Jonathan Döhring, PayPal 12.08.2020, 14:31 Uhr

«Der Lockdown war Wasser auf den Mühlen von Online-Betrügern»

PayPal beschäftigt in London ein Team, das sich mit betrügerischen Handlungen im Online Payment auseinandersetzt. Jonathan Döhring, Chef des «Simility Fraud Protection Teams», erklärt, wie sein Arbeitsalltag aussieht und wie die Corona-Krise Betrug verändert hat.
PayPal unterhält ein spezielles Team zur Betrugsbekämpfung
(Quelle: PayPal)
Jonathan Döhring ist Data Scientist bei PayPal in London. Hier sorgen er und sein «Simility Fraud Protection Team» dafür, dass Händler vor betrügerischen Machenschaften geschützt werden. Im Interview erklärt er, wie sich Big Data und Machine Learning zur Betrugserkennung im Handel anwenden lassen.
Sie beschäftigen sich tagtäglich mit Betrugserkennung bei PayPal. Wie beginnt Ihr Tag im Office? Wie gross ist Ihr Team? Und wie arbeiten Sie mit den PayPal-Teams in anderen Ländern zusammen?
Jonathan Döhring, Data Scientist und Lead des «Simility Fraud Protection Teams» von PayPal in London
Quelle: PayPal
Jonathan Döhring:
Ein typischer Tag bei uns im Team beginnt wie vermutlich sehr viele Tage in sehr vielen Büros normalerweise mit einer grossen Tasse Kaffee oder Tee. In normalen Zeiten treffen wir uns morgens in unserem PayPal-Office im Herzen von London, besprechen das aktuelle Tagesgeschehen und bringen uns gegenseitig auf den neuesten Stand. Seit wir bedingt durch Corona im Home Office arbeiten, geht das leider nur noch online.
Mein Team gehört zu Simility, einer Plattform für Betrugsprävention, die PayPal vor rund zwei Jahren übernommen hat. Wir sind Teil des «Machine Learning and Device Intelligence Technology»-Bereichs innerhalb der PayPal-Familie. Unsere Hauptaufgabe besteht in der Betrugserkennung für unsere internen und externen Kunden. Dazu gehört, dass wir neue Ansätzen und Strategien zur Betrugsbekämpfung erarbeiten sowie neue Tools und Machine-Learning-Modelle entwickeln und programmieren.
Insgesamt besteht das Simility-Team in Europa aus neun Kollegen in London und zwei weiteren in Amsterdam. Wir sind ein sehr internationales und fachlich breit aufgestelltes Team. Da wir alle auf internationalen Projekten arbeiten, stehen wir zudem in regem Austausch mit anderen Kollegen von PayPal, insbesondere aus Indien, den USA und Brasilien.
Sie nutzen Machine Learning und Big Data Analytics um Betrugsmuster zu erkennen. Können Sie das ein wenig erklären? Wie arbeiten beide Technologien zusammen?
Döhring: Die meisten betrügerischen Handlungen im Online-Zahlungsverkehr unterscheiden sich zum Glück recht deutlich von den Aktivitäten ehrlicher Nutzer. Daher lassen sich Big Data und Machine Learning sehr gut zur Betrugserkennung anwenden. Nutzer ohne betrügerische Hintergedanken zeigen normalerweise ein recht konsistentes und vorhersagbares Verhalten, beispielsweise bei ihrer Kreditkartennutzung. Entsprechend lässt sich meistens gut erkennen, wenn jemand anderes die Kreditkarte nutzt oder es sich um eine unautorisierte Zahlung handelt. Automatisierte, datenbasierte Verfahren wie Algorithmen helfen uns hier dabei, Datenpunkte zu verknüpfen und den Entscheidungsfindungsprozess zu skalieren.
PayPal nutzt übrigens schon seit vielen Jahren solche Machine-Learning-Modelle zur Bekämpfung von Betrug. International hat PayPal über 20 Jahre Erfahrung im E-Commerce und ein grosses internationales und zweiseitiges Netzwerk von mittlerweile über 300 Millionen Kunden - Händler und Verbraucher. Dieses Netzwerk generiert eine riesige Menge anonymisierter Daten. Diese Fülle an Datenpunkten hilft den Algorithmen dabei, betrügerische Aktivitäten schnell und effektiv zu erkennen, zu markieren und zu stoppen, bevor ein Schaden für den Nutzer entsteht. Täglich wickelt PayPal weltweit rund 27 Millionen Transaktionen ab. Diese Daten werden anonymisiert und bilden exakt die breite Grundlage, die es uns erlaubt, Betrugsversuche zu identifizieren und zu verhindern.

«Mehr Online-Handel bedeutet auch mehr Betrugsversuche»

Haben sich die Betrugsszenarien in den letzten Monaten verändert? Wenn ja, inwiefern?
Döhring: Betrugsmuster verändern sich ständig. Online-Betrug läuft heute in organisiertem, hoch-skalierten Rahmen ab. Das erhöht natürlich auch die Anforderungen an unseren Job. Sobald wir einen bestimmten Angriffsvektor erfolgreich gestoppt haben, müssen wir davon ausgehen, dass der «Profi-Betrüger» schon auf der Suche nach dem nächsten Schlupfloch ist. Das macht den Einsatz von konstant lernenden Algorithmen auch so wichtig und unerlässlich für eine erfolgreiche Betrugsbekämpfung. Mit Machine Learning können wir nach neuen betrügerischen Aktivitäten suchen und aus diesen Rückschlüsse ziehen, um den elektronischen Zahlungsverkehr für jeden Einzelnen noch sicherer zu machen. Für uns ist es essenziell, dass sich unsere Kunden, egal ob Händler oder Verbraucher, darauf verlassen können, dass ihre Zahlungen sicher sind.
Diese Verlässlichkeit hat durch die Corona-Pandemie nochmal an Relevanz gewonnen. Die Situation hat auch die Welt des Online-Betrugs verändert. Klassischerweise führen grössere ökonomische Krisen zu einem Anstieg von Betrugsfällen, im konkreten Fall haben der weltweite Lockdown und die Social-Distancing-Massnahmen verstärkt dazu geführt, dass viele Menschen auf den Online-Handel zurückgegriffen haben. Das zeigen auch unsere Zahlen: Allein im April dieses Jahres konnte PayPal weltweit 7,4 Millionen Neukunden gewinnen, das entspricht rund 250'000 pro Tag. Am 1. Mai verzeichneten wir den Tag mit den meisten Transaktionen in der Geschichte des Unternehmens. Das freut uns natürlich sehr, aber mehr Online-Handel bedeutet natürlich auch mehr Betrugsversuche. Mittlerweile ist sogar der Handel mit Anleitungen zum Online-Betrug ein Geschäftsmodell. Dieser Handel beispielsweise hat im Dark Web in den vergangenen Monaten um fast 50 Prozent zugelegt. Glücklicherweise sind uns die meisten dieser betrügerischen Aktivitäten und Muster seit langem bekannt und können effektiv von unseren Machine-Learning-Modellen und Massnahmen zur Betrugsbekämpfung gestoppt werden.
Gehen Händler in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich mit Betrug um?
Döhring: Das lässt sich nicht so eindeutig beantworten. Es gibt gewisse regionale Eigenheiten, beispielsweise verzeichnen wir in wirtschaftlich schwächere Regionen oft auch höhere Raten an versuchtem Betrug. Vielmehr sehen wir allerdings, dass Händler in verschiedenen Branchen unterschiedlich mit Betrug umgehen. Das hängt stark mit der Risikoaffinität, den Gewinnmargen und auch dem Zielland zusammen. Die Bekämpfung von Online-Betrug ist immer ein Abwägen zwischen erkannten und gestoppten Betrugsfällen und einem möglichen höheren Umsatz.
Ein Beispiel: Die Gewinnmarge bei Elektronikartikeln ist in der Regel relativ hoch. Das führt dazu, dass Händler in diesem Bereich oft eine höhere Risikotoleranz haben. Um so wichtiger ist es, dass unsere Systeme weiter lernen und verbessert werden. Dadurch können wir, auch mithilfe Künstlicher Intelligenz, das individuelle Verhalten von Kunden immer besser voraussagen und sicherstellen, dass wir für unsere Händler der richtige Partner sind - auch bei Risikomanagement und Betrugsprävention.

Dunja Koelwel
Autor(in) Dunja Koelwel



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