High Performing Scrum Teams 27.07.2023, 09:30 Uhr

Agil ist nicht immer performant

Ein Scrum Team zu definieren und aufzusetzen, scheint heute einfach. Jedoch stellt sich die Frage, ob solche Teams auch die erwünschte Leistungssteigerung erbringen.
Ob Scrum zu hoher Performance führt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
(Quelle: Shutterstock/Elnur)
Das agile Vorgehensmodell Scrum ist schon seit Längerem in aller Munde und weitverbreitet. Startete es anfänglich in der Softwareentwicklung, findet es heute in allen IT-Bereichen und teilweise darüber hinaus Anwendung. Sein Siegeszug ist sicher auch dem agilen Mindset zu verdanken und man erhofft sich damit mehr Mitarbeiterbeteiligung, Flexibilität und schnellere Ergebnisse. Aber liefert diese neue agile Teamstruktur wirklich immer den optimalen Leistungsbeitrag? Es wird schnell offensichtlich, dass agil nicht immer automatisch auch hochperformant bedeutet. Zudem bestehen Anforderungen und Kompetenzen an IT-Führungskräfte, die über Scrum Leaders hinausgehen (Russ 2020). Daher stellt sich die Frage, ob es bestimmte Fak­toren gibt, die ein Scrum Team erst high-performant machen.
Dieser, im Zuge einer Abschlussarbeit des MAS «IT-Leadership und TechManagement» (https://tinyurl.com/bdhbeu39) entstandene Beitrag versucht hier, etwas Licht in diese Fragestellung zu bringen.

Was High Performing Teams sind

Ein High Performing Team definiert sich durch die effektive Zusammenarbeit, um kontinuierlich hochwertige Ergebnisse liefern zu können. Es zeichnet sich durch die hohe Selbstorganisation, die kollektive Verantwortung sowie die Fähigkeit aus, sich ändernden Anforderungen schnell anzupassen und Innovationen voranzutreiben. Es ist in der Lage, die Ziele regelmässig zu erreichen und durch kontinuierliche Verbesserung die Leistungsfähigkeit stetig zu steigern.
Das wohl bekannteste Modell, wenn von Performing Teams gesprochen wird, ist jenes von Tuckman (1965).
Er unterteilt den Prozess der Teambildung in vier Phasen: «Forming», «Storming», «Norming» und «Performing». Die Herausforderung ist das Erreichen der «Performing»-Phase. Rickards und Moger (2000) konzentrieren sich auf die Hürden, die es zu meistern gilt, um zu einem High Performing Team zu gelangen. Unabhängig von den äusseren Umständen schlagen sie vor, die Barrieren mit kreativen Führungsmassnahmen zu überwinden. Dabei haben sie sieben Faktoren identifiziert:
  • Teamverständnis: Das Team versteht den Vorteil der Teamkonstellation.
  • Geteilte Vision: Es besteht eine gemeinsame Per­spektive des Gewinnens.
  • Klima: Die Führungskräfte unterstreichen die Bedeutung eines positiven Arbeitsklimas.
  • Resilienz: Es besteht ein Prinzip der Suche nach Alternativen und der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit.
  • Ideen: Das Engagement für Ideen und Verbesserungen wird gefördert.
  • Netzwerk: Das Wissen durch (externe) Vernetzung wird erhöht.
  • Lernen aus Erfahrung: Erfahrungen werden inspiziert und wenn notwendig adaptiert.
Die meisten der genannten sieben Faktoren haben eine gemeinsame Basis, die sich ein Team erarbeiten muss: die psychologische Sicherheit. Sobald im Team ein Klima ohne Angst vorherrscht, da es zum Beispiel erlaubt ist, Fragen zu stellen, zu Fehlern zu stehen und diese auch zugeben zu können, spricht man von psychologischer Sicherheit. Teams mit hoher psychologischer Sicherheit müssen keine Demütigungen fürchten und fühlen sich daher bestärkt, um Hilfe zu bitten und ihre Meinung und Ideen offen auszutauschen.
Damit Scrum Teams hochperformant werden, müssen sie kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Quelle: Shutterstock/Jerome.Romme

Wie man High Performance messbar macht

Gute Metriken schaffen die Grundlage, um die Performance eines Teams messen zu können. Es ermöglicht ebenso faktenbasierte wie intuitive Veränderungen. Die Velocity (Arbeitsgeschwindigkeit) ist ein Basisfaktor, der über längere Zeit gemessen eine Aussage zur Effektivität eines Teams geben kann. Für ein High Performance Team reicht jedoch die Messung mit den einfachen Instrumenten wie Story Points, Velocity oder Burndown-Diagramm nicht aus (Downey & Sutherland, 2013).
Wie erwähnt ist die Basis eines High Performance Teams die psychologische Sicherheit. Dabei ist das gemeinsame Verständnis der gefühlten psychologischen Sicherheit als wahrgenommene Bewertung der Teammitglieder wichtiger als der konkrete messbare Wert selbst. Je mehr Teammitglieder sich über das Niveau der psychologischen Sicherheit im Team positiv einig sind, desto stärker ist deren Auswirkung auf die Teamperformance (A. Edmondson, 1999; Fyhn et al., 2022). Edmondson (1999, S. 363) hat dazu eine Umfrage mit sieben Aussagen erstellt, wie die Ausprägung der psychologischen Sicherheit bewertet werden kann:
  1. Fehler, die im Team gemacht werden, werden nicht gegen einen verwendet.
  2. Teammitglieder können schwierige Probleme ansprechen.
  3. Teammitglieder lehnen andere nicht ab, weil sie anders sind.
  4. Im Team darf man Risiken eingehen und fühlt sich trotzdem sicher.
  5. Es ist einfach, andere im Team um Hilfe zu bitten.
  6. Niemand im Team würde absichtlich in irgendeiner Weise handeln, welche die Arbeit eines anderen schädigt.
  7. Im Team werden einzigartige Fähigkeiten geschätzt und genutzt.
Im Generellen lässt sich sagen, dass mit dem Messen von Metriken vorsichtig umgegangen werden muss. Ohne ein konkret definiertes Ziel ist das Messen von Metriken jedoch nicht sinnvoll. Wie das Beispiel der psychologischen Sicherheit zeigt, ist in diesem Fall die möglichst breite Streuung der positiven Wahrnehmungen wichtiger, als einen möglichst hohen theoretischen Wert zu erreichen.

Das Drei-Ebenen-Trapezmodell

Auf Basis der MAS-Abschlussarbeit wird nun in Folge ein Modell vorgestellt, das konkrete Handlungsempfehlungen für die Rolle des Scrum Masters und Product Owners aufzeigt. Die Ableitung dieser Handlungsempfehlungen basiert auf Resultaten einer empirischen Datenerhebung von Interviews mit erfahrenen Scrum Masters und Product Owners. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden mit dem Stand der Forschung vernetzt und als Ergebnis werden in der oben stehenden Abbildung die sieben Handlungsempfehlungen als Trapezmodell dargestellt. Es empfiehlt sich, die Ebenen von unten beginnend anzugehen, da die Massnahmen aufeinander aufbauend und unterstützend gegliedert sind.
  • Psychologische Sicherheit: Der Scrum Master muss sicherstellen, dass die psychologische Sicherheit im Team verstanden, gemessen und erhöht wird. Für die Ausgangslage soll die Baseline der psychologischen Sicherheit im Team mit den sieben Fragen von Edmondson (1999) eruiert werden. Zusätzlich wird ein psychologisches Sicherheitstraining empfohlen, wie etwa der von der BFH und der ZHAW entwickelte Ansatz (Kobe & Goller, 2022). Dabei ­absolviert das Team jede Woche eine Übung, die jeweils einen Zeitaufwand von rund 15 Minuten beansprucht.
  • Beziehungen im Team aufbauen (Kultur, Transparenz, Offenheit): Um die soziale Bindung weitgehend zu fördern, werden ausserberufliche Kontaktpunkte geboten. Nebst dem Ziel, mindestens zwei Tage vor Ort zusammenzuarbeiten, werden weitere soziale Massnahmen getroffen, wie zum Beispiel Apéros, Events, gemeinsames Mittag- oder Abendessen.
  • Zusammensetzung des Teams: Teams verändern sich laufend. Daher wird zweimal jährlich die Zusammensetzung eines Teams kritisch hinterfragt. Dabei werden nicht nur die Zusammensetzung und Grösse eines Teams geprüft, sondern auch Teamregeln, Prozesse und die Reife beleuchtet. Wenn nötig werden daraus Massnahmen abgeleitet, die im nächsten Checkpoint überprüft werden.
  • Coaching und Mentoring von Scrum Master & Product Owner: Die beiden Rollen Scrum Master und Product Owner werden teamübergreifend gecoacht und ausgebildet. So wird die kontinuierliche Entwicklung dieser Rollen sichergestellt und zugleich Zugang zu wertvollem interpersonellem Austausch ermöglicht. Idealerweise geschieht dies durch gezieltes Coaching und durch Shadowing vom Mentor oder von anderen gut ausgebildeten Leadern, die in der Transformation zu einem High Performance Team bereits fortgeschrittener sind.
  • Feedback-Kultur – weg von jährlichem hin zu kontinuierlichem Feedback: Primär der Scrum Master baut eine Feedback-Kultur auf, in der Rückmeldungen zeitnah und fortlaufend gegeben und eingeholt werden. In einem ersten Schritt findet mindestens quartalsweise eine Feedback-Session im Team statt. So wird ermöglicht, dass alle Mitglieder allen anderen Mitgliedern Rückmeldungen geben können, die vom Jahresendprozess und allenfalls monetären Auswirkungen entkoppelt sind.
    Das Langzeitziel ist dabei, dass die Maturität signifikant ansteigt, weil konstruktives Feedback bilateral und sofort erfolgt.
  • Retrospektive auf nächstes Level bringen: Die Retrospektive ist für die kontinuierliche Verbesserung eines Teams der zentrale Erfolgsfaktor. Jeder Scrum Master begleitet dreimal pro Jahr bei einem anderen Team eine Retrospektive im Shadowing. Dabei wird nur die Methodik dieser Zeremonie beleuchtet und nicht deren Inhalt. Da eine für das Team fremde Person die psychologische Sicherheit schwächen kann (die für die Retrospektive von zentraler Bedeutung ist), werden nicht mehr als drei Shadowings pro Jahr durchgeführt.
  • Messen – zusammen definieren, welche Metriken gemessen werden und wieso: Der Scrum Master und der Product Owner legen gemeinsam mit dem Team die verschiedenen Metriken fest und definieren zugleich, über welchen Zeitraum und in welchem Intervall diese gemeinsam analysiert werden. Es wird sichergestellt, dass diese Metriken verständlich und transparent sowie für alle im Team zugänglich gemacht sind. Dazu kann für die Erstellung der Metriken aus einer der folgenden Ausgangslagen gewählt werden:
  • Ein Team will ein gewisses Ziel erreichen. Dazu soll definiert werden, welchen Wert eine bestimmte Metrik erreichen oder nicht überschreiten soll.
  • Ein aktuelles Problem ist der Auslöser für die Messung einer Metrik. Hat ein Team ein Problem zu lösen, so soll eine Metrik zu Hilfe genommen werden, um den Fortschritt der Problemlösung zu messen.
Das Drei-Ebenen-Trapezmodell enthält Hand­lungs­empfeh­lungen für Scrum Masters und Product Owners.
Quelle: ZHAW
Beispiele für Metriken können sein: Velocity, Spillover, fachliche Fähigkeiten, psychologische Sicherheit, Überstunden, erreichter Business-Value, Anzahl Störungen (Bug, Incident), Aufwände CAPEX versus OPEX, Anzahl nicht produktiver Stunden und weitere. Dabei soll die Qualität gegenüber der Quantität im Vordergrund stehen.

Zusammenfassung

Es zeigt sich, dass der Einsatz von Scrum allein kein automatischer Garant für eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, mehr Flexibilität und Innovation in der Leistungserbringung ist. Dieser Anspruch muss jeden Tag aufs Neue bewiesen werden. Dafür braucht es in einer Organisation eine Definition, was sie unter einem High Performance Team versteht und wie diese gemessen wird. Wenn dies geklärt ist, geht es an die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen und der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Scrum Teams. Das vorgestellte Drei-Ebenen-Trapezmodell bietet dafür Orientierungshilfen und konkrete Massnahmen. Schlüsselelemente sind dabei der Wille, ein solches High Per­formance Team werden zu wollen, psychologische Sicherheit und Retrospektiven mit Messbarkeit, um dies prüfen und verbessern zu können.
Quellen
Die Autoren
v.o.n.u. Kevin Schmid, Christian Russ
ZHAW
Kevin Schmid ist Release Train Engineer (SAFe) mit mehreren Jahren Erfahrung in agilen Leadership-Positionen in der IT-Branche und Ab­solvent des Studiengangs «IT-Leadership & TechManagement».
Christian Russ leitet den Studiengang IT-Leadership & Tech-Management und verantwortet das Digital Business Leaders Network am In­stitut für Wirtschaftsinformatik an der ZHAW. www.zhaw.ch



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