Interconnection 21.05.2019, 07:00 Uhr

Unternehmen setzen auf privates Internet

Direkte Verbindungen sollen die Schwächen des öffentlichen Netzes umgehen. Manche Experten gehen sogar davon aus, dass das Internet bald schon nur noch ein Zugangsnetz ist.
(Quelle: ktsdesign / shutterstock.com)
Das Internet ist heute das wichtigste Medium für den Datenaustausch und der Business-Enabler schlechthin. Unternehmen müssen eng vernetzt sein, um jederzeit und von überall geschäftskritische Daten mit Kunden, Partnern und Mitarbeitern auszutauschen. Die bestehende Infrastruktur macht den Business-Akteuren allerdings immer öfter einen Strich durch die Rechnung. Das öffentliche Internet wird vom Business-Treiber mehr und mehr zum Business-Klotz.
Das hat mehrere Gründe: Das digitale Business erfordert Schnelligkeit und Echtzeit-Interaktionen zwischen Menschen, Geräten, Standorten, Cloud-Systemen und Daten – eine Anforderung, die das öffentliche Netz immer weniger erfüllt. Es fehlt die Bandbreite, die Leitungen sind mit Daten verstopft, die Informationen tröpfeln nur vom Sender zum Empfänger. Solche Latenzen stören die Nutzung digitaler Dienste. Gerade wenn es darum geht, Mitarbeitern und Partnern qualitativ hochwertige Dienste zur Verfügung zu stellen, müssen Verzögerungen vermieden werden. Bloss wie? Die Bandbreiten für Internet-Traffic können nicht beliebig erhöht werden.
Ein weiteres Problem: Immer mehr Unternehmen verlagern Rechen- und Speicherressourcen in die Cloud und die bei  Technologien wie Künstliche Intelligenz, Virtual und Augmented Reality oder Internet of Things entstehenden Datenmassen sind in vielen Branchen zur wirtschaftlichen Grundlage der Unternehmen geworden. Doch werden diese Datenmassen über das öffentliche Internet transportiert, dann potenzieren sich die Probleme: Die notwendige Skalierbarkeit ist nicht gegeben, die Wartezeiten auf Ergebnisse werden lang und länger, Auswertungszeiten verzögern sich und damit letztlich auch die Aktionszeiten.
Auch die Offenheit des Internets wird für die vernetzte Wirtschaft immer mehr zur Achillesferse, zumal mit dem digitalen Business neue sicherheitsrelevante Schwachstellen entstehen, insbesondere wenn Daten über viele verschiedene Quellen und Nutzer bereitgestellt werden.

Paralleles Business-Internet

Diese Herausforderungen lassen sich im Prinzip ganz einfach lösen: Die beteiligten Akteure müssen dazu nur das öffentliche Internet umgehen und sich direkt miteinander verbinden. Und das tun sich auch. Immer öfter kehren Unternehmen dem normalen Internet den Rücken – und setzen auf direkten Datenaustausch durch Private Network Interconnect (PNI), kurz Interconnection. Das ist eine Art zweites Internet, das auf privaten Verbindungen zwischen Unternehmen basiert. Die massgeblichen IT- und Netzwerkfunktionen werden dabei in unmittelbarer Nähe zu grossen Anwendergruppen sowie zu den Applika­tionen und Daten platziert. Beteiligt sind neben den Unternehmen selbst Akteure wie Cloud-Provider und Netzwerk-Anbieter. In dem abgeschotteten Netzwerk erlauben IT-Knotenpunkte sichere Verbindungen zwischen Unternehmen und Netzwerk-Providern über alle Regionen hinweg.
Deutliche Steigerung: Bis 2021 soll die weltweite Kapazität der Interconnection-Bandbreite über 8200 TB betragen
Quelle: Equinix GTX
Solche Verbindungen werden normalerweise in Carrier-neutralen Rechenzentren gehostet. Damit ist gemeint, dass das Rechenzentrum, in dem Unternehmen ihre Verbindungen herstellen, viele verschiedene Carrier und Service-Provider aufnehmen kann. Neben einer einfachen Eins-zu-eins-Verbindung einer Cloud-Umgebung ist über eine Interconnection-Plattform deshalb eine Vielzahl von Verbindungen auf dedizierte und sichere Weise möglich.
Eine PNI ist insofern eine relativ komplexe Struktur, als Unternehmen sicherstellen müssen, dass sie den richtigen Service für die jeweilige Aufgabe haben. Andererseits braucht es grundsätzlich für Interconnection nicht viel: Erstens eine entsprechende Ausrüstung, zum Beispiel bei einem Co-Locator oder im eigenen Rechenzentrum. Zweitens Glasfaser- oder Kupferkabel, die die Unternehmen verbinden. Drittens Software, die die Übertragung steuert. Und viertens Sicherungsmassnahmen, die dafür sorgen, dass die Übertragungswege nur denjenigen zugänglich sind, die auch darauf zugreifen dürfen. PNIs werden in der Regel von den grossen Co-Location-Providern angeboten. Bei Co-Location erfolgt der Server-Betrieb im Rechenzen­trum eines Providers. Unternehmenskunden mieten Platz für Server und andere IT-Hardware an und betreiben dort ihre eigene Hardware.
Viele dieser Rechenzentrumsbetreiber bieten schon länger direkte Verbindungen innerhalb ihrer Rechenzentren an, um Cloud- und Co-Location-Umgebungen an einen Ort zu bringen. Diese Verbindungen wurden bislang oft über Glasfaser-Cross-Connects bereitgestellt. Dieser Ansatz schränkte jedoch die Möglichkeiten ein, wo Unternehmen ihre Co-Location-Umgebungen platzieren können. Zudem begrenzte dies die Cloud-Umgebungen, mit denen sie sich verbinden können. Die neuesten Lösungen von Interconnection-Anbietern nutzen deshalb nun flexible Konzepte wie Network Exchange Points und Software-Defined Networking (SDN). SDN erlaubt es dem Kunden beispielsweise, seine Verbindungen in Echtzeit zu verwalten, ohne dass der Co-Location-Anbieter involviert sein muss. Er kann einzelne Verbindungen jederzeit aufbauen, abbauen und ändern, meist über eine einfache, webbasierte Bedienoberfläche.

Vorteile von PNIs

Interconnection-Verbindungen haben unbestreitbare Vorteile: Sie sind sicher und schnell, und es sind sehr grosse Bandbreiten realisierbar. Überdies ist die Verzögerung beim Einsatz von Glasfaserverbindungen bei der Interconnection-Datenübertragung mehr oder weniger gleich null.
Sicherheit, Zuverlässigkeit und Performance: Das sind laut einer Dimensional-Research-Studie die Hauptvorteile direkter Verbindungen
Quelle: Dimenstional Research (n=659), 2014
Die idealen Kandidaten für Interconnection sind Unternehmen, die viele sensible Daten sicher und schnell transferieren müssen. Hierzu gehören zum Beispiel der Datenaustausch mit Payment-Providern, digitale Verkehrssteuerungen oder die Just-in-Sequence-Belieferung von Produktionsstrassen. «Heutige IT-Architekturen kommen hier schnell an ihre Grenzen», sagt Sasha Puljic, Geschäftsführer des Analytics-Spezialisten Teradata. «Interkonnektivität ist daher ein Thema für alle, die sich mit Big-Data-Analysen beschäftigen. Für uns als Anbieter bedeutet Interkonnektivität deshalb, den direkten Weg auf der Autobahn zu nehmen, statt über die Landstrasse zu fahren.»
“Interkonnektivität ist ein Thema für alle, die sich mit Big-Data-­Analysen beschäftigen„
Sascha Puljic, Vice President Central Europe bei Teradata
Die schnellere, zuverlässigere und sicherere Übertragung von Daten ermöglicht es Unternehmen vor allem auch, sich zu digitalen Ökosystemen zusammenzuschliessen und so das Wachstum ganzer Branchen zu beschleunigen. Gerade die neu entstehenden, durch Big Data, IoT und ähnliche Techniken realisierbaren Business-Ökosysteme brauchen eine sichere und möglichst verzögerungsfreie Kommunikations­basis, die sich durch Private Network Interconnect am besten umsetzen lässt. Das Gleiche gilt für die Zusammenführung der internen Datenschätze weit verteilter Unternehmensniederlassungen.
Zudem ist mit Interconnection einiges möglich, was aus datenschutzrechtlichen Gründen sonst schwierig wäre. Beispiel Big-Data-Analysen: Viele Daten dürfen, um den Schutzanforderungen des Gesetzes zu genügen, den Einflussbereich des Unternehmens, das sie gesammelt hat, nicht verlassen. Andererseits gibt es kostengünstige Analytik-Services in der Cloud. Interconnection bringt beides zusammen. Co-Location-Anbieter betreiben in der Regel ausserdem ein sehr professionelles Sicherheitsmanagement. Dadurch sinkt das Risiko, dem die Daten beim Transport ausgesetzt werden.

Interconnection für die Cloud

Interconnection-Services lohnen sich vor allem auch in Hy­brid-Cloud-Szenarien. Dort lässt sich damit ein Gutteil der mit einer hybriden Cloud verknüpften Komplexität verringern oder ganz beseitigen. Über eine einzige private Verbindung, die das Unternehmen bei einem Rechenzentrums­anbieter mietet, kann es Zugang zu allen gewünschten Cloud-Anbietern und anderen Rechenzentren bekommen.
«Unternehmen, die sich digitalisieren wollen, suchen nach Wegen, die mit der Integration verschiedener digitaler Dienste einhergehende zunehmende Komplexität möglichst gering zu halten», weiss Eric Hanselman, Chief Analyst bei 451 Research. «Neue, auf Interconnection basierende Architekturen fangen einen Grossteil dieser Komplexität auf.» Schon 2014 bevorzugten laut einer Umfrage von Dimensional Research 85 Prozent von 659 befragten IT-Entscheidern aus aller Welt direkte Verbindungen zu Cloud-Providern. Als Hauptvorteile assoziieren sie mit Direktverbindungen erhöhte Sicherheit, mehr Zuverlässigkeit und gesteigerte Leistung.
“Unternehmen suchen nach Wegen, die mit der Integration verschiedener digitaler ­Dienste einhergehende zunehmende Komplexität ­möglichst gering zu halten. Neue, auf ­Interconnection basierende Architekturen ­fangen einen Großteil dieser Komplexität auf„
Eric Hanselman, Chief Analyst bei 451 Research
  • Mehr Sicherheit: Private, direkte Verbindungen zwischen Unternehmen und einem oder mehreren Cloud-Service-Providern reduzieren die Angriffsfläche für Cyberattacken. Die Risiken bei der Rückführung des Cloud-Traffics zu entfernten Rechenzentrumsstandorten über das Internet oder Langstreckennetze mit vielen Zwischenstationen werden eliminiert.
  • Gesteigerte Zuverlässigkeit: Private Hochleistungsverbindungen optimieren die Leistung von Backup- und Recovery-Prozessen. Interconnection in die Cloud kann zudem die für Disaster-Recovery benötigte Redundanz gewährleisten. Zuverlässige Disaster-Recovery-Prozesse können sogar zwischen zwei verschiedenen Cloud-Services etabliert werden, um die Aufrechterhaltung von Geschäftsabläufen sicherzustellen.
  • Erhöhte Skalierbarkeit: Das schnelle, automatisierte Provi­sioning über direkte und sicher virtualisierte Verbindungen macht das Management und die Kontrolle bei der Aktivierung und Deaktivierung von Cloud-Services deutlich einfacher.
Interconnection-Anwendungen
Das sind die typischen Interconnection-Anwendungen
  1. Netzwerk-Optimierung: Fürs digitale Business essenziell ist eine Interaktion in Echtzeit zwischen Menschen, Dingen, Standorten, Clouds und Daten. Datenverkehr in Hubs zu Iokalisieren und so die Distanz zwischen Nutzern und Services zu verringern, behebt Latenzprobleme.
  2. Hybride Multi-Cloud: Interconnection-Verbindungen zwischen dezentralen IT-Infrastrukturen mit Clouds und Partnern optimieren hybride Multi-Cloud-Architekturen und den Zugang zu Business-Ökosystemen. Unternehmen können Komplexität reduzieren, indem sie mehrere Public und Private Clouds direkt miteinander verbinden und ihren Datenverkehr in verschiedene Hubs aufteilen.
  3. Dezentrale Sicherheit: Der Einsatz von und die Verbindung mit Sicherheitsservices sowie die Erweiterung der Sicherheits-Ökosysteme in Hubs verringern das Risikopotenzial des digitalen Business. Auch wird die Erfüllung von Compliance-Anforderungen unterstützt.
  4. Dezentrale Daten: Durch den digitalen Handel entstehen weltweite Geschäfts- und Datenprozesse, die viele Kunden, Partner und Mitarbeiter umfassen. Die Integration von Analysen, Datenbeständen und Datenkon­trollen in Hubs ermöglicht es, den Austausch von Daten effektiv zu skalieren.

Aktuelle Situation

Wie steht es derzeit um die Akzeptanz von Interconnection? Ende 2018 legte der Co-Location-Spezialist Equinix seinen zweiten «Global Interconnection Index» vor, der den Einsatz von Interconnection analysiert und prognostiziert. Das Ergebnis: Interconnection ist für viele Unternehmen bereits ein wichtiges Instrument. «Der zweite Global Interconnection Index zeigt, dass Unternehmen die steigenden digitalen Anforderungen bewältigen, indem sie sich per Interconnection direkt mit wichtigen Geschäftspartnern verbinden, da traditionelle Formen der Konnektivität den hohen Anforderungen moderner Unternehmen nicht mehr gerecht werden», resümiert Sara Baack, Chief Marketing Officer bei Equinix.
“Traditionelle Formen der Konnektivität werden den hohen Anforderungen moderner Unternehmen nicht mehr gerecht„
Sara Baack, Chief Marketing Officer bei Equinix
Aus der Studie leitet Equinix auch ab, dass der Einsatz von Interconnection weiter rasant steigen wird: Bis 2021 soll die Interconnection-Bandbreite auf mehr als 8200 Terabit pro Sekunde ansteigen. Das entspricht einem jährlichen Datenvolumen von 33 Zettabyte. Damit würde der B2B-Traffic die Datenübertragungen über das öffentliche Internet um das Zehnfache überragen. Auf die kommenden fünf Jahren veranschlagt Equinix bei der Interconnection eine jährliche Wachstumsrate von 48 Prozent – doppelt so viel wie beim Internet-Traffic erwartet wird. Eine grosse Menge des Traffics scheint dabei in den Finanzzentren der Welt anzufallen: In Europa, wo das Wachstum durchschnittlich ebenfalls auf 48 Prozent geschätzt wird, verzeichnen etwa Frankfurt und London 58 Prozent beziehungsweise 52 Prozent Wachstum.

Fazit & Ausblick

Die Bedeutung von Interconnection zeigt sich in den Wachstumsraten für PNI-Kapazitäten bei Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Interconnection ist längst schon mehr als ein Trend. Sie hat sich vielmehr zu einem zentralen Bestandteil der IT-Infrastruktur in der Digital Economy entwickelt. «Wir sind überzeugt, dass das Internet mittelfristig nur noch ein Zugangsnetz sein wird», erklärt Roger Semprini, Managing Director von Equinix Schweiz.
Doch obwohl IT-Experten Interconnection eine so hohe Bedeutung beimessen, ist das Konzept in der Führungsebene von Unternehmen oft noch weitgehend unbekannt: Viele der für den «Global Interconnection Index» konsultierten IT-Manager gehen davon aus, dass ein Grossteil der Führungskräfte Interconnection zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend oder gar nicht versteht. Diese Unkenntnis kann zum Problem werden. Denn in den nächsten Jahren wird das Tempo der Digitalisierung in den Unternehmen sicher weiter­ anziehen. Das wird die eingangs geschilderten Herausforderungen für die IT-Infrastrukturen und Internetverbindungen noch einmal deutlich verschärfen. Interconnection wäre zumindest eine Option, mit der Unternehmen darauf reagieren könnten und die sie nicht leichtfertig ignorieren sollten.



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