Gerichtsentscheid zum Glasfaserbau 12.10.2021, 11:00 Uhr

Swisscom erneut gescheitert

Ende 2020 eröffnete die Weko eine Untersuchung zum Glasfaserbau von Swisscom und stoppte diesen vorsorglich. Dagegen wehrte sich der Konzern, das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Massnahmen jedoch. Wie konnte es dazu kommen? Wir erklären die Hintergründe.
(Quelle: Unsplash)
Seit mehr als 15 Jahren entstehen in der Schweiz Glasfasernetze in FTTH-Technik (Fibre To The Home), zunächst in Grossstädten, später auch in Agglomerationen oder einzelnen Gemeinden. Am runden Tisch der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom) und dem Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) einigte man sich nach jahrelangen Verhandlungen auf eine einheitliche Anschlusstechnik und das Vier-Faser-Modell für FTTH. Hier werden ab Anschlusszentrale bis zu jedem einzelnen Haushalt vier durchgängige Glasfasern gezogen. Während sich die Stromversorger aus Kostengründen zunächst für ein Ein-Faser-Modell aussprachen, argumentierte Swisscom damals für vier Fasern.
Denn mit dem Einzug von nur einer Glasfaser würde ein Monopol entstehen und entsprechend wäre eine Regulierung nötig. Zudem drohte der Kontrollverlust über das Anschlussnetz. Das wollte Swisscom unter allen Umständen verhindern, hatte man doch mit der Regulierung des bestehenden Kupfer-Anschlussnetzes aus PTT-Zeiten bereits schlechte Erfahrungen gesammelt.

Abschied vom Vier-Faser-Modell

In der diesjährigen März-Ausgabe der Computerworld hatten wir verschiedene Anschlusstechniken vorgestellt, so auch Hybridtechniken mit Glas und Kupfer wie Fibre To The Street [FTTS] und Fibre To The Building [FTTB]. Swisscom baute in den Verteilschächten im Quartier sogenannte mCANs (Micro Copper Access Nodes) ein, um das Glasfaserkabel bis Verteilschacht mit den Kupferkabeln in die Häuser zu verbinden. Solche mCANs werden übrigens auch von Sunrise/UPC im Koaxialkabel-Anschlussnetz eingesetzt.
Hybrid-Technik für FTTS von Swisscom: mCAN im Verteilerschacht
Quelle: R. Sellin
Mit einer veränderten Netzbaustrategie begann Swisscom nach Angaben der Weko spätestens Anfang 2020, sich in jenen Gebieten, in denen sie Glasfasernetze allein baut, vom Vier-Faser-Modell mit offenem Netzzugang zu verabschieden. Zwar werden weiterhin vier Fasern bis zum letzten Verteilschacht eingezogen. Von dort wird aber aus Kostengründen nur noch eine einzige Glasfaser bis zum Haus eingezogen. Mithilfe passiver optischer Splitter (statt den zuvor eingesetzten mCANs) werden solche Glasfasern unter mehreren Anschlüssen aufgeteilt, was einer Punkt-zu-Multipunkt-Netzarchitektur (P2MP) entspricht.
Ein solches PON (Passive Optical Network) folgt also einer Baumstruktur, da sich mehrere Endkunden eine gesplittete Glasfaser vom Kabelschacht bis zur Hauszuführung teilen. Solche PONs seien weltweit eine gängige Technik, argumentiert die Swisscom und präsentiert dies ebenfalls als FTTH, was aber nicht ganz korrekt ist. Denn beim Vier-Faser-Modell werden zwei Fasern durch Swisscom und z.B. den lokalen Energieversorger belegt, während die verbleibenden zwei meist unbeschaltet bleiben («Dark Fibre»). Diese stehen anderen Anbietern technologieunabhängig zur Verfügung.

Neue Philosophie: Kein «Dark Fibre» mehr

Wegen der Splittung im PON kann Swisscom auf dem Endkundenanschluss nun keinen freien Layer-1-Zugang mehr anbieten, weil die Glasfaser dank neuem P2MP-Ansatz beschaltet ist. Zwar erhalten alternative Provider einen logischen Zugang zum Kundenanschluss, der aber auf einer höheren Layer mit vorgegebener Übertragungs- und Anschlusstechnik erfolgt. Die Weko spricht hier von «Vorleistungen» der Swisscom, auf welche die Mitbewerber angewiesen sind. Laut Weko «wird damit eine Wettbewerbssituation geschaffen, die derjenigen vor der Regulierung der Kupferkabelinfrastruktur von Swisscom gleicht. Die Weko erkennt in der Verhaltensweise von Swisscom Anhaltspunkte für ein kartellrechtswidriges Verhalten, durch welches Wettbewerber von Swisscom beim Zugang zur Netzwerkinfrastruktur erheblich beeinträchtigt werden können».
Mit anderen Worten: Die Weko wittert eine Beschränkung der Konkurrenz durch einen marktbeherrschenden Anbieter. Trotz Verlusten beim Marktanteil dank wachsender Konkurrenz liegt er für Swisscom immer noch über 50 Prozent, womit die Marktbeherrschung gegeben ist. Daher wurde Swisscom am 14.12.2020 verpflichtet, anderen Fernmeldedienstanbietern «unabhängig von der von Swisscom gewählten Netzwerkarchitektur weiterhin den Zugang zur physischen Netzwerkinfrastruktur zu gewähren. Hierbei kann Swisscom grundsätzlich zwischen sämtlichen zur Verfügung stehenden Ausbauvarianten (AON oder PON) wählen, solange sie einen Layer-1-Zugang für Dritte in ihren Anschlusszentralen gewährt», so die Weko.

Schwerer Rückschlag

Die von ihr angeordneten «vorsorglichen Massnahmen» bestehen mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts also weiterhin. Somit muss Swisscom ihren Mitbewerbern den Zugang zu ihrem Glasfasernetz mit uneingeschränktem Layer-1-Zugang ab Anschlusszentrale gewähren. Entweder kann Swisscom nun mit FTTS/FTTB mit der Behelfslösung mCANs weiterfahren oder muss überall uneingeschränktes FTTH, also ohne jegliche optischen Splitter bereitstellen, auch in den bereits anders gebauten Gemeinden.
Auffällig ist, dass die grossen Mitbewerber Sunrise UPC und Salt mit dem Vorgehen der Swisscom offensichtlich einverstanden waren und Salt sogar ein FTTH-Bündnis mit dem Marktführer eingegangen ist. Wie schon 2020 gegen UPC (Thema Peering) scheint hingegen der kleine Alternativanbieter Init7 auch mit Swisscom unzufrieden zu sein und fühlte sich diskriminiert. Mit der Weko hat Init7 einen Bündnispartner gefunden, laut dem «die Gefahr besteht, dass Swisscom beim Bau des Glasfasernetzes Konkurrenten vom Markt ausschliesst».

Bärendienst für den Breitbandausbau

Ob dies wirklich so ist, darf bezweifelt werden, da P2MP-Netze eine seit vielen Jahren weltweit gängige Technik nutzen, so in den USA oder im asiatischen Raum. Es ist sicher ungeschickt, wenn Swisscom als Verwalterin des PTT-Kupfererbes nun mitten im Bauprozess den Bauplan ändert und – wohl aus Kostengründen – mit P2MP statt P2P weiterbauen wollte. Dass sie damit nicht auf Gegenliebe stösst, war eigentlich zu erwarten, haftet ihr doch auch 23 Jahre nach dem Ende der PTT immer noch das Image des Ex-Monopolisten an.
Gleichwohl betrifft der Baustopp all jene Gemeinden der Schweiz, welche dringend auf eine Breitbanderschliessung mit Glasfasern warten. Denn in nicht wenigen Regionen der Schweiz baut kein Anbieter Breitbandnetze ausser Swisscom. Das sollte man gerade bei Init7 vielleicht auch einmal bedenken. Denn die anderen teuer bauen zu lassen, um dann zu profitieren und auch noch zu klagen, entspricht vielleicht dem Zeitgeist, ist aber eher unfein. Zudem ist P2MP nicht nur günstiger, sondern auch schneller und zuverlässiger als FTTS/FTTB und somit die bessere technische Lösung. Davon hätten auch die Kunden von Init7 profitieren können.
Zum Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist (SFJ/MAZ) mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.



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