Marc Schluep, Worldline 23.01.2024, 10:30 Uhr

«So zahlen wir in Zukunft»

Die Pandemie hat dem Einsatz elektronischer Zahlungs­mittel grossen Schub verliehen, ist Marc Schluep überzeugt. Für den CEO von Wordline Schweiz ist das aber nur der Anfang. Die Welt des Payments ist in voller Bewegung.
«Das kontaktlose Bezahlen hat durch die Pandemie einen Riesensprung gemacht. Früher hätte es dafür Jahre gebraucht, jetzt fand die Entwicklung im Zeitraffer statt»
(Quelle: Worldline)
Für die einen sind es einfach nur Finanztransak­tionen. Für die anderen geht es um viel mehr. Die Rede ist von der Erfassung und der Abwicklung von Zahlungen. Einer, der das grosse Ganze im Blick hat, ist Marc Schluep.
Computerworld: Herr Schluep, welches Zahlungsmittel haben Sie heute zuletzt eingesetzt? Was verwenden Sie am häufigsten?
Marc Schluep: Gerade vorhin habe ich bei uns in der Kantine mit TWINT bezahlt. Dieses Zahlungsmittel benutze ich im Inland am meisten. Ich trage kaum noch ein Portemonnaie mit Bargeld auf mir, sondern nutze praktisch ausschliesslich mein Mobiltelefon für Zahlungen. Wie gesagt, im Inland ist es TWINT, im Ausland ApplePay bzw. die in dieser elektronischen Geldbörse hinterlegten Kreditkarten.
CW: Welche Zahlungssysteme werden in der Schweiz derzeit am häufigsten eingesetzt?
Schluep: In der Schweiz ist nach wie vor die Debitkarte das beliebteste Zahlungsmittel mit rund 60 % des gesamten mit elektronischen Zahlungsmitteln über Worldline getätigten Umsatzvolumens. Danach folgt die Kreditkarte mit rund 30 % und schliesslich mobile Zahlungsmittel mit etwa 10 %. Von letzteren stammen übrigens rund 98 % von TWINT.
CW: Betreiben Sie ein Monitoring des Zahlungs­verhaltens?
Schluep: Selbstverständlich betreiben wir ein Monitoring zum Zahlungsverhalten. Ich möchte allerdings einschränken, dass wir nur die Transaktionen beobachten können, welche durch Worldline abgewickelt werden. Dank unserer führenden Position in der Schweiz ergibt das jedoch ein ziemlich repräsentatives Bild. Darin nicht enthalten sind  Informationen über Bargeldtransaktionen und das Transaktionsvolumen unserer Mitbewerber.
CW: Wir Schweizerinnen und Schweizer sind immer noch stolz auf unser Bargeld. Seit Corona sinkt jedoch dessen Beliebtheit. Wie sehen Sie das?
Schluep: Die Pandemie hat dem Einsatz elektronischer Zahlungsmittel tatsächlich einen grossen Schub verliehen. Grund dafür war, dass die Bevölkerung Respekt vor einer möglichen Virenübertragung durch die Verwendung von Bargeld hatte. Nicht zuletzt aufgrund von Empfehlungen der WHO und des Handels haben auch jene Leute Karten und Mobiltelefone eingesetzt, die bisher eher skeptisch eingestellt waren. Das kontaktlose Bezahlen hat dadurch einen Riesensprung gemacht. Früher hätte es dafür Jahre gebraucht, jetzt fand die Entwicklung im Zeitraffer statt. Gemäss Swiss Payment Monitor* vom letzten Mai hat sich die Nutzung beziehungsweise das Umsatzvolumen von Bargeld zwischen 2019 und 2023 von rund 26 % auf 14 % fast halbiert. Das deckt sich auch mit unseren Beobachtungen.
CW: Für ältere Leute ist das kontaktlose Bezahlen noch ungewohnt und mit Skepsis verbunden. Gibt es Generationenunterschiede und wo verläuft da aus Ihrer Sicht die Generationengrenze?
Schluep: Wir kennen das Alter der Konsumenten, welche bei unseren Händlern mit Karte oder mobil bezahlen, genauso wenig wie deren Warenkorb. Grob gesagt, wissen wir zu welchem Zeitpunkt welche Karte bei welchem Händler für welchen Betrag eingesetzt wird. Insofern kann ich keine statistisch abgestützten Aussagen machen.
Ich habe aber gerade während der Pandemie beobachtet, dass auch ältere Personen vermehrt mit Karte und auch kontaktlos bezahlen. Gerade im Zusammenhang mit dem kontaktlosen Bezahlen konnte ich immer wieder festgestellt, dass es weniger die Skepsis als vielmehr das Wissen um die Möglichkeiten ist, welche zum Teil nach wie vor fehlt. Hier hat die Aufklärung während der Pandemie sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass die Konsumenten unabhängig vom Alter sich an diese Möglichkeit gewöhnt haben. Aber Sie haben zweifellos recht, dass es Generationenunterschiede gibt. Bis meine Mutter ihr Geld nicht mehr bei der Bank abhob, um es dann zur Post zu bringen für die Bezahlung von Rechnungen, verging eine lange Zeit. Eine Generationengrenze als solches zu ziehen erscheint mir hingegen schwierig. Es gibt in jeder Generation die Innovatoren und die Early Adopters aber auch die Nachzügler. Es ist sicherlich so, dass je jünger die Menschen sind, desto offener sie für neue technologische Entwicklungen und eine Anpassung ihres Verhaltens sind.
CW: Nebst den klassischen Kreditkarten wird das mobile Zahlen per Smartphone immer beliebter. Wo sehen Sie die wichtigsten Vorteile?
Der eigentliche Bezahlprozess rückt dank Mobiltelefonen zunehmend in den Hintergrund.
Quelle: Computerworld
Schluep:
Das mobile Zahlen bietet gegenüber Bargeld oder physischen Kreditkarten zahlreiche Vorteile. Erstens können Sie die Geldbörse getrost zu Hause lassen. Zweitens sind die mobilen Zahlungsmittel sicherer als Bargeld und Karten. Und drittens wird das Bezahlen dank Mobiltelefon bzw. den mobilen Wallets mehr und mehr unsichtbar. Denken Sie beispielsweise an das Taxifahren mit Uber, wo der Bezahlprozess nahtlos in den Bestellprozess integriert ist. Auch bei einer Bestellung mittels OneClick bei Amazon kümmern Sie sich nicht mehr um den eigentlichen Bezahlprozess. Dieser rückt immer mehr in den Hintergrund als integrierter Teil der ganzen digitalen Interaktion mit dem Anbieter. Bei den SBB suchen Sie eine Zugverbindung heraus und kaufen das Ticket anschliessend in der gleichen App, wo Sie auch das Zahlungsmittel hinterlegt haben. Oder bei der Migros scannen Sie mit SubitoGo die Waren mit dem Mobiltelefon und bezahlen am Schluss mit dem ebenfalls hinterlegten Zahlungsmittel.
CW: Ich nehme an, das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wo sehen Sie aktuell die Grenzen und Hürden?
Schluep: Einen weiteren Entwicklungssprung wird das mobile Bezahlen machen, wenn die elektronische ID im Mobiltelefon hinterlegt werden kann. Leider ist die Schweiz in Sachen digitaler Identität noch ein Entwicklungsland. Ich sehe in der Verknüpfung der digitalen Identität mit dem Bezahlprozess enormes Potenzial. Diese wird es ermöglichen, weitere Prozesse effizienter zu gestalten und zu digitalisieren, gerade da, wo heute noch physische Unterschriften, Ausweise oder Adresseingaben erforderlich sind. Ich denke zum Beispiel an die Altersverifikation bei Alkohol- oder Tabakkäufen, bei der Erfassung von Adressangaben im E-Commerce, beim Kauf von Flugtickets inklusive Check-in und Boarding.
Ein weiteres Entwicklungsfeld sind Konto-zu-Konto-Zahlungen, die heute in der EU bereits verbreitet sind und zwar dank der sogenannten Payment Services Directive (PSD2). Sie ermöglicht es Drittanbietern mit dem Ein­verständnis des Bankkunden auf dessen Bankkonto ­zuzugreifen, Kontodaten auszulesen und auch Zahlungen zu initiieren. Das heisst konkret, dass wo heute Karten eingesetzt werden, direkt eine Belastung des Bankkontos stattfinden kann. In der Schweiz kennen wir keine analoge Regelung zur europäischen PSD2, aber es gibt immerhin schon Banken, die ihren Kunden die Möglichkeit einer direkten Verknüpfung ihres Kontos mit einer App erlauben, wie das bereits erwähnte Beispiel von ­Migros SubitoGo.
CW: Welche Trends zeichnen sich aus Ihrer Sicht in naher Zukunft ab?
Schluep: Grosses Entwicklungspotenzial sehe ich zum Beispiel bei der Einführung digitaler Währungen, wobei ich davon ausgehe, dass sich insbesondere digitale Zentralbankenwährungen gegenüber Alternativen wie die klassischen Kryptowährungen und Stable Coins behaupten werden. Ein weiterer Trend ist die Entwicklung von Zahlungssystemen, die auf Open Banking basieren und direkte Account-to-Account-Zahlungen zwischen Kunden und Händlern ermöglichen. Zurzeit ist ausserdem Embedded Finance en vogue. Damit sind Finanzdienstleistungen gemeint, die direkt in den Bezahlprozess integriert oder zumindest mit einem Bezahlvorgang verknüpft sind. Bekannte Beispiele sind Buy-now-pay-later, Ratenzahlungen, Rechnungszahlung, Konsumentenkredite, Sparpläne, Versicherung und mehr.
Einen wichtigen Trend stellt zudem die Integration des Bezahlvorgangs in – ich nenne es hier mal – digitale Plattformen für Geschäftskunden dar. Damit repräsentiert der Bezahlvorgang nur noch ein relativ kleines Element in einer voll digitalisierten Kette von Geschäftsprozessen. Beispiele dafür sind Marketplaces wie Amazon oder Digitec-Galaxus, die vorpgrommierten Shopping-Carts von Shopify, Magento oder Prestashop, cloudbasierte POS-Kassensysteme oder vorkonfigurierte Branchenlösungen für Hotels, Supermärkte oder Reiseanbieter.
Ein seit Jahren bestehender Trend ist das Thema Omni-Channel, also die Verknüpfung von stationärem und Onlinehandel. Für die Bezahlprozesse bedeutet das, dass unterschiedliche Use Cases abgebildet werden müssen, wie zum Beispiel Click-and-Collect, Click-and-Return, In-Store-Purchase-Home-Delivery und viele weitere. Ferner ist noch das autonome Bezahlen zu nennen, bei welchem der Nutzer den Bezahlvorgang gewissermassen an eine Maschine delegiert. Beispiele sind das automatische Bezahlen von Parkgebühren dank Nummernschilderkennung, die Bezahlung von Mautgebühren mittels Transponder und wer weiss, vielleicht wird bald auch der Kühlschrank die Milch selbst bestellen und bezahlen. Ein weiterer Trend darf nicht vergessen werden: Das digitale Zahlen wird weiter zulasten der Barzahlungen zunehmen; das Bezahlvolumen wächst automatisch dank Wirtschaftswachstum und Inflation.
CW: Ein weiterer Trend ist die Entwicklung biometrischer Anwendungen. Welche Bedeutung haben diese für das Angebot von Worldline?
Schluep: Biometrische Authentisierungsverfahren sind längst Teil unseres Alltags geworden. Denken Sie nur an die Authentisierung bei Smartphones, welche zunächst über den Fingerabdruck und seit ein paar Jahren praktisch ausschliesslich über Gesichtserkennung funktioniert. Und mit der Gesichtserkennung authentisieren Sie sich auch für das Bezahlen mit dem Mobiltelefon, sei es mit mobilen Wallets wie ApplePay, SamsungPay, GooglePay oder aber App-basierten Zahlungsmethoden wie zum Beispiel TWINT. Die Vorteile biometrischer Verfahren liegen wortwörtlich auf der Hand. Die Nutzung ist in Bezug auf Einfachheit unschlagbar und das Verfahren viel sicherer als PIN-basiertes Authentisieren. Biometrische Verfahren halten aber nicht nur auf der Nutzerseite beziehungsweise beim Mobiltelefon Einzug, sondern auch auf der Händlerseite. In China ist die biometrische Erkennung des Konsumenten beim Check-out bereits weitverbreitet. Beim Bezahlen in einem Laden genügt ein Blick des Konsumenten in die Kamera zur Auslösung der Transaktion. Die entsprechenden Services werden von den dominanten Zahlungsanbietern WeChat Pay und Alipay angeboten. Mit Amazon One kann in den USA bereits in Amazon-eigenen Läden mit der Handfläche bezahlt werden. Die «Handflächen-Unterschrift» wird dabei mit der im Amazon-Konto hinterlegten Kreditkarte verknüpft. Amazon One kann jedoch nicht nur zur Bezahlung, sondern auch beim Zutritt zu Gebäuden, zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, zur Verifikation des Alters sowie für weitere Anwendungen genutzt werden.
Wordline entwickelt und nutzt seit längerer Zeit biometrische Verfahren.
Quelle: Computerworld
Wordline entwickelt und nutzt seit längerer Zeit biometrische Verfahren wie zum Beispiel die Gesichtserkennung für die Apps von Banken oder die Voice Recognition in unserer Contact Center-Lösung. Unsere Worldline Labs entwickeln derzeit verschiedene neue Konzepte im Bereich Mobile Order oder Collect-Instore. Im Händlergeschäft, also bei Merchants Services, gab es bisher verschiedene Pilotversuche mit Gesichtserkennung, doch wurde bis heute noch kein entsprechendes Produkt lanciert.
CW: Welche Voraussetzungen braucht es, damit sich biometrische Anwendungen – insbesondere Zahlungssysteme – in der Schweiz durchsetzen?
Schluep: Für die Akzeptanz von Neuerungen ist in der Welt des Bezahlens stets die gleichzeitige Akzeptanz seitens Konsumenten und Händler erforderlich, sei es bei der Lancierung einer neuen Bezahlmethode oder der Art und Weise, wie sich der Konsument beim Bezahlvorgang authentisiert. Erstens benötigen biometrische Zahlungssysteme auf der Händlerseite in vielen Fällen neue Hardware, konkret ein Zahlterminal mit Kamera. Neuere Gerätegenerationen erfüllen diese Voraussetzung meistens. Und wir können davon ausgehen, dass die Akzeptanz auf der Händlerseite gegeben ist, solange das neue Verfahren den rechtlichen Anforderungen entspricht. Zweitens braucht es ein Zahlungsmittel, wie zum Beispiel Visa oder Mastercard, oder grosse Händler wie die Migros, welche sich biometrische Verfahren zunutze machen und die Verknüpfung zwischen biometrischen Nutzerprofil und Bezahlkarte oder Konto herstellen. Drittens ist die Akzeptanz seitens der Konsumenten entscheidend. Diese ist aus meiner Sicht dann gegeben, wenn sämtliche Bedenken bezüglich Datenschutz ausgeräumt werden können und wenn für die Nutzer klare Vorteile erkennbar sind.
* Der Swiss Payment Monitor ist eine regelmässige Erhebung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Universität St. Gallen.
Zur Person
Marc Schluep
Als CEO von Worldline Schweiz verantwortet Marc Schluep seit dem Zusammenschluss von Worldline und SIX Payment ­Services die Schweizer Aktivitäten von Europas grösstem Zahlungsverkehrsdienstleister. Er ist gleichzeitig global verantwortlich für die Strategie des Geschäftsbereichs Merchant Services des an der Euronext in Paris kotierten Unternehmens. Worldline beschäftigt in der Schweiz 800 Mitarbeitende.



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