Computerworld vor 30 Jahren 01.08.2022, 06:12 Uhr

Die elektronische neue Arbeitswelt

Über eine Million Bildschirmarbeitsplätze gab es 1992 in der Schweiz. Schulungen brauchte es trotzdem. Besonders für Videokonferenz-Studios und die Flottensteuerung via Satellit, wie Computerworld berichtete.
Das fahrbare Ausbildungszentrum «Mensch + Bildschirm» vermittelte Tipps für die neue Arbeitswelt
(Quelle: Zentralverband Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen)
Wenn die Gewerkschaft und der Arbeitgeber­verband zusammenspannen, muss es um grös­sere Umwälzungen in der Arbeitswelt gehen. So geschehen 1992 in der Deutschschweiz. Dort tourte das mobile Ausbildungszentrum «Mensch + Bildschirm» mit dem Ziel, die Bildschirmarbeiter zu mehr Eigenverantwortung zu trainieren.
«Die 1,1 Millionen Personen, die hierzulande am Bildschirm arbeiten, müssen ihren Arbeitsplatz selbst gesundheitlicher gestalten», liess sich Rudolf Schuppisser vom Arbeitgeber-Zentralverband zitieren. Er verhehlte dabei aber nicht, dass sich die Unternehmen von den Trainings auch einen Rückgang der Arbeitsbeschwerden und Absenzen ihrer Angestellten erhofften. Denn immerhin 40 Prozent der Bildschirmarbeiter klagten über Augenbeschwerden, Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen.
Während des Seminars im fahrbaren Unterrichtsraum erhielten jeweils zwölf Teilnehmer an vier Bildschirm­arbeitsplätzen nicht nur Ratschläge, sondern machten auch praktische Übungen. Etwa wurden die Seminaristen gefilmt, um schlechte Körperhaltungen aufzuzeigen. Zudem wurden vom Moderator Themen wie Beleuchtung und Bildschirmstrahlung sowie die physischen Belastungen durch Arbeitsmonotonie, Leistungsdruck und Software ­besprochen.
Das Angebot wurde angenommen: Unter ­anderem hatte eine Versicherung das Mobil für ihre Agenturen gemietet, die lokalen Kunden statt eines Werbe­geschenks eines der zweistündigen Seminare bieten wollten. Weiter fanden in diversen Gemeinden und Städten öffentliche Veranstaltungen rund um den Truck statt.

Transatlantische Videokonferenz

Für das Management des Basler Chemiekonzerns Hoffmann-La Roche waren 1992 die transatlantischen Videokonferenzen schon fünf Jahre Bestandteil des Arbeits­alltags. Das Unternehmen hatte bereits 1987 in Basel und New Jersey eigene Videokonferenz-Studios in Betrieb ­genommen. Im Oktober 1991 folgten weitere Studios in Grossbritannien.
Das System «Vico Mac» erlaubte für rund 4000 Franken die Vedeotelefonie am Macintosh
Quelle: Ascom Telematic
Zudem waren zwischen Basel und New Jersey Mietleitungen für Übertragungsraten von 128 und 256 Kilobit pro Sekunde geschaltet. Diese niedrigen Bitraten boten laut Rolf Wenk, bei Hoffmann-La Roche ­verantwortlich für Videokonferenzen, «gute Bilder». Als grös­sere Herausforderung benannte er im Gespräch mit Computerworld die «organisatorische Arbeit» im Vorfeld der Videokonferenzen: Erst müsse ein Termin zwischen den Teilnehmern unter einen Hut gebracht, später dann Videokonferenz-Studios und Leitungen reserviert werden.
Unter dem Strich machten sich die firmeneigenen Studios für das Basler Unternehmen aber bezahlt: Im Rekordmonat November 1991 hätten 200 000 Franken mehr ­hingeblättert werden müssen, wenn die Konferenzen in öffentlichen Studios durchgeführt worden wären.
Zu den Einsparungen bei Flug- und Reisekosten konnte Wenk ­hingegen keine Auskunft geben. «Dieser Vergleich bringt nicht viel, weil an den Videokonferenzen immer mehr ­Mitarbeiter teilnehmen. Dagegen setzt sich meistens immer nur ein einziger Mitarbeiter ins Flugzeug», erklärte er.

Öffentliche Videokonferenz-Studio

Den Schweizer KMU und der Bevölkerung standen in acht von zwölf Kommunikations-Modellgemeinden (KMG) öffentliche Videokonferenz-Studios zur Verfügung. Allerdings würden diese Installationen «ausserordentlich selten benützt».
Zu diesem Ergebnis kam eine KMG-Begleitstudie. Darin kamen die Experten zum Schluss, dass die eigens eingerichteten Studios technisch bereits überholt seien. Für ansehnliche Videobilder würden Übertragungsraten von 128 Kilobit ausreichen. Zudem seien Video­konferenzen am Arbeitsplatz «längst keine Hexerei mehr».
Das vorgeblich leichte Hexenwerk «Desktop-Videokonferenz» war allerdings mit einigen Hürden verbunden. Allein schon das Equipment aus PC plus Lautsprechern, Mikrofon, Videokamera und einem Codier-/Decodier­Gerät für Bewegtbild und Ton musste beschafft werden.
Die Klotener Firma Entec rief für das Computer Aided Com­mu­nication (CAC)-System in der Grundkonfiguration ohne Bildschirm und PC einen Preis von rund 91 000 Franken auf. Apple-Besitzer kamen wesentlich billiger weg.
Ascom Telematic hatte mit «Vico Mac» eine Kombination aus externem Codec-Gerät und einer Kamera mit eingebautem Mikrofon im Portfolio. Das Bildtelefon war ab 4000 Franken zu haben. Der User musste allerdings Abstriche bei der Qualität machen. Die Übertragungsrate betrug nur 15 Bilder pro Sekunde, die Bildauflösung 128 × 122 Pixel.
Der limitierende Faktor war 1992 nicht die Hardware, sondern die Übertragungstechnik. Das Schweizer ISDN «Swissnet» mit seinen 128 Kilobit pro Sekunde war das absolute Minimum. Das Abo kostete monatlich 40 Franken, hinzu kamen die Verbindungskosten pro Minute – in Abhängigkeit vom nächstgelegenen Einwahlknoten.
Trotz der immensen Kosten konstatierte der Schweiz-Chef des Videokonferenz-Anbieters Picturetel, Pascal Sahli: «Die Dial-up-Systeme haben sich als Verkaufshit ­erwiesen.» Mit Swissnet sei den Desktop-Videokonferenzen der «grosse Durchbruch» gelungen.
«Seit der Gründung der Schweizer Niederlassung im März 1992 konnten wir», so Sahli, «32 Anlagen bei Firmen wie ABB, Bankverein und Ciba Geigy installieren.» Die zwischen 40 000 und 150 000 Franken teuren Lösungen würden meist im Projektmanagement und für das globale Reporting genutzt.

Satellitenkommunikation im Lastwagen


Schweizer Chauffeure sahen sich ab Ende 1992 mit neuen elektronischen Hilfsmitteln am Arbeitsplatz konfrontiert. Bis dahin hatten sie alle Freiheiten: War ein Lastwagen einmal unterwegs, so konnte die Spedition kaum Einfluss auf dessen Reiseweg nehmen.
Mit dem Mobildienst «Eutel­tracs» waren dann die Fahrzeuge in ganz Europa und Nordafrika für die Schweizer Transportunternehmen rund um die Uhr erreichbar. So konnten in beide Richtungen ­schriftliche Nachrichten übermittelt werden.
Mit Euteltracs konnten Chauffeure Informationen an die Firmenzentrale übermitteln
Quelle: Euteltracs
Zudem war in das System eine stündliche Ortungsfunktion mit einer Genauigkeit von 300 Metern integriert, die den Standort des Fahrzeugs automatisch übermittelte. Die Bewegungen der Lastwagen liessen sich weiter in der Einsatzzentrale auf digitalen Strassenkarten grafisch darstellen.
Das Satellitenkommunikations- und Positionsmelde-System wurde von der PTT zusammen mit Alcatel/Qualcomm angeboten. «Unsere Endgeräte, Funkteil mit Antenne, Sende- und Empfangsgerät sowie eine Rechner­tastatur mit integrierter Anzeige, kosten pro Lastwagen 10 000 Franken», sagte Peter Müller von der Zürcher Alcatel STR.
Ebenfalls 10 000 Franken kosteten Hardware und Software für die Zentrale. Für den Betrieb verlangte die PTT monatlich 90 Franken und pro Nachricht zusätzlich 50 Rappen. Weiter wurde pro Zeichen 1 Rappen verlangt. Die Anbieter versprachen den Speditionen eine Zeitersparnis von 10 bis 15 Stunden pro Woche und Fahrzeug.



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