das HR ist das nicht erforderlich.
CW: Und für Microsoft-Systeme?
Wick: Da starten wir jetzt mit der Nutzung und die Cloud ist in der Schweiz. Zudem haben wir dort keine Kundendaten. Wir beziehen aus der Microsoft Data Cloud aber ­gewisse Security-Dienstleistungen für die elektronischen Arbeitsplätze.
CW: Eine Schweizer Cloud ist also kein riesiges Thema für die Migros Bank?
Wick: Wir haben eine eigene Private Cloud, in der unsere eigenentwickelten Applikationen laufen. Auch beziehen wir gewisse Software as a Service, die es nur aus der Cloud gibt – dort sind wir daran gebunden, wie sie zur Verfügung gestellt wird. Kundendaten aber, das ist ganz klar, dürfen nicht ins Ausland, das ist eine eiserne Regel.
CW: Gibt es Überlegungen, die Private Cloud abzu­lösen?
Kunzelmann: Die haben wir gerade neu aufgebaut. Wir haben in den letzten zwei Jahren unsere Basis- und Core-Infrastruktur vollständig erneuert und dort ist unter anderem die Private Cloud hinzugekommen.
CW: Wie sieht die Infrastruktur ungefähr aus?
Wick: Finnova, unsere Kern-Bankensoftware, läuft auf einem IBM-AIX-System. Die restlichen Applikationen verteilen sich auf verschiedene Linux- und Windows-Cluster.
CW: Wenn ich ein Entwickler wäre, was würde mich bei der Migros Bank an neuen Themen erwarten?
Wick: Grundsätzlich entwickeln wir die allermeisten Applikationen mit Partnern, so auch unser neues E-Banking. Wir selbst beschäftigen vor allem Entwickler im Bereich IT-Automation, welche die ganze Automatisierung im Betrieb sicherstellen. Zudem haben wir Entwickler im Bereich Robotics respektive robotergesteuerter Prozessautomatisierung (RPA) und rund ums Datawarehouse, ­beispielsweise in den Bereichen Workflows, Bewilligungs- und Kreditprozesse.
CW: Es geht also nicht nur um Infrastruktur?
Wick: Nehmen wir als Beispiel den Bewilligungsprozess für einen Kredit. Das ist eine selbst entwickelte Applikation in Ergänzung zu Finnova, weil dieses nicht über die Funktionalität verfügt. Was die Entwickler erwarten können, sind moderne Umgebungen und Konzepte, agile Teams, in diesem Fall Scrum-Teams, sowie spannende Aufgaben.
CW: Sie positionieren sich zum Thema Fachkräfte … Gibt es dort ein Problem?
Kunzelmann: Wir haben in der Schweiz momentan Vollbeschäftigung und die IT ist ein sehr breites Feld geworden. Wir stellen Leute in Berufen ein, die nicht mehr so «hart verdrahtet» sind mit klassischem Banking oder klassischer IT. Natürlich braucht es das auch, aber das ganze Tech-Feld – von Usability Engineers über Product Owners bis hin zu Leuten mit T-Shape-Profilen, insbesondere jene mit Anschlusskompetenzen – ist bei den Banken zunehmend begehrt. Es gibt überall einen Wettbewerb um Fachkräfte, nicht nur in der IT, beispielsweise auch um solche im Bereich RegTech. Gerade bezüglich Compliance suchen wir sehr viel Personal und finden es schlichtweg nicht.
CW: Wie versuchen Sie, dieses Problem zu lösen?
Kunzelmann: Wir können viel mit unserer Kultur, diesem Migros-Spirit, kompensieren. Wir sind ein Schweizer Unternehmen mit typischen Schweizer Werten. Das finden viele Leute positiv. Andererseits können wir im Kontext der ganzen Migros-Gruppe sehr interessante Jobs anbieten, beispielsweise in Hinblick auf ihre Ökosystem-Logik, die einzigartig ist. Das kann wohl so nur die Migros Bank anbieten. Gleichzeitig sind die Löhne in der Bankenindustrie vergleichbar und schlussendlich geht es darum, Freude an der Arbeit zu haben. Das können wir bieten: Unser Geschäftsfeld ist offen, ebenso der Verwaltungsrat, der aus dieser Bank etwas Tolles machen will, und wir bieten viele Chancen. Für mich ist das der Unterschied: Wir sind keine ausschliesslich klassische Bank.
Wie Manuel Kunzelmann und Stephan Wick (v. l.) bekannt geben, findet ab Herbst der grosse ­Rollout des neuen
E-Bankings der Migros Bank statt
Quelle: Stefan Walter
Wick:
Das ist schon etwas, das von der Migros abstrahlt: Wir sehen uns als menschliche Bank. Ein IT-Security-Engineer kommt schnell auf zehn Jobofferten. Damit man solche Leute halten kann, ist der Umgang mit den Mit­arbeitenden schon sehr wichtig. Auch kann eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda den Unterschied ausmachen.
CW: Bilden Sie auch aus?
Wick: Ja, in verschiedenen Bereichen. Gerade der Bereich Robotics interessiert Jugendliche sehr und ermöglicht ihnen einen spannenden Berufseinstieg.
CW: Investieren Sie auch in eine neue Arbeitsumgebung?
Kunzelmann: Schlussendlich geht es darum, ein attraktives Gesamtpaket aus Home Office, Teilzeit auch für Führungskräfte und Vereinbarkeit mit der Familie zu schnüren, damit die Leute Arbeit und Freizeit in einer guten Balance halten können. Da gehören auch Räumlichkeiten dazu, mit denen das Arbeiten in Gruppen verbessert wird – mit der kollaborativen, agilen Valuestream-Logik wird viel mehr in Teams gearbeitet, wozu es vermehrt grosse, flexible Flächen braucht. Wichtig ist ebenfalls, dass auch die Geschäftsleitung die Regelungen vorlebt.
Wick: 34 Prozent unserer IT-Fachleute arbeiten Teilzeit. Wir haben auch einen relativ hohen Frauenanteil von 28 Prozent. Die Hälfte von ihnen arbeitet Teilzeit, bei den Männern etwas weniger. Wer das Pensum ändern will, kann das in der Regel innert Monatsfrist tun, dort sind wir sehr flexibel.
CW: Gab es die Idee, zu 100 Prozent Office zurückzukehren?
Kunzelmann: Nein, Home Office gehört einfach zur heutigen Zeit. Das war für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung sonnenklar. Es geht eher darum, den Funktionen, bei denen Teamarbeit zentral ist, schmackhaft zu machen, wieder ins Büro zu kommen, dies mit dem Argument, dass Teamwork der Schlüssel zum Erfolg ist.
CW: Gibt es bei der Migros Bank ein Performance-Messsystem?
Wick: In gewissen Bereichen wird die Produktivität gemessen, da reden wir aber von operativen Bereichen wie dem Kundencenter oder vom Zahlungsverkehr. Dort ist die Produktivität im Home Office eindeutig gestiegen. Klar, die Leute haben zum Teil auch länger gearbeitet, das haben wir gesehen. In den anderen Bereichen haben wir nicht systematisch gemessen. Die meisten davon schreiben ihre Arbeitszeiten nicht auf, sondern haben Vertrauensarbeitszeit.
Kunzelmann: Wir arbeiten mit einem OKR-System (Objectives and Key Results). Wir setzen Jahresziele und machen dann vierteljährliche OKRs. Die Kontrolle basiert auf der Zielerreichung und ist damit wirkungsbezogen. Das ist ein essenzieller Punkt, um nicht in die Spirale von «Command and Control» zu geraten, was logischerweise jedem Mitarbeitenden schnell ablöschen würde.



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