22.06.2011, 06:00 Uhr

Tempomat für SAP-Prozesse

Kennzahlen, wie sie etwa SAPs Business Process Monitoring liefert, sind nur der erste Schritt zur Prozessoptimierung. In einem zweiten Schritt werden aus den Werten Aktionen abgeleitet.
Bild: © Morten Madsen / istockphoto.de
Der Autor ist Geschäftsführer der Arumba GmbH und Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Wollen Sie mit Ihrem Fahrzeug eine bestimmte Geschwindigkeit fahren, so müssen Sie nicht wissen, wie der Zündzeitpunkt eingestellt ist oder wie steil die Strasse ist. Es genügt, wenn Sie den Gebrauch von Tacho, Brems- und Gaspedal kennen. Noch bequemer ist es, wenn ein Tempomat die richtige Geschwindigkeit hält: Per Knopfdruck bringt Sie Ihr Auto dann in kons-tanter Geschwindigkeit ans Ziel. Wie wäre es, wenn Sie mit den komplexen Prozessen in Ihrer Unternehmung genauso umgehen könnten? Dass das geht, zeigt ein Beispiel aus der Praxis.

KPI-Monitoring mit SAP

Ein führender Parfüm- und Aromenhersteller mit Sitz in Genf sowie Verkaufs- und Produk­tionsstandorten auf allen Kontinenten hat sich das Tempomat-Prinzip zur Prozessstabilisierung zunutze gemacht. 2008 startete dort ein globaler SAP-Roll-out, bei dem alle Länderorganisa­tionen an das zentrale ERP-System angeschlossen wurden. Die verteilten Organisationen sollten nach dem Go-Live möglichst schnell stabilisiert und die Prozesse später im Betrieb kontrolliert werden. Dazu wurde ein Reportingsystem mit Business-KPIs eingeführt. Die monatlich erhobenen Kennzahlen reichten jedoch für die Steuerung der Prozesse in Echtzeit nicht aus. Die Aussage, dass die Lieferzeit beispielsweise in einem Monat 0,1 Tage langsamer war als geplant, gab keine Hinweise auf konkrete Verbesserungsmöglichkeiten in der täglichen Arbeit. Es war so, als würde der Autofahrer seine Geschwindigkeit anhand der erhaltenen Strafzettel regulieren wollen. Das Business-Excellence-Team der Spezialitätenchemiefirma wollte schnellere Reaktionszeiten und eine weitgehende Automatisierung der Prozesskontrolle erreichen, quasi einen Tempomat. Dieser misst die momentane Geschwindigkeit, vergleicht sie mit der gewünschten und leitet daraus eine Aktion ab. Technisch gesehen, ist das eine «stabilisierende Rückkopplungsschleife», eine aus der Natur kopierte und in der Industrie seit vielen Jahrzehnten erfolgreich angewendete Technik.

Passende Kennzahlen

Die Firma entschloss sich für ein schnelles und günstiges Verfahren: Die Überfälligkeit von Prozessschritten sollte als universeller Indikator dienen. Denn ein Prozess macht dann Probleme, wenn er bestimmte Meilensteine nicht wie geplant erreicht. In ERP-Systemen sind glück­licherweise Plandaten für alle Prozessschritte vorhanden, weil Teilorganisationen auf ein Gesamtresultat hin integriert werden müssen. Der Tachometer für ERP-Systeme misst also: Welche Prozessschritte haben bis gestern um Mitternacht den geplanten Messpunkt nicht erreicht? Dazu musste ein einfaches und auf den Betrieb ausgerichtetes Prozessmodell erarbeitet und mit Messpunkten an relevanten Stellen versehen werden. Ausserdem sollten die Verantwortlichen für einen bestimmten Prozessabschnitt durch ein einfaches Mittel alarmiert werden können. Treten nun z.B. Abweichungen in den Lieferterminen auf, bekommt der betroffene Verkaufsinnendienstleiter eine E-Mail mit den notwendigen Informationen. Die Warnmeldungen werden für die längerfristige Prozesskontrolle automatisch in ein BI-System fortgeschrieben und dort als Teil des monat-lichen Management Reportings dokumentiert.

Ursachenforschung

Schon nach den ersten Messungen war klar, dass sich aus diesem längst überfälligen Monitoring auch Hinweise auf systematische Prozessprob-leme ableiten liessen. Diesen Hinweisen ging man zusammen mit den Prozessverantwortlichen nach, erarbeitete Verbesserungsvorschläge und kontrollierte deren Umsetzung mittels «Tempomat». Erste Erfolge wurden schnell erreicht: Alte Belege konnten von der IT oder den Benutzern aufgeräumt und einige Messpunkte anschliessend bereits dem Betrieb übergeben werden. Oft lag die grundlegende Ursache für gestörte Abläufe gar nicht in der eigenen Abteilung. Zu den aus den Analysen gewonnen Erkenntnissen zählten unter anderem folgende, typische Fehlerursachen: - Mangelnde Schulung der Benutzer, z.B. von Mitarbeitern, die erst nach der Projekteinführung eingestellt wurden - Mangelnde Prozesskontrolle für bereichsübergreifende Prozesse (z.B. Retouren, Stornierungen) - Fehlende oder falsche Stammdaten, die zu falscher Planung oder Verzögerungen führten - Mangelnde Sensibilisierung für die Folgen von Verspätungen auf den Gesamtprozess
Parallel dazu wurden alle ERP-Daten des letzten Jahres mittels eines «Organizational Footprint» auf relevante Muster untersucht (z.B.: Wo werden viele Änderungen gemacht? Stimmen die Stammdaten mit der Wirklichkeit überein? Liegen wir mit unserer Lagerstrategie richtig?). Damit kam man einigen hartnäckigen Problemen auf die Spur. Natürlich konnten nicht alle Probleme sofort gelöst werden. Schwierigkeiten mit Lieferfristen von Lieferanten oder spezielle Stammdatenprobleme traten immer noch auf. Die eingerichteten Trendanalysen werden aber seitdem dazu verwendet, Auswirkungen von längerfristigen Optimierungen auf höherer Stufe zu kontrollieren und auch, um die Organisationen untereinander zu vergleichen.

Angenehmer Nebeneffekt

Wie war es nun möglich, ein Projekt, das Order-to-Cash, Manufacturing, Procure to Pay und Monthly Closing betraf, in dieser Rekordzeit und hauptsächlich in Eigenregie umzusetzen? Im SAP Solution Manager gibt es seit einigen Jahren das Business Process Monitoring (BPM), um technische Prozesse zu kontrollieren. Ähnlich wie bei der Erfindung von Viagra wurde dessen Nebenwirkung «Geschäftsprozesskontrolle» eher zufällig entdeckt und wird seitdem von der Arumba GmbH in Projekten eingesetzt. Die einzelnen Messpunkte sind inzwischen weitest-gehend standardisiert und müssen während der Einführung nur noch in die modellierten Prozesse eingepasst werden. Das beschriebene Genfer Projekt verwen-det nur im Standard vorhandene Kennzahlen – und es hat den Beweis erbracht, dass dieses Ver­fahren auch in grossem Stil funktioniert. Parallel dazu hat die IT des Parfümherstellers auch die «Intensive-Care-Phasen» in allen neuen Länderniederlassungen Tempomatunterstützt begleitet. Die Implementierung für die US-amerikanische Niederlassung ist bereits in Arbeit.

Automatische Prozesskontrolle

Die innovative Anwendung vorhandener Technologien ermöglichte eine kostengünstige, effiziente und automatisierte Prozessstabilisierung. Listen mit überfälligen Aufträgen eignen sich zudem bestens für Prozessverbesserungen und werden auch von Praktikern sehr gut akzeptiert. Während der Einführung wurden die bestehenden Prozesse zusätzlich verbessert und das Prozessverständnis sowohl auf Benutzer- wie auch auf Managementebene erhöht. Deshalb wird dieses Konzept nun weltweit ausgerollt. Dank des neuen Tempomats kann sich das Management in Zukunft besser auf die zu fahrende Strecke konzentrieren – ohne Geschwindigkeitsbussen zu riskieren, etwa wegen nicht eingehaltener Lieferfristen.


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