Meltdown und Spectre: Lesen ohne zu lesen

Kernproblem

Das Kernproblem liegt darin, dass wir aus Effizienzgründen an vielen Stellen gemeinsame Ressourcen nutzen. Nicht nur im Prozessor, z.B. der Cache, sondern auch im Internet (gemeinsame Funkkanäle oder Leitungen), aber auch in der realen Welt (z.B. Schiene oder Strasse). Wenn mehrere Teilnehmer eine gemeinsame Ressource nutzen, können sie darüber miteinander kommunizieren, beispielsweise, indem der eine Teilnehmer die Auslastung dieser Ressource verändert und das Gegenüber diese Auslastung beobachtet. Damit wird diese Ressource zum Kommunikationskanal: einer von unzähligen verdeckten Kanälen oder Seitenkanälen.
Um diese Seitenkanäle zu nutzen, müssen beide Kommunikationspartner aktiv werden. Im Normalfall bedingt dies die freiwillige Teilnahme beider Seiten. In diesem Fall kann aber durch spekulative Ausführung (mit interner Umordnung der Befehle, «out-of-order execution») eine der beiden Kommunikationsseiten zur Zusammenarbeit übertölpelt werden. Damit wird die Spekulation nicht vollständig frei von Nebenwirkungen und damit entsteht die Möglichkeit eines Seitenkanals.
Das Problem besteht nur, solange gemeinsame Ressourcen und spekulative Ausführung zusammen auftreten. Beide sind aber Schlüsselstellen für die Effizienz der heutigen Prozessoren. Durch bessere Trennung des Caches für normale und spekulative Instruktionen (wie es schon heute für Schreibbefehle verwendet wird) könnte das erreicht werden. Durch die langen und teuren Entwicklungszyklen für Prozessoren werden wir erst in vielen Monaten mit Prozessoren rechnen dürfen, die das Problem nicht mehr haben.

Betroffen

Gegenmassnahmen

Alle drei Fälle basieren auf Fehlern der CPU; da Updates bei den CPUs jedoch schwierig sind und nur teilweise abhelfen, sind Betriebssysteme, Compiler und Anwendungsprogrammierer gefordert.
  • Meltdown wird in vielen Betriebssystemen durch Änderung der Speicherorganisation verhindert. Bei jedem Betriebssystemaufruf sind neu teure Änderungen der Übersetzungstabelle notwendig. Dies führt jedoch zu Verlangsamungen, je nach Situation zwischen rund 5 % und 30 %, sehr selten bis fast 50 %.
  • Spectre 1 (Arraygrenzen) wird zuallererst die Programmierer beschäftigen. Sie müssen sicherstellen, dass – wenn sie nicht vertrauenswürdigen Code in ihrer Anwendung ausführen – dieser dann (a) den Seiteneffekt nicht auslösen kann oder (b) ihn nicht messen kann. Vermutlich werden in den nächsten Monaten findige Entwickler von Compilern Optionen schaffen, um diese Situation automatisch zu erkennen und zu verhindern.
    Da die Lücke aber nur Anwendungen betrifft, die fremden Code ausführen (JIT, Bytecode und eventuell auch Interpreter), aber alle Anwendungen verlangsamen, werden die betroffenen Anwendungsentwickler diese Funktion des Compilers wahrscheinlich zuerst aktivieren müssen.
  • Spectre 2 (Berechnete Sprünge) wird aktuell über Microcode- in Kombination mit Betriebssystem-Updates behoben. Alternativ kann auch sogenannter «RetPoline»-Code anstelle des berechneten Sprungs genutzt werden. Einige Compiler bieten bereits eine entsprechende Option an, Weitere werden folgen.
Wir sehen, dass nur eine Kooperation aller Akteure (CPU-Hersteller, Betriebssystemmacher, Compiler-Entwickler und Anwendungsprogrammierer) das Problem nachhaltig lösen kann, zumindest solange keine Meltdown- und Spectre-sicheren neuen Prozessoren verfügbar sind.
Bis die Sache ausgestanden ist, werden auch die Nutzer stark gefordert: Das fleissige und zeitnahe Einspielen von Anwendungs-, Betriebssystem- und BIOS/UEFI-Updates [3] sowie das Ausbaden unerwünschter Nebenwirkungen derselben werden dafür sorgen, dass uns allen noch über Monate hinweg nicht langweilig wird.

Fussnoten:

[1] Alternativ könnte er auch mit einer Wärmebildkamera die zuletzt angefassten Figuren identifizieren oder, oder, oder …
[2] Es gab einen Trend zu Prozessoren mit einfacheren Befehlen, die dann entsprechend schneller ausgeführt werden können (RISC-Prozessoren, insbesondere die in Mobilgeräten beliebten ARM-Prozessoren). Aber die klassischen CISC-Prozessoren mit ihrer grösseren Verbreitung und Marktmacht haben da einfach aufgeholt, indem sie intern wie RISC zu arbeiten begannen.
[3] Leider sind BIOS-/UEFI-Updates häufig nicht so einfach einzuspielen wie der Rest. Hier sind die Gerätehersteller gefordert.



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