Arbeitsplatz der Zukunft 31.05.2021, 07:00 Uhr

Home Office: Vom Provisorium zum New Normal

Die Corona-Krise hat nicht nur die Digitalisierung gepusht, sondern insbesondere auch das Home Office im Arbeitsalltag verankert. Eine Bestandsaufnahme.
Von der Ausnahme zur Regel: Das Home Office etabliert sich als regulärer Arbeitsplatz
(Quelle: Shutterstock / RossHelen)
Mit dem aufgrund der Pandemie verordneten Home Office wurde ein ungewollter Grossversuch gestartet, der den digitalen Wandel in der Arbeitswelt deutlich verstärkt hat. Was zunächst meist ad hoc aufzugleisen war, ist inzwischen oft auf Dauer gestellt worden. Doch obwohl sich inzwischen so vieles schon als praxistauglich erwiesen hat, ist die Diskussion um die Zukunft des Arbeitsalltags noch keineswegs entschieden.

Aus Zweiflern werden Befürworter

Klar ist allerdings, dass das schon sehr früh, Ende März 2020, beispielsweise von Cisco propagierte «New Normal» mehr als nur Prognose war. Die Entwicklungen des zurückliegenden Jahres haben zahlreiche konkrete Digitalisierungsprojekte hervorgebracht, die immer stärker in die Arbeitswelt eingreifen. Collaboration-Tools sind in kürzester Zeit zu Alltagswerkzeugen mutiert. Genauso sieht es bei der zunehmenden Relevanz von Managed Services und allen Facetten der IT-Security aus. So verwundert es wenig, wenn selbst früher bekennende Home-Office-Gegner, wie Hasan Tekin, der das Schweiz-Geschäft des Business- und IT-Beratungs­hauses Q-Perior verantwortet, heute zugeben muss, im Corona-Jahr schnell hinzu­gelernt zu haben und inzwischen zu akzeptieren, dass es ein «New Normal» gibt. Man brauche die Vorteile von Online-Meetings und Remote-Work nicht zu vernachlässigen, sagt Tekin, dürfe aber den direkten Kontakt der Menschen miteinander nicht auslassen.
In welcher Ausprägung sich der digitale Arbeitsalltag mit Home Office manifestiert, ist jedenfalls vielfach noch nicht ausgemacht. Zumal zu berücksichtigen ist, wie der Chef der Netrics Gruppe Pascal Schmid ausführt, dass sich in Sachen Home Office gar nicht so viel geändert hat. Denn beim Modern-Workplace- und Cloud-Spezialisten habe sich «an der Arbeitsweise an und für sich grundsätzlich wenig geändert», wie er sagt. Selbstverständlich hat der Anteil an Home Office zugenommen, was zur Folge hatte, dass die bereits eingesetzten Werkzeuge aus der Cloud noch intensiver genutzt wurden, fügt er an. Und eine «Herausforderung bestand sicherlich darin, den sozialen Austausch unter den Mitarbeitenden auch in Zeiten von Home Office zu pflegen».
Doch die Arbeit im physischen Office sei bei Netrics nach wie vor freiwillig: «Als Anbieter von Modern-Workplace- Lösungen und Berater für New-Work-Ansätze hatten wir bereits vor der Corona-Krise und dem Home-Office-Diktat die technischen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, um ortsunabhängig und sicher in inter­-diszi­plinären Teams zusammenzuarbeiten», hebt Schmid hervor. Es gebe nur ganz wenige Tätigkeiten, die eine physische Präsenz vor Ort nötig machten, was insbesondere im Datacenter-Bereich der Fall sei.

Bei den Kunden besteht noch Nachholbedarf

Zum Teil sehr anders hätte es aber bei der Kundschaft zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Pandemie ausgesehen: «Bei vielen mussten zuerst die grundlegenden technischen Voraussetzungen für ein sicheres Arbeiten zu Hause geschaffen werden. Erst in einer zweiten Phase konnten dann auch die kulturellen Aspekte bearbeitet werden.» Und laut Schmid ist dieser Umbau noch keineswegs beendet: «Über alles gesehen kann jedoch festgehalten werden, dass es bei vielen Kunden noch einen grossen Nachholbedarf gibt.»
Auf die technische Seite angesprochen, führt der Netrics-Chef aus, dass die Kommunikation und gewisse Prozesse bereits seit Längerem mit dem Netrics Modern Workplace unterstützt werden, der neben Microsoft Teams auch alle weiteren Anwendungen für den täglichen Gebrauch umfasst. «In der Entwicklung und der Planung setzen wir konsequent auf Azure DevOps, um die verwendeten agilen Modelle optimal abzubilden.»
“Ich bin überzeugt, dass sich auch im Bereich Modern Workplace ein hybrides Modell durchsetzen wird„
Pascal Schmid, Netrics Gruppe
Hinzu komme, dass mit dem Heimbüro die IT-Sicherheit massiv an Brisanz gewonnen habe. Dafür biete man neben weitreichenden technischen Massnahmen auch Security-Awareness-Trainings an. Dabei gehe es hauptsächlich darum, die Mitarbeitenden zu sensibilisieren, welche Gefahren im Home Office lauern können. Diese reichen von einer Clean-Desk-Policy bis hin zum Speichern sensibler Daten auf einem lokalen Laufwerk, führt Schmid weiter aus: «Ich bin überzeugt, dass sich auch im Bereich Modern Workplace ein hybrides Modell durchsetzen wird», prognostiziert Schmid. Wann, wo, welche Rollen im Büro vor Ort und wann die im Home Office arbeiten werden, hängt übrigens nicht zwingend von der Funktion des Einzelnen ab, sondern viel mehr davon, wie und wo ein Team spezifische Aufgaben am effizientesten erledigen kann.

Den physischen Austausch pflegen

Dominique Wüthrich, Channel Sales Manager bei Nutanix Schweiz, stellt zunächst einmal klar, dass man sich sowohl an die Vorgaben des amerikanischen Mutterhauses als auch an die Home-Office-Regeln des Bundes halte und somit also weiterhin im Home Office arbeite. Damit habe sich die «Arbeitsweise bei uns insofern verändert, dass Meeting- Zeiten strikt eingehalten werden, da das nächste Zoom-Meeting meistens ohne grosse Pause wartet». Leider komme so oft der zwischenmenschliche Austausch zu kurz, fügt sie an. Interessant ist, dass es aus Sicht des Anbieters von hyperkonvergenten Infrastrukturlösungen «noch zu früh» ist, von einem «New Normal» zu sprechen.
Selbst wenn dieses neue Normal seinen Platz in der Arbeitswelt finden sollte, sei es wichtig, «dass wir uns wieder persönlich treffen. Der persönliche Austausch mit Mitarbeitenden, mit Partnern und Kunden ist uns enorm wichtig und wir freuen uns auf die Zeit, wo dies wieder möglich sein wird», blickt Wüthrich in die Zukunft. Wo keine manuelle Intervention gefragt sei, stehe der Heimarbeit generell nichts im Weg. «Trotzdem ist es auch bei IT-Rollen wichtig, dass die Mitarbeitenden untereinander den persönlichen Austausch pflegen», gibt sie zu bedenken.
“Auch bei IT-Rollen ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden untereinander den persönlichen Austausch pflegen„
Dominique Wüthrich, Nutanix Schweiz

Den Home-Office-Umstieg eng begleitet

Selbstverständlich gilt auch im Kanton Freiburg weiterhin die Home-Office-Pflicht, wie vom Bundesrat angeordnet. Allerdings hat der Staat schon vor Corona begonnen, sich als ein «heute wie auch morgen attraktiver Arbeitgeber mit zeitgemässen Arbeits­bedingungen» zu positionieren, wie Gabrielle Merz Turkmani, die Vorsteherin des Amts für Personal und Organisation (POA), ausführt. So habe der Staatsrat schon im Februar 2020 mit der neuen Personalpolitik des Kantons Freiburg beschlossen, die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen voranzutreiben: «Dies vor allem, um die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu fördern.
Das Flexibilisierungs-Vorhaben, vor allem die starke Verbreitung von Telearbeit, wurde dann durch die Pandemie beschleunigt, erklärt Merz Turkmani. Zugute sei diesem Vorhaben gekommen, dass die Digitalisierung im Kanton hohe Priorität geniesse. «Das Coronavirus hat somit den Kulturwandel beschleunigt, jedoch nicht ini­tiiert», schiebt die POA-Chefin nach.

Aus dem Wunsch wird die Verordnung

Allerdings hätten vor der Krise trotz der bestehenden Möglichkeit nur wenige Mitarbeitende regelmässig Telearbeit gemacht, sodass viele Mitarbeitende mit dem Weg ins Home Office dennoch Neuland betraten. Im letzten Juni habe eine Umfrage in der Verwaltung gezeigt, dass «ein Grossteil der Mitarbeitenden die Arbeit zu Hause schätzt und die Führung durch die Vorgesetzten als sehr gut be­urteilt. Ein Grossteil gab auch an, über die Pandemie hinweg 1 bis 2 Tage pro Woche im Home Office tätig sein zu wollen», erläutert Merz Turkmani weiter. Diese Erfahrungen hätten den Staatsrat dann be­wogen, am 12. Oktober 2020 die Verordnung «Mobile Arbeit» auszuarbeiten, welche die Telearbeit auch nach der Pandemie ermöglicht und regelt. Neben der Arbeit zu Hause sei nun unter bestimmten Bedingungen neu auch Arbeit unterwegs wie etwa in öffentlichen Transport­mitteln, beim Kunden oder in einem Co-Working-Büro möglich, fügt die POA-Vorsteherin an.
Neben der Anschaffung diverser neuer Tools und der Anpassung der Infrastruktur, was «mit einem Kraftakt sehr schnell gelungen» sei, mussten dann «die Vorgesetzten ihre Teams organisieren, um den Kontakt auch im Home Office aufrechtzuerhalten, Sitzungen via Videokonferenz neu organisieren und so weiter», führt Merz Turkmani aus. Zudem habe man rasch einen Leitfaden zur guten Praxis für Telearbeit via Internet zur Verfügung gestellt und auf Anfrage auch beratend unterstützt.
“Selbstlernen wird wichtiger, denn die aufstrebende digitale Welt wird zur Verantwortung für alle„
Gabrielle Merz Turkmani, Kanton Freiburg
Es sei durchaus eine Herausforderung gewesen, die Anwendenden in die Lage zu versetzen, unabhängig und selbstbestimmt als Akteure des digitalen Wandels zu agieren. Hier habe man traditionelle Trainingseinheiten durch kontinuierliches aktives Selbstlernen ersetzt. Denn die «aufstrebende digitale Welt wird zur Verantwortung für alle», sagt die POA-Chefin schon beinahe prophetisch. Sie stellt denn auch fest: «Home Office wird beim Kanton Freiburg seinen Platz im Arbeitsleben behalten.» Die letzten Monate hätten gezeigt, dass dessen Einsatz in der Zentralverwaltung in vielen «klassischen Administrativfunktionen» bestens möglich sei. Laut der Amtsvorsteherin werde künftig die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse dies zusätzlich erleichtern.

Nur wenige müssen künftig im Büro sein

Diese zuletzt von Merz Turkmani genannten Aspekte unterstreicht man auch beim Markt- und Sozialforschungsinstitut Demoscope. Das Home Office habe unbestritten einen grossen Einfluss auf den Alltag und die Arbeits­realität, erklärt der Leiter der Sozialforschung Dominik Fröhli. In zentralen Sozialstatistiken, die man für den Bund erhebe, aber auch bei thematisch spezifischen Bevölkerungsbefragungen oder bei Mitgliederbefragungen im Auftrag von Verbänden habe sich gezeigt, dass ein positiver Einfluss auf die Arbeitsautonomie und auf das Aneignen neuer, digitaler Kompetenzen konstatiert wird. Klar negativ wahrgenommen werden die Veränderungen hinsichtlich der Arbeitskultur, des Austauschs mit Arbeitskolleginnen (Teamwork), der generellen Arbeitsmoral oder der Trennung von Arbeit und Privatleben.
Bemerkenswert ist bei Demoscope selbst, dass auch dort das mobile und flexible Arbeiten kein Neuland ist, wie Fröhli erläutert. «Die notwendige Infrastruktur hierfür war bereits vor der Coronavirus-Pandemie respektive der Home-Office-Pflicht vorhanden.» Man habe im Zuge der anhaltenden Krisensituation aber «verschiedene Investitionen getätigt, die zwar geplant waren, aber deren Umsetzung eigentlich nicht unmittelbar bevorstanden». Die Pandemie habe also gewissermassen als Katalysator gewirkt. So seien neben der von langer Hand geplanten, kompletten Migration der gesamten IT-Infrastruktur in ein Datacenter auch in verschiedene Lösungen für Remote-Zugriffe, Cloud-Lösungen und zusätzliche Web-Dienste für kollaboratives dezentrales Arbeiten investiert und beispielsweise die Telefonie vollständig auf Microsoft Teams umgestellt worden.
“Heute gibt es kaum mehr jemanden, der nicht ausschliesslich von zu Hause aus arbeiten kann„
Dominik Fröhli, Demoscope
Das «New Normal», resümiert Fröhli, «dürfte aus einer Kombination bestehender und im Zuge der Pandemie sich in rascher Form verbreiteter Elemente bestehen». Bei Demoscope existierten nurmehr wenige spezifische Funktionen, insbesondere in der IT- und Operations-Abteilung, die heute «zumindest nicht ausschliesslich von zu Hause aus arbeiten» können. Künftig werde es wichtig werden, «Lösungen anbieten zu können, die der persönlichen Präferenz der Mitarbeitenden entspricht». Folglich, so Fröhli weiter, «wird die künftige Arbeitsrealität aus einem Mix aus klassischer Büroarbeit vor Ort, mobilem Arbeiten von unterwegs sowie Home-Office-Arbeit bestehen». Die dafür notwendigen Rahmenbedingen seien inzwischen jedenfalls gegeben und hätten sich nun auch breit etabliert.
Zum Autor
Volker Richert
ist freier Wirtschafts- und Technologiejournalist.

Autor(in) Volker Richert



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