Intelligent Things und Edge AI 22.04.2020, 06:22 Uhr

Wie KI das Internet der Dinge revolutioniert

Intelligente Dinge und Netze ermöglichen ganz neue Geschäftsmodelle und Services. «Grenzen werden nur durch Gesetzgebung oder ethische Gesichtspunkte gezogen», sagt Marco Krause von Adlink
(Quelle: a-image / shutterstock.com)
Das Kürzel IoT steht nicht länger für «Internet of Things» - zumindest nach Ansicht von Steve Koenig, Vizepräsident der Consumer Technology Association (CTA). Er rief auf der von der CTA organisierten «Consumer Electronics Show» (CES) im Januar die Dekade der «Intelligence of Things» aus. «Dieses neue IoT ist der Beweis dafür, dass Künstliche Intelligenz alle Bereiche unserer Wirtschaft und unserer Kultur durchdringt», erklärte der CTA-Vertreter.
Die meisten «smarten» Steckdosen, Glühbirnen und Thermostate, die heute verkauft werden, sind allerdings noch alles andere als intelligent. Bei genauerer Betrachtung können diese Dinge meist nicht viel mehr, als auf Befehle zu reagieren. Die eigentliche Intelligenz befindet sich in einer zentralen Steuerungseinheit oder in der Cloud. Auch Sensoren für Temperatur, Helligkeit oder Feuchtigkeit geben die gemessenen Daten meist ungefiltert weiter. «Ein einfaches Gerät beschränkt sich in seiner Funktion auf einen begrenzten Umfang», sagt Jörg Wende, Leading Technical Sales Professional bei IBM Deutschland. «Es kann Messwerte erfassen oder bestimmte Aktionen auslösen - oder auch beides in begrenztem Umfang miteinander verbinden.» Intelligent werden die Geräte laut Wende erst, wenn sie Messungen und Aktionen in komplexere Zusammenhänge einbinden können. «Ein Dämmerungsschalter wird etwa nur dann aktiv, wenn sich Personen im Haus befinden», gibt der Experte ein Beispiel. Für Jan Metzner, Special Solutions Architect für Manufacturing bei Amazon Web Services (AWS), liegt die Unterscheidung zwischen «dumm» und «intelligent» vor allem darin, ob und wie IoT-Komponenten miteinander kommunizieren: «Geräte, die ihre Daten nicht teilen, können auch nicht lernen.» Auch Thomas Frahler, Business Lead IoT bei Microsoft Deutschland, sieht in der Vernetzung den entscheidenden Faktor: «Der eigentliche Wert des IoT hängt von der intelligenten Nutzung von Daten ab.»
“Der eigentliche Wert des IoT hängt von der intelligenten Nutzung von Daten ab.„
Thomas Frahler, Business Lead IoT bei Microsoft Deutschland

Verteilt oder zentral?

KI-Fähigkeiten lassen sich entweder zentral zur Verfügung stellen oder als «Edge AI» direkt am Endpunkt implementieren. «Theoretisch kann jedes IoT-Gerät durch Sensoren und Analyse-Algorithmen mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet werden», erklärt Gunther Thiel, Country Manager DACH & BNL beim Hersteller D-Link, der Kameras mit integrierter KI zur Bewegungserkennung anbietet. «Durch die lokale Integration kann die Kamera nicht nur schneller reagieren, sondern braucht auch erheblich weniger Bandbreite, um die Vielzahl der erfassten Daten weiterzuleiten», erläutert der D-Link-Manager. «Edge AI ist auch dann zu bevorzugen, wenn es um 24/7-Verfügbarkeit und um Ausfallzeiten geht», ergänzt Marco Krause, Global Account Director bei Adlink Technology, einem Spezialisten für industrielle KI-Anwendungen. «Bei Edge AI hat der lokale Anwender die Sicherheit, dass sein System zu jeder Zeit verfügbar ist.» Auch der Kostenfaktor spielt laut Krause eine Rolle. Durch Trends wie autonomes Fahren, Virtual und Augmented Reality oder Smart City steige der Bedarf an einer KI-basierten Datenverarbeitung: «In den meisten Fällen ist der Bau eines neuen Rechenzentrums jedoch keine kostengünstige Option für Service-Provider.»
“Theoretisch kann jedes IoT-Gerät durch Sensoren und Analyse-Algorithmen mit Künstlicher Intelligenz aus­gestattet werden.„
Gunther Thiel, Country Manager DACH & BNL bei D-Link Deutschland
Um Dinge intelligenter zu machen, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: Im einfachsten Fall werden vortrainierte Modelle in das Gerät integriert. So lassen sich KI-Funktionen wie Mustererkennung, Bildanalyse oder auch Sprachverständnis lokal zur Verfügung stellen. Ändern sich die Voraussetzungen oder lässt die Erkennungsrate der eingesetzten KI zu wünschen übrig, muss das zugrundeliegende Modell allerdings zentral neu trainiert und auf sämtliche Endgeräte übertragen werden. Alternativ lassen sich Machine Learning und andere Lernverfahren aber auch direkt auf dem Endgerät ausführen - eine ausreichende Leistungsfähigkeit vorausgesetzt. Dank Plattformen wie Jetson von Nvidia oder den SoCs (System on a Chip) der Intel-Tochter Movidius ist dies bereits in sehr kompakten Geräten möglich.
Microsoft unterscheidet bei Edge AI zwischen «Light» und «Heavy Deployment». In der leichtfüssigen Variante übernehmen Sensorsysteme auf Microcontroller(MCU)- oder SoC-Basis die Arbeit. Sie sind klein, leicht und durch Batterien oder Akkus unabhängig von einer externen Stromversorgung. KI-Fähigkeiten erhalten sie über Neural Network Accelerators (NNA), integrierte GPUs (Graphic Processing Unit) oder die CPU (Central Processing Unit) selbst. «SoC-Prozessoren bringen fast alle Funktionen von programmierbaren elektronischen Systemen auf einem einzigen Chip unter und haben heute schon ausreichend Kapazität, um beispielsweise semantische KI-Modelle zur Bild- und Objekterkennung vor Ort auszuführen», berichtet Business Lead IoT Frahler. Wenn das nicht ausreicht, kommt die schwergewichtige Edge-Variante zum Einsatz. In ihr übernehmen Server, Industrie-PCs oder Gateways die Rechenarbeit. Beispiele hierfür sind etwa die «Azure Data Box Edge»-Produkte, die auch in einer «ruggedized» Variante erhältlich sind, die «Edge­line»-Systeme von HPE oder die MEC-Server (Multi-access Edge Computing) von Adlink. Trotz Miniaturisierung und neuer Plattformen reichen Rechenleistung und Speicherkapazität am Edge allerdings nicht in jedem Fall aus, weiss Jan Metzner von AWS. «Bei komplexeren IoT-Szenarien kann es sinnvoll sein, die Neuberechnung von KI-Modellen zentral in der Cloud durchzuführen.»

Prädiktive Wartung

Beispiel aus der Praxis: Der intelligente Sensor der Firma Konux ermöglicht eine vorausschauende Wartung von Weichen.
Quelle: Konux
Vor allem in der Industrie setzt man zunehmend auf die Kombination von IoT-Umgebungen mit KI und analytischen Fähigkeiten. Eines der grössten Wachstumsfelder ist der Bereich vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance). Er machte nach Berechnungen des Marktforschungsunternehmen IoT Analytics 2018 über 24 Prozent des Gesamtmarkts für
industrielle KI-Anwendungen aus. Mit Hilfe von Predictive Maintenance soll die Restlebensdauer (Remaining Useful Life, RUL) eines Bauteils oder einer Maschine vorhergesagt und so der optimale Zeitpunkt für Wartung, Reparatur oder Austausch identifiziert werden können.
Vorausschauende Wartung kommt heute bereits in vielen Unternehmen zum Einsatz. So nutzt etwa Thyssenkrupp Vorhersagemodelle in Kombination mit IoT-Daten, um die Wartung von Aufzügen zu optimieren. Der Hersteller verspricht, durch dieses System die Ausfallzeiten von Aufzügen um die Hälfte reduzieren zu können. Bei den Windkraftanlagen von Siemens Gamesa liefern über 300 Sensoren pro Tag mehr als 200 GByte an Daten. Sie werden unter anderem durch KI-basierte Methoden analysiert und für Wartungszwecke ausgewertet. Der Hersteller kann so nach eigenen Angaben über 99 Prozent aller drohenden Schäden am Antriebsstrang vorhersagen und 85 Prozent aller Alarme innerhalb von zehn Minuten aus der Ferne lösen.
Im Elektronikwerk Amberg setzt Siemens auf intelligentes Edge-Computing, um die Fertigung von Leiterplatten zu optimieren. Die KI-basierte Analyse der Prozessdaten aus den Schneidsystemen erlaubt es, drohende Ausfälle mit bis zu 36 Stunden Vorlauf vorherzusagen und damit Verschleissteile rechtzeitig tauschen zu können. So sollen sich laut Siemens pro Maschine bis zu 12'000 Euro pro Jahr einsparen lassen. Die Daten werden dabei vor Ort gefiltert und vorverarbeitet, bevor sie in die Cloud-Analysesysteme geschickt werden.
“Unsere Kunden profi­tieren durch eine Reduktion der Instandhaltungskosten von mehr als 25 Prozent.„
Andreas Kunze, CEO bei Konux
Ein weiteres Beispiel für den Einsatz smarter Sensoren und Künstlicher Intelligenz für die vorausschauende Wartung ist das Weichenanalytik-Projekt der Deutschen Bahn, das in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Konux durchgeführt wurde. Das Münchner Start-up hat dafür einen Weichensensor entwickelt, der die wichtigsten Funktionsparameter und den Energieverbrauch selbst überwacht und eine Vorverarbeitung der Rohdaten durchführt. Er übermittelt die Felddaten drahtlos an ein Backend-System, wo sie mit weiteren Informationen wie Zugdaten und Statistiken kombiniert und mit Hilfe von neuronalen Netzen und anderen Verfahren des maschinellen Lernens ausgewertet werden. «Unsere Kunden profitieren durch eine Reduk­tion der Instandhaltungskosten von mehr als 25 Prozent», verspricht Komux-CEO Andreas Kunze.
Toolkits und Frameworks für das intelligente IoT (Auswahl)
Produkt Beschreibung
ARM Compute Library Sammlung von Funktionen für Bildverarbeitung und maschinelles Lernen, die für Arm-CPU- und GPU-Architekturen optimiert sind. Sie ist kostenlos unter einer MIT-Open-Source-Lizenz erhältlich
CMSIS NN Sammlung effizienter Kernel, die Leistung und Speicherbedarf neuronaler Netzwerke auf Cortex-M-Prozessorkernen optimieren
Embedded Learning Library (ELL) Machine-Learning-Bibliothek von Microsoft für Plattformen mit geringen Rechenressourcen und kleine Einplatinencomputer
Keras Benutzerfreundliche Open-Source-Bibliothek für Deep Learning, die eine Schnittstelle zu verschiedenen Backends wie TensorFlow, Microsoft Cognitive Toolkit oder Theano bietet
Neural Network on Microcontroller (NNoM) High-Level-Programmbibliothek zur Modellierung neuronaler Netze auf Microcontroller-Umgebungen
OpenEI Das Open Framework for Edge Intelligence ist eine Software-Plattform für Edge-Systeme, um diese mit intelligenten Datenverarbeitungs- und Austauschfunktionen auszustatten
OpenVINO (Open Visual Inference and Neural Das von Intel entwickelte Toolkit erleichtert die Programmierung und Ausführung von Bilderkennungslösungen. Es integriert das Intel Deep Learning Deployment Toolkit mit Modelloptimierung, einer Inferenz-Engine sowie Computer-Vision-Bibliotheken und -Funktionen. Das Toolkit, das auf verschiedenen Intel-Plattformen läuft, ist als Open Source unter einer Apache-Lizenz verfügbar
Qualcomm Neural Processing SDK for AI Software Development Kit für Entwickler, um neuronale Netze auf mobilen Snapdragon-Plattformen ausführen zu können
TensorFlow Lite TensorFlow-Variante für Mobilgeräte und Embedded-Lösungen, die geräteinternes maschinelles Lernen mit geringer Latenz und einer kleinen Binärgröße ermöglicht. Als „TensorFlow Lite for Microcontrollers“ auch für sehr kleine Geräte mit nur einem Kilobyte Speicher verfügbar
TensorRT Software Development Kit von Nvidia, das Deep-Learning-Modelle auf niedrige Latenz und hohen Durchsatz optimiert. Typische Einsatzgebiete sind Videostreaming, Spracherkennung, Empfehlungsroutinen und Natural Language Understanding (NLU). Für verschiedene Plattformen (Rechenzentrum, Jetson, Nvidia DRIVE) stehen jeweils optimierte Kernel zur Verfügung
TinyML Framework, das Ausführung und Entwicklung von Machine-Learning-Algorithmen auf Rechenleistung, Energie- und Speicherverbrauch hin optimiert, sodass sie auf sehr kleinen Geräten genutzt werden können
uTensor KI-Inferenzbibliothek, die auf der ARM-Plattform mbed und TensorFlow basiert
X-CUBE-AI Machine-Learning-Toolkit für die STM32-Microcontroller-Familie, die auf dem ARM-Cortex-M-Prozessor basiert
Toolkits und Frameworks für das intelligente IoT (Auswahl)
Produkt Beschreibung
ARM Compute Library Sammlung von Funktionen für Bildverarbeitung und maschinelles Lernen, die für Arm-CPU- und GPU-Architekturen optimiert sind. Sie ist kostenlos unter einer MIT-Open-Source-Lizenz erhältlich
CMSIS NN Sammlung effizienter Kernel, die Leistung und Speicherbedarf neuronaler Netzwerke auf Cortex-M-Prozessorkernen optimieren
Embedded Learning Library (ELL) Machine-Learning-Bibliothek von Microsoft für Plattformen mit geringen Rechenressourcen und kleine Einplatinencomputer
Keras Benutzerfreundliche Open-Source-Bibliothek für Deep Learning, die eine Schnittstelle zu verschiedenen Backends wie TensorFlow, Microsoft Cognitive Toolkit oder Theano bietet
Neural Network on Microcontroller (NNoM) High-Level-Programmbibliothek zur Modellierung neuronaler Netze auf Microcontroller-Umgebungen
OpenEI Das Open Framework for Edge Intelligence ist eine Software-Plattform für Edge-Systeme, um diese mit intelligenten Datenverarbeitungs- und Austauschfunktionen auszustatten
OpenVINO (Open Visual Inference and Neural Das von Intel entwickelte Toolkit erleichtert die Programmierung und Ausführung von Bilderkennungslösungen. Es integriert das Intel Deep Learning Deployment Toolkit mit Modelloptimierung, einer Inferenz-Engine sowie Computer-Vision-Bibliotheken und -Funktionen. Das Toolkit, das auf verschiedenen Intel-Plattformen läuft, ist als Open Source unter einer Apache-Lizenz verfügbar
Qualcomm Neural Processing SDK for AI Software Development Kit für Entwickler, um neuronale Netze auf mobilen Snapdragon-Plattformen ausführen zu können
TensorFlow Lite TensorFlow-Variante für Mobilgeräte und Embedded-Lösungen, die geräteinternes maschinelles Lernen mit geringer Latenz und einer kleinen Binärgröße ermöglicht. Als „TensorFlow Lite for Microcontrollers“ auch für sehr kleine Geräte mit nur einem Kilobyte Speicher verfügbar
TensorRT Software Development Kit von Nvidia, das Deep-Learning-Modelle auf niedrige Latenz und hohen Durchsatz optimiert. Typische Einsatzgebiete sind Videostreaming, Spracherkennung, Empfehlungsroutinen und Natural Language Understanding (NLU). Für verschiedene Plattformen (Rechenzentrum, Jetson, Nvidia DRIVE) stehen jeweils optimierte Kernel zur Verfügung
TinyML Framework, das Ausführung und Entwicklung von Machine-Learning-Algorithmen auf Rechenleistung, Energie- und Speicherverbrauch hin optimiert, sodass sie auf sehr kleinen Geräten genutzt werden können
uTensor KI-Inferenzbibliothek, die auf der ARM-Plattform mbed und TensorFlow basiert
X-CUBE-AI Machine-Learning-Toolkit für die STM32-Microcontroller-Familie, die auf dem ARM-Cortex-M-Prozessor basiert

Fehlerrate = null

Die wichtigsten Einsatzgebiete: Die Integration von KI in IoT-Umgebungen spielt vor allem in der Wartung und Fertigung eine Rolle.
Quelle: IoT Analytics Research 2019 - Industrial AI Market Report, Gesamtmarkt 2018
Auch in der Qualitätsprüfung und -sicherung spielen intelligente Endgeräte und IoT-Netze eine immer wichtigere Rolle. Jörg Wende von IBM gibt ein Beispiel aus dem Automobilbereich. «Konkret geht es dabei um die Frage, ob Abdeckungen für die Leuchtweiteneinstellung, die für den Export in die USA vorgeschrieben sind, ordnungsgemäss im Auto verbaut wurden», erklärt er. Die Bauteile haben je nach Modell eine unterschiedliche Form und lassen sich farblich oft nur schwer vom Trägermaterial unterscheiden.
«Der Qualitäts-Check wird dadurch erschwert, dass die Abdeckungen je nach Blickwinkel kaum zu erkennen sind», erläutert Wende. Bilderkennung und -analyse durch entsprechende intelligente Kameras erleichterten diesen Prozess erheblich, so der Experte weiter.
Wie gross der Einfluss solcher Systeme auf die Qualitätssicherung sein kann, zeigt das Beispiel Bosch. Das Unternehmen konnte nach eigenen Angaben durch eine automatische optische Inspektion die Dauer der Qualitätstests um 45 Prozent senken und so 1,3 Millionen Euro Kosten einsparen. Die Rate nicht erkannter Defekte sank dabei auf null, die Zahl falscher Alarme (False Positives) auf unter 0,5 Prozent. Bis 2025 will Bosch Künstliche Intelligenz in alle Produkte und in deren Herstellung integrieren.
Der Automatisierungstechnikkonzern Asea Brown Bovary (ABB) hat ähnlich ambitionierte Pläne. Er will im chinesischen Shanghai eine Fabrik bauen, in der Roboter selbstlernend und weitgehend autonom andere Roboter herstellen sollen. Statt starrer Fertigungsstrassen soll das Werk aus flexiblen autonomen Produktionsinseln aufgebaut sein, die über einen digitalen Zwilling gesteuert werden. ABB will auf diese Weise eine wesentlich grössere Variantenvielfalt an Robotern bauen können, als dies in einem herkömmlichen Werk möglich wäre.

Intelligenz zu Hause

Das Leben zu Hause soll durch intelligente Dinge vor allem komfortabler und sicherer werden. So kann etwa die intelligente Türklingel «Nest Hello» von Google Freunde von Fremden unterscheiden und Besucher mit passgenauen Nachrichten begrüssen. Der smarte Assistent erkennt darüber hinaus, wenn Pakete vor der Tür abgelegt werden, und benachrichtigt auf Wunsch die Bewohner über die Lieferung.
“Bei Edge AI hat der lokale Anwender die Sicherheit, dass sein System zu jeder Zeit verfügbar ist.„
Marco Krause,
Global Account Director bei Adlink Technology
Selbst beim Kochen kann man sich mittlerweile von KI helfen lassen. Der «Smart Countertop Oven» der Whirlpool-Marke WLabs erkennt beispielsweise per Bildanalyse und Temperaturmessung, was zubereitet werden soll, und ob es sich um frische oder tiefgefrorene Produkte handelt. Dann programmiert der smarte Ofen selbstständig Backtemperatur und -dauer. Am Spülbecken nebenan sorgt der intelligente Wasserhahn «Sensate» für Komfort. Er lässt sich sprachgesteuert an- oder abstellen und gibt auf Befehl eine definierte Menge Wasser aus. Im Bad verwöhnen der Spiegel «Verdera Voice Lighted Mirror» von Kohler und die «Smart Shower» von U by Moen den Nutzer. Per Sprachbefehl kann der Anwender nicht nur Licht und Musikberieselung steuern, sondern auch das Duschwasser anstellen und dessen Temperatur regeln.
Nach Ansicht von Marco Krause vom Technikunternehmen Adlink sind diese Geräte und Anwendungsszenarien allerdings erst der Anfang: «Es sind beliebig viele Einsatzgebiete und Möglichkeiten denkbar, in denen mittels Daten smarte Entscheidungen getroffen werden können - von der intelligenten Kantine bis zur Patientenbetreuung, von Fertigungsprozessen bis hin zu einfachen Entscheidungen unseres täglichen Lebens.»

Macht 5G Edge AI überflüssig?

Der Mobilfunkstandard der nächsten Generation, 5G, verspricht minimale Latenzen, eine effizientere Bandbreitennutzung und ein besseres Energiemanagement der Endgeräte. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Intelligente Ampeln und Verkehrsleitsysteme sowie autonome Lieferfahrzeuge und Busse könnten dank 5G den Verkehrsfluss optimieren, virtuelle Arztbesuche, Diagnosen per Datenbrille und Fernoperationen die Gesundheitsversorgung verbessern. Autonome Fertigungsstrassen, ferngesteuerte Wartungsroboter und die virtuelle Inbetriebnahme von Fabriken sind nur einige der denkbaren 5G-IoT-Szenarien im industriellen Umfeld.
Obwohl 5G den Datenaustausch zwischen zentralen Recheninstanzen und den Endpunkten sehr viel schneller und latenzärmer macht, wird die Integration von KI am Edge nicht überflüssig. «Das dezentrale Datenaufkommen wird wesentlich stärker ansteigen als die verfügbare Bandbreite», prognostiziert Jörg Wende von IBM. «Der Kostenfaktor sowie die noch lange nicht gesicherte flächendeckende Verfügbarkeit von 5G werden auf längere Sicht die Vorteile von Edge AI überwiegen lassen», glaubt Adlink-Director Krause. Auch nach Ansicht von AWS-Architect Jan Metzner ist die Entscheidung für oder gegen den 5G-Einsatz im IoT-Bereich eine Kosten- und Verfügbarkeitsfrage: «5G ist definitiv interessant, wird sich aber nicht für alle Use Cases anbieten.»
“Geräte, die ihre Daten nicht teilen, können auch nicht lernen.„
Jan Metzner, Special Solutions Architect für Manufacturing bei Amazon Web Services (AWS)

Die Nadel im Heuhaufen

«Wer misst, misst Mist, wer viel misst, misst viel Mist», lautet eine alte Physiker-Weisheit. Sie trifft auch auf das intelligente IoT zu. Je mehr Sensoren, desto grösser ist das Datenvolumen. Ohne klare Ziele und die richtigen Fragen könne auch KI daraus keine sinnvollen Antworten kreieren, betont Jörg Wende von IBM: «Wenn man die Nadel im Heuhaufen nicht findet, bringt es nichts, den Heuhaufen zu vergrössern.» Unternehmen sollten sich daher klarmachen, welchen Nutzen sie aus dem Intelligent-IoT-Projekt ziehen wollen und welche Daten sie wirklich brauchen: «Die Automatisierung, die eine KI unterstützen kann, muss in einem sinnvollen wirtschaft­lichen oder für den Menschen hilfreichen Zusammenhang stehen.» Gut ist es nach Ansicht von AWS-Architect Metzner auch, nicht mit zu komplexen Szenarien zu starten: «Gerade am Anfang ist es sehr viel einfacher, Machine-Learning-Modelle zentral auszuführen.»

Fazit & Ausblick

Edge AI und intelligente Dinge erweitern die Anwendungsszenarien im IoT-Umfeld erheblich. Mustererkennung, Bildanalyse und Sprachverständnis ermöglichen es den Endpunkten, autonom zu agieren oder eine Vorfilterung der Daten vorzunehmen. So kann die Gefahr von Fehlalarmen ebenso reduziert werden wie Bandbreitenbedarf und Rechenaufwand. Die Möglichkeiten, die die intelligenten Dinge bieten, wecken auch Begehrlichkeiten. «Machbar ist alles», sagt Marco Krause von Adlink, «Grenzen werden nur durch Gesetzgebung oder ethische Gesichtspunkte gezogen.»
Die Warnung des IBM-Experten Jörg Wende vor einer zu grossen Datensammelwut ist deswegen auch nur allzu berechtigt: «Unternehmen sollten besondere Priorität auf Datensicherheit, Datenhoheit und die Wahrung der Privatsphäre legen.»

Im Gespräch  mit Paul Lukowicz vom DFKI

Paul Lukowicz: Leiter des Forschungsbereichs Eingebettete Intelligenz am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)
Quelle: DFKI
Paul Lukowicz vom Deutschen Forschungszen­trum für Künstliche Intelligenz (DFKI) erklärt, wie KI in unser Leben eingebettet werden kann und warum vernetzte Ökosysteme dabei so
eine grosse Rolle spielen.
Computerworld: Herr Professor Lukowicz, Sie befassen sich in Ihrem Forschungsbereich mit «eingebetteter Intelligenz». Was genau ist darunter eigentlich zu verstehen?
Paul Lukowicz: Wir beschäftigen uns damit, wie sich Künstliche Intelligenz in die reale physische Welt einbetten lässt, um Dinge intelligenter, smarter zu machen. Das reicht von Wearables, die Körperposition und Bewegungen registrieren, über Jalousien, die sich automatisch öffnen und schliessen, bis hin zum autonomen Fahren.
Computerworld: Wo liegen die besonderen Herausforderungen bei der Entwicklung solcher eingebetteter intelligenter Systeme?
Lukowicz: Die reale Welt ist sehr komplex und dynamisch, sie besteht aus offenen Systemen. Die KI im Computer ist dagegen ein beschränktes System. Sensoren und Aktuatoren können der Elektronik zwar Hinweise darüber geben, wie die Umwelt beschaffen ist und was Menschen gerade tun, aber oft sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Es braucht eine Menge Hintergrundwissen, um Zusammenhänge zu verstehen. Mit solchen beschränkten Systemen dieses ungeheuer komplexe Problem des Verstehens und Interagierens mit der realen Welt anzugehen, das ist das Spannende an diesem Forschungsbereich.
Computerworld: Welche Methoden kommen dabei zum Einsatz?
Lukowicz: Wir nutzen sehr häufig maschinelles Lernen, aber auch Methoden der Wissensmodellierung. Natürlich verwenden wir auch Sprach- und Bildanalysen, aber der Schwerpunkt liegt auf der Verarbeitung von Daten, die von einfachen verteilten Sensoren erhoben werden können.
Computerworld: Wie müssen Geräte beschaffen sein, um sie für eingebettete Intelligenz nutzen zu können?
Lukowicz: Die einzelnen Geräte werden immer weniger relevant, entscheidend ist das digitale Ökosystem. Es sind ja nicht mehr nur Computer oder Smartphones mit dem Internet verbunden, sondern auch Fernseher, Glühbirnen, Steckdosen, Heizungsthermostate und Fahrzeuge.
Der Anwender hat heute eine Fülle vernetzter Geräte um und bei sich, egal wo er sich befindet. Die eigentliche Informationsverarbeitung findet in der Cloud statt, wo ein persönlicher digitaler Assistent diese Daten zusammenführt und auswertet.
Computerworld: Wo liegen die grössten Potenziale für den Einsatz eingebetteter Intelligenz?
Lukowicz: Ein ganz wichtiger Bereich ist die Gesundheitsvorsorge. Informationen über Lebensgewohnheiten und Umgebungsbedingungen lassen sich dank eingebetteter Intelligenz erheben und analysieren.
In Kombination mit genetischen Daten und Wissensdatenbanken können so sehr viel genauere, individuellere Therapien entwickelt werden - aus der allgemeinen Medizin, die Krankheiten mit standardisierten Methoden behandelt, wird so eine personalisierte Medizin.
Computerworld: Wir haben jetzt viel über den Einfluss eingebetteter Intelligenz auf das private Leben gesprochen. Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie im industriellen Umfeld?
Lukowicz: Der Digital Twin ist ein typisches Beispiel für eingebettete Intelligenz. Er repräsentiert sämtliche Prozesse, die in einer Fabrik ablaufen, kann Probleme vorhersagen und passt die Abläufe automatisch an veränderte Bedingungen an. Auch hier sehen Sie wieder diesen Ökosystem-Gedanken: Jeder Sensor und jeder Aktuator trägt ein kleines Stück zum Gesamtbild bei, das durch eingebettete Intelligenz entsteht. Das lässt sich auf beliebige Bereiche übertragen.
Computerworld: Die vernetzte Fabrik ist ja eines der Paradebeispiele für die Digitalisierung und den Einsatz von KI in der Industrie. Gibt es andere Bereiche, in denen Sie Nachholbedarf sehen?
Lukowicz: Überall wo Prozesse relativ chaotisch ablaufen, gibt es enorme Optimierungspotenziale. Das prominenteste Beispiel sind Baustellen. Dort herrscht auch heute noch eine Art kreatives Chaos, und obwohl die Bauplanung natürlich digital am Rechner erfolgt, wird vor Ort vorwiegend mit Plänen und Stücklisten auf Papier gearbeitet. Darüber hinaus sind natürlich alle Anwendungsfälle vielversprechend, in denen Informationen eine grosse Rolle spielen. In Daten steckt so viel Überraschendes, da beginnen wir gerade erst an der Oberfläche zu kratzen.
Computerworld: Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen?
Lukowicz: Die Wertschöpfung verschiebt sich von der Herstellung physikalischer Dinge hin zu Services. Ein gutes Beispiel ist die Heimautomatisierung. Die Installation klassischer Bus-Systeme war extrem teuer, jedes Modul kostete 100 Euro und mehr. Wollte der Nutzer etwas ändern, musste ein speziell geschulter und zertifizierter Servicetechniker das System neu programmieren. Heute kaufen Sie bei Amazon für 20 oder 30 Euro eine WLAN-fähige Steckdose und konfigurieren sie über Alexa oder Ihr Smartphone. Die Kosten sind dadurch um Grössenordnungen gesunken, die Funktionalität ist um Welten besser. Das alte Geschäftsmodell Heimautomatisierung ist damit gestorben, weil die Wertschöpfung nicht mehr in den verbauten Kabeln, sondern in der Intelligenz der Systeme steckt.



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