UC 25.04.2011, 06:00 Uhr

Zuerst die Menschen, dann die Tools

Viele Unternehmen wollen UC einsetzen, tun es dann aber doch nicht. Denn der Umstieg kostet erst einmal Geld und meist auch noch Nerven. Am Ende rechnet sich die Investition aber fast immer.
Foto: © Marquis de Valmont / Photocase.de
Unified Communications ist ein bisschen wie Social Media – jeder sagt, er tut es, aber hinter verschlossenen Türen finden viele Unternehmen aus Angst und Mangel an genauen Informationen noch Ausflüchte», bringt Ben Mendoza, CEO vom Spezialisten für Telekom-Kostenkontrolle MDSL, die derzeitige Situation auf den Punkt. In der Tat herrscht zum Teil noch grosse Verunsicherung, was die neuen Technologien anbelangt. Immer noch geistern diverse Mythen in den Köpfen der Unternehmer herum. Dabei sind die unterschiedlichen Unified-Communications-&-Collaboration-Technologien (UCC) heute ausgereift genug, um mit ihnen längerfristig Einsparungen zu erzielen.

Absicht und Realität

In einer Umfrage von MSM Research, die der Schweizer Marktforscher Ende 2008 unter 300 Schweizer Unternehmen durchführte, gaben 86 Prozent der Befragten an, bereits eine UC-Lösung eingeführt zu haben oder die Realisierung eines solchen Projekts in naher Zukunft zu planen. Damals sprachen sich 84 Prozent für eine sanfte Migration einer neuen UC-Lösung aus und wollten 2009 insgesamt rund 640 Millionen Franken für Kommunikationslösungen ausgeben. Doch wie sieht es heute in den Unternehmen tatsächlich aus? Eine spontane Blitzumfrage von Computerworld, an der sich rund 150 Schweizer Firmen verschiedenster Branchen und Grössen beteiligt haben, brachte ernüchternde Ergebnisse zutage. Weit über die Hälfte der Antwortenden hat bis heute keine UC-Lösung eingeführt, nur ein kleiner Teil davon gab an, dies in naher Zukunft zu tun. Zum gleichen Ergebnis kommt die von Computerworld, IDC und Bilanz durchgeführte repräsentative Studie «Swiss IT». Hier geben rund 42 Prozent der befragten 600 Unternehmen an, keinen Einsatz von UC in naher Zukunft zu planen. Die Relevanz einer UC-Lösung als Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb wurde auf einer Skala von 1 (unbedeutend) bis 5 (sehr hoch) mit 2,9 angegeben. Bei der Frage nach innovativen IT-Themen wird für 12 Prozent der Befragten Unified Communications frühestens in drei Jahren interessant, für 15 Prozent ist es gar nicht relevant, 6 Prozent ist die UC-Technologie nicht einmal bekannt. Immerhin wollen 25 Prozent der Umfrageteilnehmer die Entwicklung auf dem UC-Markt im Auge behalten, weil die Technologie in ihren Augen grosses Potenzial besitzt.

Isolierte Lösungen

Was wird nun aber von jenen Firmen, die bereits auf den UCC-Zug aufgesprungen sind, konkret eingesetzt? Laut unserer Blitzumfrage sind das mehrheitlich Office Communications, Sharepoint und Lync Server von Microsoft, VoIP-Telefonie und Contact Center von Cisco sowie vereinzelte alternative Lösungen wie IBM Lotus Sametime. In der Regel handelt es sich dabei um einzelne, isolierte Lösungen, die noch wenig integriert sind. Vollständig integrierte Unified- Communications-&-Collaboration-Systeme sind bei den Umfrageteilnehmern eher selten anzutreffen. Erstaunlich ist, dass bei der Hälfte der Befragten die Kommunikationsbedürfnisse im Unternehmen noch immer nicht klar sind respektive nicht konkret definiert wurden, obwohl über das Thema schon seit Jahren debattiert wird. So hat beispielsweise die Raiffeisen Schweiz Genossenschaft die Bedürfnisse in der Studie «Collaboration next» aufgearbeitet. Mit wenig Erfolg: «Die Fragen nach dem Wie, Wer, Wann, Wie viel sind im Detail nicht beantwortet», resümiert Christian Lampert, Bereichsleiter IT-Betrieb. Für sein Unternehmen ist es nach wie vor schwierig, die Anwendungsbereiche abzustecken und kostenverträgliche Etappen der Implementierung festzulegen. «Die Anpassung der Kommunikationsbedürfnisse ist ein ständiger Prozess», hält auch Gaby Niederer, Leiterin IT-Infrastruktur der Valiant Holding, fest.

Für und Wider

Als Hemmschwellen werden mehrheitlich die Integrationskosten, die Komplexität der Lösungen, die fehlende Klarheit über die Anforderungen sowie die Ausbildung der Mitarbeiter angegeben. «Schwierig ist die Anpassung der IT-Infrastruktur vor und während des Projekts», sagt Bruno Anderegg, Leiter Operations & ICT Witzig The Office Company. «Damit UCC richtig betrieben werden kann, muss genügend Zeit, Budget und Manpower vorhanden sein. Auch Schulung, sowohl zur Einführung als auch als Nachschulung, ist ein wichtiger Punkt», so Anderegg. Der Anbieter für komplette Bürokonzepte optimierte seine gesamte Kommunikationsinfrastruktur mit Swisscoms Managed Services für UCC. Anderegg rechnet mit einer Einsparung von 2800 Arbeitsstunden im Jahr und denkt, die Kosten innerhalb von zwei Jahren amortisiert zu haben. Für Michel Leuenberger, Bereichsleiter Administration beim Sirnacher Schiebetür­beschlag-Spezialisten EKU, besteht die grösste Herausforderung nicht darin, die richtige Lösung zu finden, sondern diese im Unternehmen zu implementieren: «Die Fachabteilungen müssen sich mit allen IT-Instrumenten ausei-nandersetzen. Diese Ressourcen sind jedoch oft eingeschränkt verfügbar, weshalb es zu Verzögerungen in der Einführung kommen kann. Wir verfolgen aber schon länger den iterativen Einsatz von eher kleinen Teams und führen themenspezifisch die Lösungen ein», so Leuenberger. Und Ales Kupsky, Managing Director und Global Head End User Services bei der UBS, erklärt: «Die Umstellung auf UCC ist mit hohen Kosten verbunden. Auf der anderen Seite werden damit mehrere alte Insel-Systeme ersetzt, neue Einsparungen wie beispielsweise weniger Reisen und schnelleres Auffinden der gesuchten Kommunikationspartner ermöglicht und auch neue Möglichkeiten in der Kommunikation mit externen Kunden eröffnet.» Je komplexer das Unternehmen, desto komplexer auch die Lösung, wie das Beispiel der SBB zeigt: «Die Komplexität der Lösung ist eine Hemmschwelle, da die SBB sehr viele verschiedene Berufsbilder und somit auch ein breites Feld an Kommunikationsansprüchen und  -bedürfnissen haben. Entsprechend unterschiedlich ist die ICT-Durchdringung am Arbeits­platz», erklärt Christoph Lucas, persönlicher Mitarbeiter des CIOs der SBB.

Eine Frage der Umgewöhnung

Für die meisten der Befragten ist die Einführung einer UCC-Lösung trotz Komplexität nicht primär eine Frage der Technik, sondern eher durch einen Paradigmenwechsel respektive Kulturwandel geprägt, der bis jetzt noch nicht wirklich vollzogen ist. «Die Technik ist reines Doing», sagt dazu Bruno Anderegg von Witzig. «Es handelt sich klar um einen Kulturwandel», bestätigt Daniel Vinzens, Leiter IT-Management bei der Graubündner Kantonalbank. «Vor allem, wenn man dem Mitarbeiter das Hardphone wegnimmt.» Ales Kupsky doppelt nach: «Eine UCC-Plattform ist nur dann erfolgreich, wenn sie von allen Mitarbeitern akzeptiert und genutzt wird.» Zwar seien manche der bisher eingesetzten Technologien am Ende ihres Lebenszyklus, der primäre Treiber blieben jedoch die neuen Kommunikationsformen, die künftig auch für das geschäftliche Umfeld genutzt werden sollen. Die grössten Herausforderungen sieht Kupsky bei der Integration in die unterschiedlichen, bestehenden Applikationen, bei der geeigneten Ausbildung der Mitarbeiter sowie der Abklärung, welche Kommunikationsmittel sich für welchen Zweck eignen. Die UBS setzte bisher isolierte Lösungen wie Telefon, E-Mail, Chat, Desktop Video, Boardroom Video (BV) und Telepresence (TP) ein, die nur teilweise integriert waren. Derzeit läuft ein Pilotprojekt für eine vollständig integrierte UCC-Plattform. «Für die flächendeckende Einführung einer solchen Lösung sind zusätzliche Investitionen in die Netzwerkinfrastruktur notwendig und die Hersteller müssen sich noch auf Schnittstellenstandards einigen», erklärt Kupsky. Beim Spezialisten für Durchflussmessetechnik Endress+Hauser Flowtec fehlt bis dato eine klare Übersicht über die Anforderungen, um die notwendigen Produkte und Kosten planen zu können, sagt IT-Leiter Peter Roeckel. Für ihn ist ein Kulturwandel unabdingbar: «Die Produkte sind vorhanden. Für Collaboration braucht es aber zunächst die Menschen, dann die Tools, das ist uns inzwischen klar.»


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