Kolumne - Zwischen 0 und 1 25.06.2021, 13:31 Uhr

Die nächste Globalisierungs­welle

Die Pandemie gilt als Türöffner für New Work. Dabei sind die eigentlichen Treiber der Zukunft der Arbeit ganz andere. Wer diese gewinnbringend nutzen will, muss seine Fachkräfte weiterbilden.
(Quelle: Gerd Altmann/Pixabay)
Alle reden von neuen digitalen Geschäftsmodellen und neuen Organisationsformen. Darüber wird vergessen, dass die digitale Transformation vor allem die Arbeitsausführung verändert. Geschäftsprozesse werden digital optimiert und die konventionelle Ressource «Mitarbeiter/in» wird teilweise durch digitale oder digital vermittelte Ressourcen ersetzt. Beides senkt die Kosten und verbessert die Qualität der erbrachten Leistungen.
Die Prozessoptimierung nutzt die neuen Organisationsfreiräume, welche die Digitalisierung schafft, und die mathematische Optimierung inklusive Simulationen. Für die Kostensenkungsmöglichkeit bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung sind aber auch drei «neue «Ressourcen» verantwortlich: künstliche Intelligenz, Crowd-Arbeit und externe Expertise, die ad hoc in kritische Prozesse eingebunden werden. Sie sind alle drei zwar nicht völlig neu, aber ihre intensive Nutzung verändert den Konkurrenzkampf in der Wirtschaft.
Künstliche Intelligenz kann Entscheidungen vorbereiten, Menschen bei der Steuerung und Optimierung industrieller Prozesse unterstützten oder als zweitbeste Lösung einspringen, wenn Menschen nicht verfügbar sind. Dabei ersetzt sie nur selten die menschliche Tätigkeit vollumfänglich. Meist behält der Mensch die Kontrolle und bleibt letztlich verantwortlich. Aber er benötigt weniger Zeit, kann sich besser aufs Wesentliche konzentrieren und wird vor dummen Fehlern bewahrt. Man spricht in diesem Fall von «Augmented Intelligence» (AI).

Crowd und Remote Intelligence

Das Outsourcen von Aufgaben an die «Crowd» vermag ebenfalls Kosten zu senken oder/und die Qualität zu steigern. Es funktioniert vor allem für die beiden Enden des Aufgabenspektrums: für offen definierte kreative Aufgaben und für genau spezifizierte Routineaufgaben. Man spricht in diesem Fall von Crowd Intelligence (CI). Manche zählen zur CI auch die Freelancer hinzu, die ihre Dienste über Gig-Ökonomie-Plattformen anbieten.
Die in der Gesundheitskrise gestiegene Akzeptanz für den Einsatz von Videoconferencing-Technologien hat es weiter wesentlich vereinfacht, für besonders anspruchsvolle Aufgaben situativ externe Expertise beizuziehen. Das ermöglicht es Unternehmen, ihre Top-Expertinnen und -Experten zu zentralisieren, was deren Qualität meist steigert, und deren Pool zu verkleinern, was Kosten spart. Darüber hinaus kann die erworbene Spezialexpertise als externe Ad-hoc-Dienstleistung zusätzlich valorisiert werden. Man kann hier von Remote Intelligence (RI) sprechen.
“Die nächste Globalisierungswelle  türmt sich auf und wird die  ‹White Collar Jobs› treffen„
Reinhard Riedl
Der Einbezug von AI, CI und RI wird die Arbeitswelt mehr und viel breiter verändern als die soziokratischen Führungsmodelle und die Prozessoptimierung. Neu muss viel intensiver als bisher mit intelligenten Maschinen und mit Externen zusammengearbeitet werden und neu gibt es globalen Konkurrenzdruck nicht mehr nur im Produkte-/Dienstleistungsmarkt für die Firmen, sondern bei vielen Aufgaben auch für die Mitarbeitenden, die sie ausführen. Die nächste Globalisierungswelle türmt sich auf diese Weise auf – vorläufig noch in der Ferne – und sie wird irgendwann die «White Collar Jobs» treffen.
Europa hat aus Arbeitnehmersicht die letzte Globalisierungswelle (zwischen 1990 und 2020) besser überstanden als die USA und Grossbritannien. Die weniger Gebildeten fielen viel seltener durch den Rost. Die zukünftige Herausforderung ist es, dieses Schicksal auch den durchschnittlich bis gut Gebildeten zu ersparen. Weiterbildung für das Arbeiten mit AI, CI und RI ist dafür wesentlich!



Das könnte Sie auch interessieren