Präsidentenwechsel bei adesso Schweiz 24.07.2023, 09:00 Uhr

«Wir haben wahrscheinlich vieles richtig gemacht»

adesso Schweiz hat im Verwaltungsrat den Generationenwechsel vollzogen: Auf den langjährigen Präsidenten Peter Walti folgt CEO Hansjörg Süess. Gleichzeitig wurde das Exekutivorgan von fünf auf vier Mitglieder verkleinert.
Peter Walti wird von Hansjörg Süess (v. l.) als Ver­waltungsratspräsident von adesso Schweiz abgelöst.
(Quelle: Daniel Thüler)
Zur Vereinfachung der Führungsstruktur unter gleichzeitiger Sicherung der Kontinuität hat ein verkleinerter Verwaltungsrat (VR) ab 1. Juni 2023 die Steuerung des operativen Geschäfts der adesso Schweiz übernommen. Das Exekutivorgan setzt sich neu aus folgenden Personen zusammen:
  • Hansjörg Süess, bisheriger CEO und Delegierter der adesso Schweiz, als neuer Verwaltungsratspräsident (VRP)
  • Christian Reusser, CFO der adesso Schweiz
  • Dirk Pothen, Vertreter der adesso-Gruppe
  • Ausgetreten sind Harald Gall (Universität Zürich), André Born und Peter Walti, der bisherige VRP.
Computerworld hat mit Peter Walti und Hansjörg Süess über diesen Generationenwechsel sowie die Vergangenheit und nähere Zukunft der adesso Schweiz gesprochen.
Computerworld: Herr Walti, adesso Schweiz ist sehr erfolgreich unterwegs. Der Umsatz hat sich in den letzten 15 Jahren verneunfacht – auf 90 Millionen Franken. Nun treten Sie mitten in dieser Wachstumskurse als Verwaltungsratspräsident (VRP) zurück. Macht der Erfolg es Ihnen einfacher oder schwieriger zu gehen?
Peter Walti: Einfacher. Die Gewissheit zu haben, dass adesso Schweiz auch ohne mich weiter erfolgreich laufen kann, ist eine Genugtuung. Wir haben wahrscheinlich vieles richtig gemacht. Das ist sicher nicht alles das Verdienst des Verwaltungsrats. Ich war im Prinzip ein Externer – ein Rechtskonsulent und Betriebswirt –, auch wenn ich schon lange in der IT-Branche tätig bin. Natürlich gehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge, aber es ist nun an der Zeit und gut so.
CW: Warum hören Sie gerade jetzt auf?
Walti: Ich bin dieses Jahr 75 geworden und habe beschlossen – und meiner Frau zusichern müssen –, dass ich aus allen IT-Verwaltungsräten zurücktrete. Wir haben das vor einem Jahr eingeleitet. Ich habe einen Leitspruch: «Es gibt drei Schlüssel zum Glück: die Fähigkeit loszulassen, die Bereitschaft zu verstehen und die Kraft der Liebe.» Und es ist die edelste Pflicht eines jeden Managers, wenn er zurücktritt, eine Nachfolge zu haben, von der er zu 120 Prozent überzeugt ist. Hansjörg wird adesso Schweiz in meinem Sinne weiterführen. Ich höre aber nicht ganz auf, sondern starte in eine neue Lebensphase, in der ich keine Management-Verantwortung mehr haben werde. Aber ich stehe dem Unternehmen als Senior Advisor weiterhin zur Verfügung. Ich bin auch Jurist, und das ist vielleicht einmal nützlich.
CW: Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und CEO Hansjörg Süess?
Walti: Hansjörg ist eingetreten, als ich gerade Verwaltungsratspräsident wurde. Ich bin heute noch stolz, dass ich ihn ausgewählt habe. Ich habe es 15 Jahre lang nie bereut.
Hansjörg Süess: Das freut mich sehr.
Walti: Er ist dieses Jahr 50 und ich 75 geworden. Wir haben also eine Art Vater-Sohn-Verhältnis.
Süess: Und dieselben Hobbys – Mountainbike und Hund –, wobei meine Hündin Malou leider vor drei Jahren verstorben ist.
Walti: Zwar habe ich mein traditionelles Mountainbike noch, aber zusätzlich auch ein E-Bike, mit dem ich mittlerweile etwas öfter unterwegs bin.
CW: Wer ist schneller?
Walti: Wir haben es noch nie zusammen aufs Velo geschafft – aber wir haben uns immer von unseren Touren erzählt. Mit dem E-Bike könnte ich wieder mitmachen, vorher hätte ich keine Chance gehabt. Hansjörg fährt auch Rennen.
Süess: Aber nicht mehr so intensiv.
CW: Der Verwaltungsrat (VR) von adesso Schweiz sieht nun etwas anders aus.
Walti: Für mich handelt es sich um einen mustergültigen Generationenwechsel und das soll auch so kommuniziert werden. Die Kontinuität bei adesso Schweiz ist gewährleistet. Wir konnten die Führung «leaner» machen, da Hansjörg eine Management-Crew aufgebaut hat, die einen separaten Verwaltungsrat überflüssig macht. Die Führungsstruktur kann daher gestrafft und verkleinert werden. Der VR besteht nun aus Hansjörg als Präsident, Dirk Pothen als Vertreter der Muttergesellschaft und Christian Reusser, der zwar neu im Verwaltungsrat ist, aber über all die Jahre unser Finanzchef war.
Süess: Christian kennt das Geschäft fast so gut wie ich.
Walti: Der Wechsel ist auf Kontinuität ausgerichtet und von langer Hand vorbereitet.
Süess: Genauso ist es. Ich war schon zuvor Delegierter im Verwaltungsrat und übernehme nun das Präsidium, da Dirk bereits Vertreter der Muttergesellschaft ist. Christian haben wir reingeholt, weil er grosse Verdienste hat und das Geschäft seit Jahren gemeinsam mit mir gesteuert hat. Er kennt unsere Finanzkennzahlen, ist oft in Konzernabstimmungen involviert und steht auch im Austausch mit CFOs vergleichbarer IT-Firmen. Er ist deshalb auf strategischer Ebene ein sehr wichtiger Mann geworden.
CW: Herr Walti, Sie hätten sich auch ordentlich pensionieren lassen können. Weshalb sind Sie so lange geblieben?
Walti: Ich spiele kein Golf … Nein, ich bin einfach ein sehr aktiver Mensch.
“Ich merke gerade: Ich sage immer noch ‹wir› – das Loslassen wird mir am meisten schwerfallen.„
Peter Walti
Süess: Peter hat ein sehr grosses Netzwerk, das er uns auch nach 65 noch zur Verfügung stellen konnte. Er konnte uns viele Türen öffnen, die sonst wohl zugeblieben wären. Wenn er damals schon hätte aufhören wollen, hätten wir ihn anketten müssen.
Walti: Ich bin ein Networker und werde das weiterhin bleiben. Natürlich kommt nun eine neue Generation, auch das adesso-Geschäft wird sich ändern. Das Geschäftsmodell ist fantastisch vorbereitet auf den Wandel, Stichwort künstliche Intelligenz (KI). Das wird die Branche von Grund auf verändern, indem es sehr viel mehr Daten- und KI-basierte Anwendungen geben wird. Es braucht zum Teil Mitarbeitende mit anderen, zusätzlichen Fähigkeiten, und die, die schon bei uns sind, müssen sich entsprechend weiterbilden. Schliesslich leben wir von Flexibilität und Weiterentwicklung. Ich merke gerade: Ich sage immer noch «wir» – das Loslassen wird mir am meisten schwerfallen. Ich habe mich schon sehr mit adesso identifiziert.
CW: Wie ist der Rücktritt von Peter Walti für Sie, Herr Süess?
Süess: Ich weiss es schon seit einem Jahr und verstehe die Entscheidung absolut. Ich habe selbst eine Mutter, die mit 81 noch immer ein Mandat betreut. Loslassen kann sehr schwer sein. Dass er jetzt loslassen will, verdient Wertschätzung, aber er wird mir fehlen. Man kennt Peter Walti im Schweizer Markt – überall, wo ich sagte, er sei unser VRP, musste ich nichts mehr weiter erklären. Er wird eine Lücke hinterlassen und seine Fussstapfen werde ich nicht komplett ausfüllen können. Ich muss noch schwer daran arbeiten, um irgendwann annähernd auf sein Niveau zu kommen. Aber die Verbindung bleibt sicher bestehen. Er hat es sich verdient, wieder etwas mehr Zeit fürs Mountainbike zu haben.
Peter Walti und Hansjörg Süess (v. l.) verstehen sich sowohl geschäftlich als auch privat sehr gut.
Quelle: Daniel Thüler
Walti: Auch von der Entwicklung der Unternehmung her ist es ein guter Zeitpunkt. Bisher waren auch Professor Harald Gall, Leiter des Instituts für Informatik an der Universität Zürich, sowie André Born, der ehemalige Eigentümer der Born Informatik, die wir 2015 übernommen haben, im Verwaltungsrat. Diese Übernahme war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung von adesso Schweiz, zumal wir damals gerade 80 Mitarbeitende hatten. Jetzt sind wir bereits über 500. Durch diese Akquisition konnten wir damals die kritische Grösse überwinden und den Standort Bern stärken. Dass die Integration fast bilderbuchmässig funktionierte, ist insbesondere Hansjörg zu verdanken. Mittlerweile sind die beiden Firmen völlig verschmolzen. Nach der Integration im Jahr 2015 haben wir uns auf das Management der weiteren Entwicklungsschritte konzentriert. Wir spielen mittlerweile in der Liga der grossen Schweizer und globalen IT-Unternehmen, und es würde mich nicht erstaunen, wenn wir plötzlich 1000 Mitarbeitende in der Schweiz hätten. Wir müssen uns aber weiterhin vor allem auf die Qualität unserer Dienstleistungen und auf einen wirkungsvollen Rekrutierungsprozess konzentrieren.
CW: Wie redet die Muttergesellschaft der Schweizer Tochter drein?
Walti: Es ist wichtig zu wissen, dass wir eine 100-Prozent-Tochter der adesso SE sind, die börsenkotiert ist.
Süess: Die redet uns eigentlich nicht drein. Das ist eine Eigenheit der adesso SE, die sehr stark auf Unternehmertum angelegt ist. Sie hat verschiedene Schwester- und Tochtergesellschaften und alle geniessen völlige unternehmerische Freiheit. Wir machen das Schweizer Geschäft so, wie wir es für sinnvoll halten. Selbstverständlich versuchen wir alles, was im Konzern mit über 9000 Mitarbeitenden vorhanden ist, zum Vorteil unserer Kunden maximal in den Schweizer Markt einzubringen, ohne aber, dass wir das müssen. Diese Freiheit haben wir, trotzdem nutzen wir die Synergien selbstverständlich maximal. Das ist einer unserer Erfolgsfaktoren. Auf der einen Seite gibt es in der Schweiz die Software-Boutiquen, die einen super Job machen, und auf der anderen Seite die globalen Player. adesso Schweiz positioniert sich in der Mitte und kann daher «the best of both worlds» bieten. Einerseits sind wir äusserst nah bei den Kunden – wenn sie ein Problem haben, rufen sie bei Hansjörg Süess auf dem Handy an. Andererseits können wir maximal skalieren. Das kommt bei unserer Kundschaft sehr gut an. Gerade im Bereich Re-Shoring können wir mit einem sehr guten Angebot aufwarten.
CW: Wie zentralisiert ist adesso Schweiz?
Süess: Wir sind gar nicht zentralisiert, sondern vertikalisiert. Wir haben acht «Lines of Business», wie beispielsweise «Banking», «Life Sciences», «Telecom, Energy & Media» oder «Public», die quer durch die ganze Schweiz gehen. Beispielsweise hat die Business-Linie «Insurance» Personal in Zürich, Basel, Bern, St. Gallen und Lausanne. Wir sind also eher dezentral organisiert und versuchen, an diesen Standorten weiteres Wachstum zu generieren. In Zürich und Bern sind es schon über 100 Mitarbeitende und Lugano ist in den letzten drei Jahren ebenfalls stark gewachsen. An den anderen Standorten, beispielsweise in Lausanne, soll es in eine ähnliche Richtung gehen.
CW: Was sind die Erfolgsfaktoren von adesso Schweiz?
Süess: Unsere Mitarbeitenden. Und dass unsere Fluktuation im Branchenvergleich sehr tief ist. Und die Leute kehren auch wieder zurück – kürzlich deren vier. Und wir erhalten auch immer wieder Aufträge von ehemaligen Mitarbeitenden. Persönlich erleben wir gerade auch keinen Fachkräftemangel.
“Wir arbeiten sehr gerne mit anderen Firmen zusammen und glauben daran, dass 1 und 1 auch 3 geben kann.„
Hansjörg Süess
Walti: Einer unserer Erfolgsfaktoren ist sicherlich, dass wir die richtigen Leute motivieren können, zu uns zu kommen, dass wir deren Potenzial richtig einschätzen und dass wir sie entsprechend fördern. Hinzu kommt, dass wir den Corporate-Identity-Gedanken und die Zusammen­arbeit hochhalten. Es ist Hansjörgs Verdienst, dass wir so gute Mitarbeitende zusammenbringen konnten. Wir sind alle irgendwie auch Unternehmer und es ist schwierig, einen Sack solcher Flöhe zu steuern. Aber wenn das gelingt, stellt sich auch der Erfolg ein. Zwar haben Sie gefragt, was unsere Erfolge sind, aber ich sage auch, wo es nicht so gut gelaufen ist …
CW: Jetzt sind Sie mir zuvorgekommen …
Walti: Richtige «Tolggen» erkenne ich zwar keine, jedoch gab es ab und zu Fälle, wo wir uns in den Leuten getäuscht haben. Aber wir sagten dann konsequent, dass jene, die nicht zu uns passen, eben gehen müssen. Ein Tiefschlag war für mich ein Fall, bei dem wir eine ganze Gruppe von Leuten völlig falsch eingeschätzt hatten und uns wieder von ihnen trennen mussten. Unser Personal muss sehr kundenorientiert sein, da wir ein People Business betreiben und die Kundenbedürfnisse abdecken müssen. Wir müssen für die Kundschaft weiterdenken, beispielsweise, was künftige Entwicklungen angeht, und das erwarten sie auch von uns. Unsere Klientel ist sehr stabil, gerade was Grossunternehmen anbelangt, und das ist natürlich ein Kompliment an uns.
Süess: Die konsequente Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse ist definitiv auch einer unserer Erfolgsfaktoren. Dem ordnen wir fast alles unter, auch wenn es mal schwierig wird und es etwas kostet. Aber das ist eine gute Investition in die Langlebigkeit unserer Kundenbeziehung. Da hilft es natürlich, wenn man gute Leute mit an Bord hat, Unternehmer, die Lust darauf haben, die Firma nach vorne zu bringen. Hinzu kommt, dass wir uns als Teil eines Ökosystems verstehen: Wir arbeiten sehr gerne mit anderen Firmen zusammen und glauben daran, dass 1 und 1 auch 3 geben kann. Es hat uns in der Branche einen guten Ruf verschafft, dass wir immer wieder nach Zusammenarbeitsmodellen suchen und insbesondere auch bei öffentlichen Ausschreibungen Kompetenzen von Partnern integrieren. So gelingt es uns auch, dass wir mal in ein Projekt mitgenommen werden. Das Vertrauen unserer Kunden ist mittlerweile so gross, dass wir sogar Aufträge erhalten, für die wir keine Referenzliste vorweisen können. So ist das gerade passiert bei einem Auftrag aus dem Life-Sciences-Umfeld.
CW: adesso Schweiz ist personell stark gewachsen und hat eine dezentralisierte Struktur, zugleich ist die Corona-Pandemie erst seit Kurzem vorbei. Und Sie sprechen davon, dass es ein starkes Wir-Gefühl gibt. Wie haben Sie das hingekriegt?
Süess: Wir machen in dieser Hinsicht sehr viel und das ist wohl auch unser grösster Ausgabenposten. Wir versuchen, unsere Leute immer wieder zusammenzubringen und auf die Kultur einzuwirken, sei es an Schulungsterminen oder an Quartalsmeetings für die ganze Firma. Das hat mittlerweile auch eine Eigendynamik entwickelt. Die Mitarbeitenden verbinden sich auch intensiv untereinander. Es gibt zig Chats, in denen sie sich nach Feierabend austauschen. Ich bin da nicht dabei, aber ich höre immer wieder davon – auch dass sie sich beispielsweise im Seilpark treffen, ganz ohne Zutun der Firma. Das hat sicherlich damit zu tun, dass wir geschaut haben, ob die Leute wirklich zu uns passen. Wir haben auch keine Home-Office-Regelung – die Mitarbeitenden können arbeiten, wo immer sie wollen. Und Sie glauben es nicht, sie kommen wieder ins Büro, weil sie hier ihre Kollegen treffen und Flurgespräche führen können. Das ist einfach so passiert, was uns sehr freut.
Walti: Das ist auch die DNA von adesso SE. Unser oberster Boss, der Aufsichtsratsvorsitzende Volker Gruhn, ist Hochschulprofessor und wir haben noch weitere Professoren im Aufsichtsrat. Das ergibt bewusst eine Art Campus-Atmosphäre. Hinzu kommt unsere offene Kommunikation. An den Quartalsmeetings werden alle Zahlen offengelegt, ob gute oder schlechte, und auch Probleme an­gesprochen. Zudem sind wir ein fairer Arbeitgeber und wurden in Sequenz als bester Arbeitgeber ausgezeichnet, in Deutschland letztes Jahr sogar branchenübergreifend.
Peter Walti und Hansjörg Süess (v. l.) können auf ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2022 von adesso Schweiz zurückblicken.
Quelle: Daniel Thüler
Süess: Wir sind auch aufmerksam. Wenn jemand ein Kind bekommt – die nennen wir «adessini» –, schicken wir ein Geschenk nach Hause. Auch zählt bei uns immer das bessere Argument und nicht, von wem es kommt, auch wenn es der Lehrling ist. Diese Wertschätzung spüren die Leute, und das ist wichtig: Schliesslich stellen sie uns ihre Arbeitszeit zur Verfügung und wir bieten ihnen im Gegenzug eine Umgebung, in der sie sich wohlfühlen und weiterentwickeln können. Nur so können sie den maximalen Output bringen.
CW: Was sind weitere Herausforderungen?
Süess: Wir werden dieses Jahr voraussichtlich einen Umsatz von über 100 Millionen Franken erzielen. Das müssen wir uns Jahr für Jahr wieder erarbeiten. Und dann wollen wir auch weiterwachsen, nicht, indem wir auf Teufel komm raus Leute einstellen, sondern indem wir bei unseren Kunden noch mehr strategisches Gewicht erhalten: Wir wollen noch früher mit den CIOs, den CDIOs oder CTOs am Tisch sitzen, um über neue Geschäftsmodelle oder neue Prozesse und Ideen zu diskutieren. Ein weiterer Punkt ist, dass wir mit dem technologischen Wandel mitgehen müssen. Der Kunde zahlt uns gut, weil wir Sachen schon früher und besser beherrschen als er selbst. Wir müssen also immer ganz vorne mit dabei sein, in die Ausbildung investieren und neue Technologien früh adaptieren. Nicht nur in Sachen KI, sondern beispielsweise auch in den ­Bereichen Quantencomputing oder Sustainability.
CW: Möchte adesso Schweiz nur aus eigener Kraft wachsen?
Süess: Nicht nur, Akquisitionen sind ebenfalls denkbar, auch in der Schweiz. Wir wollen aber sicher kein «more of the same». Es muss eine Weiterentwicklung oder Erweiterung unserer Fachkompetenz sein und unser Unternehmen sonst wie weiterbringen. Dann ergibt das für uns Sinn. Wer weiss, vielleicht entdeckt Peter wieder einmal – wie bei Born Informatik – eine Firma, die gut zu uns passen würde …
CW: Wie sehen die Verbindungen von adesso Schweiz zu den Schweizer Universitäten aus?
Süess: Wir stehen vor allem über Professor Harald Gall in engem Kontakt mit der Universität Zürich. Es gibt drei Aspekte: Erstens sind wir immer auf der Suche nach jungen Talenten. Zweitens geben wir den Universitäten immer wieder Aufträge aus der Praxis. Und drittens findet ein Wissenstransfer statt, beispielsweise über Vorträge an ­unseren Quartalstreffen. Es ist also eine 360-Grad-Zusammenarbeit, von der wir sehr stark profitieren.
CW: Sie haben neue Technologien angesprochen. Was bedeutet der Boom der generativen KI für adesso?
Süess: Erstens setzen wir uns schon sehr lange mit diesem Thema auseinander, schliesslich müssen wir voraus sein. Zweitens sind wir sehr nahe an den Universitäten: Volker Gruhn hat einen Lehrstuhl auch für KI und uns mit diesem Thema bereits penetriert, bevor es in aller Munde war. Und drittens hat ChatGPT die KI nun wirklich in die Industrie getragen, schneller, als ich mir das hätte vorstellen können. Wir sehen Chancen insbesondere in der intelligenten Automatisierung von Geschäftsprozessen, was heute schon oft von unserer Kundschaft nachgefragt wird.
CW: Die Nutzung von KI kann auch ethisch problematisch sein. Wie ist hier die Haltung von adesso?
Süess: Wir nennen das «Trustworthy AI» – KI muss vertrauensbildend sein. Einfach zu sagen, KI soll Sachbearbeiter ersetzen, weil ihre Arbeit automatisiert werden kann, halten wir nicht für sehr sinnvoll und geschäftsfördernd. Es braucht die Kombination von Menschen und Maschinen, die jetzt intelligenter werden und selbstständig Entscheidungen fällen aufgrund trainierter Al­gorithmen. In erster Linie sollte es um eine Effizienzsteigerung und eine Verringerung der Durchlaufzeit gehen, und nicht darum, Leute zu ersetzen. An der Wurzel der KI steht immer ein Mensch. Ich sehe es auch als eine der Aufgaben unserer Beraterinnen und Berater zu erklären, was KI nicht ist und nicht kann. Wir sehen immer wieder Firmen, die ganze Abteilungen durch KI ersetzen wollen. Das ist meist nicht sinnvoll – KI ist ein Add-on. Wenn es dann die Effizienz so weit steigert, dass gewisse Tätigkeiten verlagert werden können, haben wir das Ziel auch erreicht.
CW: Sie haben auch Quantencomputing angesprochen. Wo steht adesso hier?
Süess: Wir nehmen an ersten europäischen Ausschreibungen teil und haben gerade eine gewonnen. Zwar ist es noch nicht möglich, beispielsweise in der Logistikbranche den kompletten Umlauf über Quantencomputing abzuwickeln, aber es geht sukzessive in diese Richtung; ebenfalls im Life-Sciences-Bereich. Interessant ist auch die Kombination von beidem: Wenn es zwischen den Zuständen 0 und 1 weitere Zustände gibt, wie die der Qbits, und dann auch noch die KI hinzukommt, dann wird es ganz spannend.
CW: Das tönt relativ theoretisch …
Süess: Ja, stimmt, es ist noch vieles theoretisch. Aber es gibt bereits konkrete Anwendungsfälle, gerade eben in der Logistik oder in der personalisierten Medizin. Dort braucht es gigantische Rechenleistungen und verschiedene Zustände, die simuliert werden müssen. Die grösste Problematik ist der Zugang zu Quantencomputing. Wir haben diesen Zugang und können ihn der Kundschaft auch vermitteln. Zwar wird im Moment noch vieles simuliert, aber es dürfte nicht mehr lange dauern, bis Quantencomputing in die Anwendungen getragen wird. Die europäischen Ausschreibungen zielen darauf ab, anhand erster Use Cases das Potenzial abzuschätzen und durchrechnen zu können. Möglicherweise haben wir schon in ein, zwei Jahren die ersten echten Quantencomputing-Projekte, mit denen zum Beispiel Logistikunternehmen die kompletten Umläufe steuern oder den Transport optimieren.
Die Personen und Firma
Peter Walti ist Rechtskonsulent und Betriebswirt. Er gehörte dem Verwaltungsrat der adesso Schweiz seit 2005 an und war von 2008 bis 1. Juni 2023 dessen Präsident. Walti ist Mitbegründer des Verbands Swico, Gründer und Organisator des IT Executive Forums Zürich sowie Mitglied im Verwaltungsrat zahlreicher IT-Unternehmen.
Hansjörg Süess ist seit 2009 CEO der adesso Schweiz und seit 2019 Delegierter des Verwaltungsrats. Am 1. Juli 2023 hat er von Peter Walti dessen Präsidium übernommen. Früher arbeitete Süess unter anderem als Sales Director Switzerland bei Cognizant und Key Account Manager bei ELCA.
adesso Schweiz ist eine unabhängige IT-Dienstleisterin und konzentriert sich mit Beratung, individueller Software-Entwicklung und Software-Integration auf die Kerngeschäftsprozesse von Unternehmen. Die Strategie von adesso beruht auf drei Säulen: einem umfassenden Branchen-Know-­how der Mitarbeitenden, einer breiten Technologiekompetenz und erprobten Methoden bei der Umsetzung von Software-Projekten. Das Ziel sind IT-Lösungen, mit denen Unternehmen wettbewerbsfähiger werden. adesso Schweiz wurde 1985 gegründet und ist ein Unternehmen der deutschen adesso Group. www.adesso.ch



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