Programm «Booster 50+» 13.06.2022, 05:43 Uhr

«Konnten bereits erste Kandidaten vermitteln»

Der Fachverband swissICT hat Ende 2021 mit «Booster 50+» ein Programm gestartet, mit dem über 50-jährige, arbeitssuchende IT-Fachkräfte wieder fit für den heutigen Arbeitsmarkt gemacht werden. Bereits werden erste Erfolge verzeichnet.
Ältere arbeitssuchende IT-Fachkräfte bekunden trotz Fachkräftemangel oft Mühe, eine Stelle zu finden. «Booster 50+» soll dem entgegenwirken
(Quelle: stock.adobe.com/Studio Romantic)
Der Fachkräftemangel ist eines der grossen Themen, welche die IT-Wirtschaft derzeit stark umtreiben: Passendes, gut qualifiziertes Personal zu finden, ist eine riesige Herausforderung für die Unternehmen. Gleichzeitig gibt es zahlreiche arbeitssuchende ICT-Fachkräfte, die insbesondere wegen ihres fortgeschrittenen Alters grosse Mühe haben, eine Anstellung zu finden. Dies, obwohl sie eigentlich genügend qualifiziert wären oder nur geringer Weiterbildungsbedarf besteht, um mit Mitbewerberinnen und Mitbewerbern mithalten zu können, die erst vor Kurzem ausgebildet wurden.

Wieder Fit für den Arbeitsmarkt werden

Der Fachverband swissICT hat deshalb gemeinsam mit dem Software-Dienstleister M&F Engineering, der auch in der ICT-Personalverleihung tätig ist, das Programm «Booster 50+» lanciert: Über 50-jährige, arbeitssuchende Informatikerinnen und Informatiker werden im Rahmen von Projekteinsätzen bei Partnerfirmen wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Finanziert wird das Programm über das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).
Das Programm «Booster 50+» von swissICT gliedert sich in vier Phasen, bestehend aus Evaluation, Onboarding, Arbeitseinsatz und Übergang zur Festanstellung
Quelle: stock.adobe.com/Studio Romantic
Zu Beginn durchlaufen die Kandidatinnen und Kandidaten einen Bewerbungsprozess bei der Trägergesellschaft des Programms und werden, sofern er erfolgreich verläuft, anschliessend von dieser unter Vertrag genommen. Danach absolvieren sie bei Partnerfirmen bis zu sechsmonatige Arbeitseinsätze, die gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen. Begleitend dazu erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezielte fachliche Weiterbildungen, Coachings und Persönlichkeitstrainings. Während den sechs Monaten können die Partnerfirmen sowie die Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden, ob sie ein direktes Arbeitsverhältnis eingehen wollen. Wenn nicht, werden die Kandidatinnen und Kandidaten an eine weitere Partnerfirma vermittelt.

Erste Erfahrungen mit «Booster 50+»

Computerworld hat mit Christian Hunziker, Geschäftsführer, und Paul Brodmann, Programmzuständiger bei swissICT, über den Start von «Booster 50+» gesprochen.
Computerworld: Herr Hunziker, wie ist das Projekt «Booster 50+» angelaufen?
Der swissICT-Geschäftsführer Christian Hunziker hat mit seinem Fachverband «Booster 50+» lanciert
Quelle: swissICT
Christian Hunziker:
Vor eineinhalb Jahren haben wir angekündigt, dass wir das Projekt lancieren wollen, sofern es von der öffentlichen Hand finanziert wird. Wir haben es dann zusammen mit dem Kanton Zürich beim SECO eingereicht – deshalb ist Zürich auch der erste Kanton, der es anwenden kann. Im vergangenen September hat dann das SECO die Freigabe erteilt.
CW: Warum wird das Programm vom Bund und nicht vom Kanton Zürich alimentiert?
Hunziker: Es kann nicht über das normale RAV-Programm finanziert werden, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entlöhnte Arbeitseinsätze leisten. Das steht im Widerspruch zum Arbeitslosenversicherungsgesetz und braucht deshalb eine Zusatzfinanzierung.
CW: Wie ging es danach weiter?
Hunziker: Mitte Oktober 2021 hat uns der Kanton Zürich die ersten Kandidatinnen und Kandidaten zugewiesen. Wir haben darauf Paul Brodmann als Projektzuständigen im Teilzeitpensum eingestellt. Er ist schon lange Mitglied der Arbeitsgruppe «Berufe der ICT», Leiter von «Saläre der ICT» und erbringt für uns seit Jahren diverse Mandats­leistungen. Zudem ist er im anderen Leben – wenn er gerade nicht für swissICT arbeitet – im Bereich Personalvermittlung und -betreuung tätig. Von daher passt das prima.

Viel spricht für ältere IT-Fachkräfte

CW: Herr Brodmann, was ist Ihre Motivation, bei «Booster 50+» mitzuwirken?
Der Personalberater Paul Brodmann betreut für swissICT das Programm «Booster 50+» im Teilzeit­pensum
Quelle: swissICT
Paul Brodmann:
Ich sehe immer wieder, dass gut qualifizierte Leute aus dem Rekrutierungsprozess rausfliegen, nur weil sie etwas älter sind. Das ist an vielen Orten leider Alltag, was mich nervt. «Booster 50+» bietet dagegen eine Möglichkeit, solche Personen zusammen mit Fachspezialisten genau anzuschauen, zu testen, zu beurteilen und danach an Firmen weiterzuvermitteln. Ich finde es eine super Sache für alle Beteiligten: für die Arbeitssuchenden, für die Unternehmen, denen es an Fachkräften mangelt, und für die Arbeitslosenkassen, die dann weniger belastet werden. Klar, es sind nicht Hunderte oder Tausende Personen, die wir mit dem Programm unterstützen können, aber doch eine recht grosse Anzahl.
CW: Was spricht denn überhaupt für die Beschäftigung älterer IT-Fachkräfte?
Brodmann: Die über 50-Jährigen bringen sehr viel Erfahrung mit. Zudem haben sie oft ein sehr gutes Verständnis von der Informatik als gesamtes, auch von älteren Systemen und wie sie zusammen mit neueren funktionieren. Die Jüngeren sind vielleicht schneller in neuen Technologien drin, weil sie mit diesen aufgewachsen sind, kennen aber nur diese. Oft ist deshalb gerade ein Mix von älteren und jüngeren IT-Fachkräften ideal.
Hunziker: Es ist genau so. Es gibt praktisch keine Firma, die nur auf neuen Systemen arbeitet, oft sind auch noch ältere im Einsatz. Zudem können die Unternehmen die Erfahrenheit der Älteren mit der Dynamik und dem Innovationsgeist der Jüngeren kombinieren. Klar, die über 50-Jährigen gehen in absehbarer Zeit in Pension, aber auch die Jungen bleiben dem Unternehmen oft nur drei, vier Jahre treu.  
CW: Wie viele Kandidatinnen und Kandidaten haben bisher am Programm teilgenommen?
Hunziker: Aufgrund des Datenschutzgesetzes und den Abmachungen mit dem Kanton dürfen wir keine detaillierten Auskünfte geben. Es ist uns auch untersagt, Werbung für das Programm zu machen – ausgenommen sind Aktivitäten, um Partnerfirmen für die Arbeitseinsätze zu finden. Was wir aber sagen dürfen: Mit dem Kanton Zürich ist vertraglich vereinbart, dass wir pro Jahr 20 Personen in die Onboarding-Phase bringen sollen, also für sie Arbeitseinsätze vermitteln können. Wir konnten auch schon ein paar schöne Erfolge erzielen …
CW: Die wären?
Brodmann: Wir konnten schon mehrere Festanstellungen vermitteln. Zwei Personen wurden sogar direkt nach der Evaluationsphase fest eingestellt. Die beiden Fälle stehen dafür, was oft falsch läuft: Sie hatten sich schon zuvor bei ihrem heutigen Arbeitgeber beworben, fielen aber aus dem Rennen, einzig weil sich die Personalverantwortlichen scheuten, jemanden über 50 einzustellen. Nachdem wir in der Evaluationsphase ihre Lebensläufe genau geprüft und sie Programmiertests unterzogen hatten, die sie mit Bravour bestanden haben, sind wir nochmals mit einer Empfehlung auf die Firmen zugegangen. Diese sagten dann: Okay, ihr habt sie genau angeschaut und für gut befunden, also nehmen wir sie auf.
CW: So einfach dürfte es aber nicht immer gehen …
Hunziker: Wir haben bisher drei Gruppen von Kandidatinnen und Kandidaten gesehen. Die einen Kandidatinnen und Kandidaten sind topfit und ohne Weiterbildungsbedarf. Bei anderen stellen wir fest, dass sie schon zu lange von der Software-Entwicklung weg und nicht mehr vermittelbar sind, da es ein zu grosser Sprung für sie wäre. Und dann gibt es einige Kandidierende, die wir zurzeit beraten und bei denen der Entscheid noch hängig ist, ob sie sich wirklich nochmals in Richtung Software-Entwicklung weiterbilden möchten. Einerseits ist das mit dem einen oder anderen Aufwand verbunden, andererseits haben sie später altershalber nicht nochmals die Chance, die Berufsrichtung zu wechseln. Sie müssen sich deshalb entscheiden – erst dann kann es mit dem Programm weitergehen.

Suche nach Partnerfirmen

CW: Gibt es genügend Partnerfirmen, in denen die Kandidatinnen und Kandidaten für bis zu einem halben Jahr lang probeweise arbeiten können?
Brodmann: Zu meinem Aufgabenprofil gehört auch, noch mehr Firmen für unser Projekt zu finden. Wir sind sehr aktiv auf der Suche und interessiert an allen Kontakten, die wir kriegen können.
CW: Ist es einfach, Partnerfirmen für die Arbeitseinsätze zu gewinnen?
Brodmann: Bei den Firmen, mit denen ich bisher gesprochen habe, hatte ich das Gefühl, dass ich offene Türen einrenne. Das sind zwar noch wenige, da ich relativ neu dabei bin. Wenn ich ihnen das Programm erkläre und darauf hinweise, dass wir nicht nur den Lebenslauf anschauen, sondern die Kandidatinnen und Kandidaten zusammen mit Fachspezialisten Interviews und intensiven IT-Tests unterziehen, lassen sie sich sehr schnell begeistern. Klar, zum Teil besteht noch Bedarf an Schulungen, aber diese können ja teilweise im Rahmen unseres Programms gemacht werden.
“Wir konnten schon mehrere Festanstellungen vermitteln„
Paul Brodmann
Hunziker: Wir hören von allen Firmen, dass sie nach Fachleuten suchen und dass der Fachkräftemangel der limitierende Faktor für ihren Wirtschaftserfolg ist. Sie müssen innovieren können, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und dafür benötigen sie geeignetes Personal. Meist finden sich aber zu wenig junge Fachleute, die das erforderliche Know-how mitbringen. Die Firmen sind deshalb offen, an unserem Programm zu partizipieren. Wir haben von keiner gehört, dieses würde sie nicht interessieren. Auch solche, bei denen wir schon Personen platziert hatten, es aber nicht passte, meinten danach, wir können jederzeit wieder vorbeikommen, wenn wir neue Kandidatinnen und Kandidaten haben.

Ausblick auf weitere Schritte

CW: Die Arbeitseinsätze werden entlöhnt. Wer kommt dafür auf?
Brodmann: Fällt der Bewerbungsprozess der Kandidatinnen und Kandidaten erfolgreich aus, werden sie von uns respektive der Trägergesellschaft unter Vertrag genommen und an die Partnerfirmen ausgeliehen. Diese bezahlen dann der Trägergesellschaft einen festgelegten Stundensatz. Das hat den Vorteil, dass die Partnerfirmen niemanden einstellen müssen und dass sie auch kein Risiko haben, da sie die Arbeitseinsätze sehr schnell abbrechen können, wenn es nicht passt. Aber sie können die Leute im Prinzip sechs Monate an Bord halten und haben dann einfach jemanden zugemietet.
“Wir haben bereits schrift­liche Vereinbarungen mit weiteren Kantonen„
Christian Hunziker
CW: Wie geht es nun weiter?
Hunziker: Wir wollen das Programm geografisch ausdehnen. Wir haben bereits vertiefte Gespräche mit weiteren Kantonen geführt und können dort hoffentlich demnächst loslegen. Mit anderen Kantonen sind wir ebenfalls im Gespräch. Zudem sind wir daran, neben der Software-Entwicklung weitere Berufsprofile hineinzunehmen, da es auch dort viel Nachfrage und ältere Stellensuchende gibt. Im Gespräch sind Systemtechnik, aber auch Projektleitung und Businessanalyse, also Profile, die zwischen Technik und Business angesiedelt sind.
Hierfür benötigen wir weitere Projektpartner. Bisher arbeiten wir mit der Firma M&F Engineering zusammen, die im Bereich Software-Entwicklung zu Hause ist und auch mit den Programmteilnehmenden die Arbeitsverträge für die Dauer des Programms abschliesst, da sie über eine Bewilligung für den Personalverleih verfügt – eine solche haben wir von swissICT nicht. M&F Engineering ist jedoch nicht auf Systemtechnik spezialisiert. Mit dem Institut für berufliche Aus- und Weiterbildung (IBAW) sind die Gespräche für die Ausweitung auf weitere Berufsprofile auch schon weit fortgeschritten.



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