Unternehmenskultur 08.11.2017, 15:58 Uhr

Die Digitalisierung beginnt im Kopf

Die internationale Konkurrenz ist so gross, dass selbst gefestigte Unternehmen bedroht sind. Doch die Digitalisierung bietet die Chance zu Wettbewerbs-entscheidenden Transformationen.
(Quelle: SFIO CRACHO / Shutterstock.com)
Zwar arbeiten viele Unternehmen mit Hochdruck an Strategien zur Digitalisierung, allzu oft sind die Ansätze aber zu technisch und betreffen lediglich das Ist-Geschäft. Dadurch treten die wettbewerbsentscheidende Umwandlung der Firmenkultur sowie der Aufbau entscheidender Fähigkeiten in den Hintergrund. Das ist fatal, denn gerade dort wird die Basis für einen langfristigen Erfolg gelegt.
Quelle: CDO-Kompass
Digitalisierung ist nicht die Aufgabe weniger Experten, sondern aller Fachbereiche und erfordert neue Formen der Zusammenarbeit und der Führungskultur.

Alle Industrien, alle Branchen

Die Digitalisierung ist in vielen Branchen schon gelebte Realität, wenn auch unterschiedlich bedrohend in der Wahrnehmung. Gerade Fertigungsunternehmen klassischer Produkte fühlen sich noch wenig bedroht, auch wenn Trends wie 3D-Druck, Mehrwerte durch Produktvernetzung (Internet of Things) oder vernetzte Fertigungskonzepte bereits spürbar sind. Oft werden diese Trends als Bereicherung gesehen und nicht als Bedrohung. Doch die Gefahr besteht: Neben den digitalen Lösungen und Geschäftsmodellen neuer, aggressiver Wett­bewerber ist der Verlust der Kundenschnittstelle die akuteste.
“„CIOs brauchen mehr Mut zu Proofs of Concept statt einer Drei-bis-Fünfjahres-Roadmap.“„
Dr. Michael Fuchs
CEO der dr Fuchs
Senior Advisors GmbH
Wie also die Digitalisierung voranbringen, wenn man zu einer Branche zählt, die vermeintlich noch nicht akut von den Folgen betroffen ist? Jedes Unternehmen, egal welcher Branche, ist heute aufgerufen, die Entwicklungen im eigenen Umfeld wesentlich bewusster als bisher zu durchleuchten und Trends frühzeitiger aufzuspüren. Die Aggressivität, mit der ehemals branchenfremde Wettbewerber wie Zalando, Uber, Airbnb, Google oder Amazon tradierte Branchen aufrütteln, zeigt, wie ein eben noch sta­biler und behüteter Wettbewerbsvorteil wegbrechen kann. Dieser Herausforderung zu begegnen, ist die eigentliche Aufgabe.
Die Praxis zeigt, dass speziell in mittelständischen Unternehmen viele Digitalisierungsinitiativen angestossen werden, die aber – gerade in Europa – noch eine stark interne und auf weitere Effi­zienzgewinne ausgerichtete Perspektive haben. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, nur darf die Bedrohungslage und ein damit verbundener mög­licher Wandel der Kerngeschäftstätigkeit nicht in den Hintergrund treten.
Dazu bedarf es neuer Verantwortungen, neuer Rollen, neuer Kompetenzen sowie der gezielten Stärkung von Basisfähigkeiten. Digitalisierung ist keine Aufgabe weniger Experten, sondern muss breit im Unternehmen bei Führungskräften sowie der gesamten Belegschaft verankert werden.

Neue Rollenprofile

Quelle: CDO-Kompass
Der erste Schritt in Richtung Digitalisierung ist die Manifestierung einer eindeutigen Verantwortung für das Thema – zumindest, solange der Wandel aktiv gestaltet werden muss – und damit auch neuer Berufsprofile. Obwohl Digitalisierung immer Verantwortung der Unternehmens­leitung ist, trägt der CDO oder ein CDO-Office die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der digitalen Agenda.
Damit sind jedoch vielfältige neue Kompetenzen und Rollenprofile notwendig, die in den Unternehmen oft fehlen oder kaum ausgeprägt sind.
So müssen beispielsweise Data Architects durch neue Technologien Zugänge und Auswertungsmöglichkeiten für neue Datenquellen schaffen. Data Scientists werten diese unstrukturierten Daten aus, um daraus die Grundlage zur datenbasierten Entscheidungsfindung und für neue Geschäftsmodelle zu liefern. Diese Kompetenzen müssen jedoch meist erst aufgebaut oder akquiriert werden. Auch liegt es in der Verantwortung des CDOs, neue Methoden zur agilen Produktentwicklung im Unternehmen zu etablieren.
“„Es muss nicht alles selbst gemacht werden. Ver­netzen Sie sich gezielt mit Partnerunternehmen, ­Interimsexperten und ­natürlich Ihren Kunden, um von deren Kompetenzen zu lernen.“„
Reimar Hartmann
Managing Director bei dr Fuchs Senior Advisors GmbH
Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass nicht alles selbst gemacht werden kann und muss: Dafür sind die Kompetenzen viel zu spezifisch und werden in der weiteren Entwicklung teilweise nur punktuell benötigt.
Unternehmen sollten den Weg der Co-Innovation sowie Co-Creation beschreiten und sich gezielt mit Lösungsanbietern, Partnerunternehmen, Interimsexperten und natürlich mit ihren Kunden vernetzen, um von deren Kompetenzen und Erfahrungen zu lernen.

Nur im Team

Der Aufbau neuer Verantwortungen und Kompetenzen allein reicht jedoch nicht aus, selbst wenn dazu eine neue Firma gegründet oder Start-ups zugekauft werden. Im Normalfall arbeitet nämlich das restliche Unternehmen so weiter wie bisher. Dies führt zum einen dazu, dass die Digitalisierung nur von einem sehr kleinen Teil der Belegschaft verstanden und gelebt wird. Zum anderen gestaltet sich die Zusammenarbeit der agilen digitalen Organisationseinheiten mit den Funktionen der Mutterorganisation oft schwierig, da deren Prozesse und Vorgaben sich an traditionellen, beispielsweise Jahre dauernden Entwicklungsprozessen orientieren. Eine flexible und insbesondere schnelle Unterstützung von Digitalisierungszielen kann so nicht funktionieren.
Nachhaltige Digitalisierung erfordert Verständnis und Rückendeckung in allen Fachbereichen. Das kann durchaus dazu führen, dass bimodale Verfahren, also Prozesse mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, etabliert werden müssen. Wenn beispielsweise in einem Co-Creation-Ansatz punktuell ein externer Lösungsanbieter eingebunden werden soll, um zügig dessen Kompetenzen in der digitalen Entwicklung zu nutzen, ist es mehr als hinderlich, wenn klassische Einkaufsregelungen mit dreifacher Ausschreibung und langwieriger Verhandlung die externe Vernetzung verzögern. Hier sind unternehmerische Flexibilität und Augenmass gefordert.
Die CDOs stehen unter enormem Druck: Zum einen ist ihre Rolle und Durchsetzungskraft – teilweise gewollt – nicht immer konsequent definiert. Zum anderen sollen mit knappen Budgets schnell vorzeigbare Resultate geliefert werden.
Viele Chief Digital Officers konzentrieren sich deswegen vor allem auf die Inszenierung moderner Arbeitswelten sowie auf die Schaffung von digitalen Produkten und Dienstleistungen.
Zeit- und kostenaufwendige Grundlagenfähigkeiten lenken da nur ab und erzielen nicht die gewünschten schnellen Erfolge. Diese sind jedoch langfristig wettbewerbsentscheidend. So wie digitale Lösungen eine Durchgängigkeit durch alle Unternehmensfunktionen und Geschäftsfelder benötigen, müssen Fähigkeiten aufgebaut werden, die ebenso frei von funktionalem Silodenken sind.
Die Realität ist heute meist anders: Funktionale Ziele, Einspardruck in den Verantwortungsbereichen sowie gewachsene oder zugekaufte Strukturen resultieren in heterogenen Systemlandschaften, redundanten oder unterschied­lichen Datenstrukturen oder funktional organisierten IT-Lösungen. Nicht wenige Unternehmen sind heute nicht einmal in der Lage, durchgängig digital Daten auszutauschen, geschweige denn zu analysieren. Dieses Problem verschärft sich mit der Digitalisierung: Die Effekte vergangener Versäumnisse werden verstärkt. Hier kommt der Chief Information Officer ins Spiel.

Grosse Chance für den CIO

Der CIO muss sich, seine Strategie und seine Mannschaft auf die neue agile Welt einschwören und diese Situation als Chance ergreifen. Als eine Art Impulsgeber muss er aufzeigen, welche technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um das Geschäftsmodell zu erweitern oder neu zu erfinden. Neben vielfältigen Systemharmonisierungsaufgaben geht es darum, die Grundlagen für eine durchgängige Analyse­fähigkeit zu schaffen. Gerade die Erschliessung neuer Datenquellen, verbunden mit der Fähigkeit zur Echtzeitanalyse, sind Innova­tionstreiber digitaler Lösungen.
CIOs werden zu Befähigern – Neudeutsch En­ablern – und Motoren des digitalen Wandels, indem sie die richtigen technischen Plattformen und Fähigkeiten aufbauen. Der CIO muss die Zusammenhänge zwischen erfolgreicher Digitalisierung und benötigten Basisfähigkeiten transparent aufzeigen und dafür notwendige Budgets ein­fordern. In der Praxis regelmässig auftretende Konflikte zwischen CDO und CIO in Bezug auf Kompetenzen, Verantwortungen und Positionierung haben hier keinen Platz. Es besteht dafür auch kein sachlicher Grund, denn beide Rollen haben in der Digitalisierung ihre Relevanz.
“„Selbst den Wandel ­gestalten und Möglich­keiten aktiv nutzen, muss auf die Agenda aller ­Führungskräfte.“„
Otto Schell
CEO des Diplomatic Council Otto Schell Institute
for ­Digital Transformation
Der CDO agiert als eine Art Digitalisierungs-Frontend: Er analysiert das digitale Marktumfeld, versteht Kundenbedürfnisse und interne Optimierungspotenziale. Er leitet daraus Chancen für digitale Lösungen ab und schmiedet Allianzen mit Partnerfirmen, um diese Poten­ziale gemeinsam in vernetzten Wertschöpfungsketten zu heben. Der CIO ist quasi das Digitalisierungs-Backend, das die notwendigen Fähigkeiten für digitale Geschäftsmodelle überhaupt erst schafft. Dazu ist aber auch der Mut zu Proofs of Concept nötig, anstatt einer Drei-bis-Fünfjahres-Roadmap. Dies im Unternehmen zu vertreten, ist ein essenzieller Teil der neuen Rollendefinition des CIOs.

Neuorientierung

Durchgreifender Erfolg in der digitalen Welt entsteht langfristig nur durch eine umfassende Neuorientierung bestehender Strukturen und Führungsprin­zipien. Soll eine digitalaffine Unternehmenskultur mit entsprechender Agilität entstehen, muss ein modernes Führungsverständnis aufgebaut werden. Dabei muss sich das C-Level auch vom eige­nen hierarchisch geprägten Führungsverständnis befreien. Führungskräfte und ihre Silos sind in einer digita­lisierten Welt nicht mehr das alleinige Machtzentrum.
Denn jetzt tritt die vernetzt denkende und wenig hierarchieaffine Genera­tion Y in den Arbeitsmarkt ein, die zudem nach sinnstiftender Arbeit in einer selbst organisierten Um­gebung sucht. Die sozialen Netzwerke, die Wissen ausserhalb von Teams und Unternehmensgrenzen nutzen, und die zunehmende Diversifizierung von Teams verstärken den Zwang, tradierte Führungsprinzipien über Bord zu werfen. Folgerichtig geht Führung in modernen Organisationen immer häufiger auf flexibel zusammengesetzte Teams und Netzwerke über, deren Mitarbeiter gemäss ihren Stärken und Interessen selbst organisiert arbeiten. Diese Mechanismen etablieren sich allerdings nicht von allein, sondern müssen aktiv durch die Führungskräfte angeboten und unterstützt werden.
Es gilt, über den eigenen Schatten zu springen. Das lohnt sich. Kreative Köpfe mit modernen Arbeitsformen anzuziehen und bestehende Mitarbeiter mit interessanten Aufgaben weiterzuentwickeln, ist der Treibsatz, den Unternehmen benötigen, um langfristig im digitalen Wett­bewerb zu bestehen.
Im eigenen Verantwortungsbereich ist daher vor allem eines relevant: Es gilt anzufangen und Erfahrungen zu sammeln. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen lernen und erkennen, wie agile Methoden zur Realisierung digitaler Lösungen wirken und welche Vorteile kundenzentrierte, vernetzte Arbeitsmethoden bieten.

Autor(in) Otto Schell

Autor(in) Michael Dr. Fuchs

Autor(in) Reimar Hartmann



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