Geld ist nicht alles 03.08.2022, 06:09 Uhr

Benefits machen Stellen attraktiver

IT-Professionals sind gefragter denn je, der Kampf um die Talente ist längst keine blosse Floskel mehr. Wir haben nachgefragt was sich hiesige Firmenn einfallen lassen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Um Talente anzuziehen, müssen Unternehmen heute mehr als nur gute Löhne offerieren
(Quelle: Shutterstock/Vitalii Vodolazskyi)
Fachkräfte sind rar, die Personalsuche wird schwieriger und die Sorge, Leistungsträger nicht in Firmen halten zu können, wächst. Gefragt sind Spezialisten, die helfen, die digitale Transformation zu stemmen.
Wer sich hier engagiert, kann zwischen vielen Angeboten wählen. Dabei geht es nicht nur um ein angemessenes Gehalt. Gefragt sind attraktive Zusatzleistungen und ­Kreativität bei der Mitarbeiterbindung.
Mit diesen Analysen hat Eva Mahoney, Direktorin beim Personaldienstleister Robert Half in Zürich, vor einem halben Jahr die Gehaltsübersicht 2022 vorgestellt. An der von ihr beschriebenen Situa­tion hat sich nichts geändert.
Die neusten Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zeigen, dass die Anzahl ­arbeitsloser ICT-Experten weiter zurückgeht. Kurz: Der Fachkräftemangel bleibt. Das lässt sich auch am ­aktuellen Erwartungsbarometer des Branchenverbands Swico ablesen. Bei allem Optimismus, so der Swico-ICT-Index, bleibt das Rekrutieren von Fachkräften ein Problem.
Wie in den Unternehmen damit umgegangen wird, ist ein weites Feld. Ortsunabhängiges Arbeiten, auch aus dem Ausland, gehört zu einer der Möglichkeiten, um Mitarbeitende zu binden und Talente anzuziehen. Aber auch Open Workspaces, Verlängerung der Home-Office-Arbeit, Weiter­bildungsmöglichkeiten und die Auswahl der eigenen Hardware.
Andere Benefits reichen vom Mittagessen in der Kantine über besondere Lohnnebenleistungen, spe­zielle Rabatte, Mitarbeiter- oder Erfolgsbeteiligungen bis hin zu Prämien wie zusätzliche Urlaubstage. Aber längst ist nicht nur das Gehalt ausschlaggebend. Der gute Arbeit­geber ist familienfreundlich und bietet Möglichkeiten zur persönlichen und professionellen Entfaltung.
«Das Gesamtpaket ist meistens entscheidend», sagt denn auch Charlie Fraefel. Für den Gründer und CEO des Online-Video-Spezialisten Xtendx sind es im Wesentlichen drei Aspekte, die ein Unternehmen attraktiv für künftige Talente macht: das flexible Gestalten von Arbeitszeit und Arbeitsort, flache Hierarchiestufen und eine Start-up-Umgebung.
Technische Hürden würden dafür ohnehin nicht mehr bestehen. Bei Flex Office und Home Office verwende man die eigene Infrastruktur. Entscheidender Faktor sei heute die Balance zwischen Arbeitszeit und Privatleben.
So würden sich gerade nach der Pandemie und mit der Akzeptanz der digitalen Kommunikation beispielsweise Eltern junger Familien die Aufgaben gerne untereinander teilen. Das sei beim Arbeitspensum zu berücksichtigen.
Man entdecke zwar neue Talente über spezielle Online-Stellenplattformen und die sozialen Medien, «zudem finden uns online tatsächlich auch potenzielle Kandidaten von selbst», schiebt Fraefel nach. Und er empfiehlt, alle künftigen Mitarbeitenden sollten die neue Herausforderung sowie die Kolleginnen und Kollegen kennenlernen: «Ein bis zwei Tage schnuppern, ist für alle Beteiligten ­hilfreich.»

Der Lohn allein ist nicht entscheidend

Das ist ein Hinweis, den auch Patrick Fehr betont, der bei der Competec-Gruppe das Recruiting und Employer Branding leitet: «Nicht zu rasch der Verlockung erliegen, das erstbeste Angebot anzunehmen.Sich darüber klar werden, wie das Umfeld, die Technologie und die Aufgaben auszusehen haben. Dann gezielt danach suchen.»
“Das Gesamtpaket entscheidet, das flexible Gestalten von Arbeitszeit und Arbeitsort, flache Hierarchiestufen und eine Start-up-Umgebung»„
Charlie Fraefel, Xtendx
Ebenso empfiehlt er, «unbedingt schnuppern und das Team kennenlernen». Der Hinweis ist insofern interessant, weil sich laut Fehr der ICT-Fachkräftemangel heute verschärft hat und Talente nach Schulabgang rasch mit attraktiven ­Angeboten umworben werden. Der Lohn sei dabei nicht so entscheidend, zumal zwar nicht alle Schweizer Unternehmen Löhne wie bei Google und Co. bezahlen können.
«Doch der Überhang an vakanten ICT-Fachpositionen ist so gross, dass Arbeitgeber, die sich von marktüblichen ­Salären zu weit entfernen, kaum eine Chance haben, die besten Talente für sich zu gewinnen.»
Es verwundert daher nicht, wenn der Online-Händler und Distributor zusätzlich mit attraktiven Lohnneben­leistungen und einem hohen Anteil an Remote Work – «je nach Team bis zu 100 Prozent für Mitarbeitende, die in der Schweiz wohnen» – trumpft.
Zudem werden interne und externe Weiterbildung gefördert sowie spannende Aufgaben und Verantwortung für den jeweiligen Bereich versprochen. Weiter ist laut Fehr für IT-Personal der Tech-Stack relevant, also die Technologien, auf denen die App­likationen basieren: «Ist dieser unattraktiv, nützen alle Benefits nichts, Talente zu holen und zu halten.
Enthält er Nischenlösungen, wird es schwierig, überhaupt passende Leute zu finden.» Auch hier sei die Competec-Gruppe gut aufgestellt: «Das beginnt bereits bei der ­Wahlfreiheit der Hardware respektive beim Betriebs­system, auf dem die Mitarbeitenden entwickeln wollen. Da sind wir seit Jahren gut unterwegs.»

Firmenkultur trotzdem pflegen

Eine der Firmen, die in Rankings immer wieder bewiesen hat, ein guter Arbeitgeber zu sein, ist der IT-Dienstleister UMB. Dass man mehrfach zum besten Arbeitgeber der Schweiz gekürt wurde, hänge stark mit den Anstrengungen zusammen, das bestmögliche Arbeitsumfeld zu schaffen, sagt Adrian Stuber, Head of HR & Academy. Es sei ein langer Prozess, solch eine Kultur zu entwickeln und das Verständnis dafür in der Organisation zu schaffen.
“Arbeitgeber, die sich von marktüblichen Salären zu weit entfernen, haben kaum eine Chande, die besten Talente zu gewinnen„
Patrick Fehr, Competec
Wenn man heute attraktiv für Talente sei, sei das aber auch spannenden und sinnstiftenden Projekten geschuldet: «Das garantiert eine herausfordernde Arbeit, die ­un­se­re Talente jeden Tag weiterbringt.» Zudem habe Weiter­bildung einen hohen Stellenwert und man unterhalte dazu neben der eigenen Academy eine Kooperation mit der ­Universität Zürich: «Damit sichern wir uns nicht nur über­legenes Know-how, wir ermöglichen unseren Kolleginnen und Kollegen auch die permanente persönliche Weiterentwicklung», so der HR-Chef.
Und, auch das gehöre zu einer ausgezeichneten Firmenkultur, es werde «sehr viel Energie in die Ausbildung unserer Führungskräfte investiert». Denn diese hätten erfahrungsgemäss den grössten Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit.
Klar zahle man konkurrenzfähige Löhne, schiebt er nach, doch Geld sei eben nicht alles. Deshalb sorge bei UMB das Modell der Jahresarbeitszeit für die Balance ­zwischen Arbeit und Freizeit. Es könne in Teilzeit gearbeitet und bis zu vier Wochen Ferien pro Jahr zugekauft ­werden, beispielsweise für eine längere Auszeit oder zur Verwirklichung von Ferien- oder Weiterbildungsträumen.
Auch zahle UMB zur Gesundheitsförderung beispielsweise einen Betrag an Sport-Abos oder biete «Kleinigkeiten wie den Zeit-für-dich-Tag» und den freien Geburtstag. Stubers Resümee: «Wenn die Wertschätzung, die Vorgesetzten oder die Unternehmenskultur nicht passen, dann bewirkt auch ein hohes Gehalt nicht viel.»

Sinnsuche und Bindungsklavier

Gertrud Hierzer, die in der Alpenregion von T-Systems als HR Vice President amtet und der regionalen Geschäftsführung angehört, spricht eine allgemeinere Entwicklung der Arbeitsmentalität an und spricht von einem zeitlichen Wandel der Ansprüche der Mitarbeitenden: «Gerade bei der Generation zwischen 30 und 45 Jahren, die ihre ­‹arbeitssüchtigen› Eltern erlebt haben, ist es Trend, fürs Leben zu arbeiten und nicht für die Arbeit zu leben.»
Im Moment lägen die Ansprüche «sehr stark auf einer ausgewogenen Work-Life-Balance und dem starken Bedürfnis nach Sinn und Mitgestaltung». Bei den 20- bis 30-Jährigen stelle sich zusätzlich die Sinnfrage. «Sie sind in einer komplexen, digitalen Welt aufgewachsen, die sich für sie nur durch nachhaltigen Sinn konkret bewältigen lässt.»
“Wer seine ‹arbeitssüchtigen› Eltern erlebt hat, will lieber fürs Leben arbeiten und nicht für die Arbeit leben„
Gertrud Hierzer, T-Systems

Interessant ist, dass Hierzer in diesem Zusammenhang auf die aktuellen geopolitischen und geoökologischen ­Bedrohungen und zusätzlichen Ressourcenverknappungen verweist. Denn damit komme «gegenwärtig ganz stark der Gehaltsfokus hinzu». Es würden Gehälter geboten, die alle Gehaltsbänder sprengen.
Nachhaltig sei das nicht, weil Unternehmen sich solche Gehälter auf lange Sicht nur schwer leisten können und ein Verdrängungskampf ­niemandem dient. Deshalb sei es wichtig, mit anderen Qualitäten als Arbeitgeber zu trumpfen. Sie nennt als ­Beispiele einen modernen Technologie-Stack, attraktive Karrierepfade auch mit internationalen Perspektiven oder den Fokus auf die Aus- und Weiterbildung, um Mitarbeitende fit zu halten im steten Innovationsfluss.
Laut Hierzer gehe es um vier massgebende Dimensionen der Mitarbeiterbindung: die emotionale, die normative, die rationale und die perspektivische. Erstere spreche etwa Mitgestaltungsmöglichkeiten an, einen kameradschaftlichen Umgang im Team, gemeinsame Aktivitäten oder den regelmässigen persönlichen Austausch mit den Führungskräften.
Normativ seien die Unternehmenswerte zu fokussieren, beispielsweise wie nachhaltig und sozial das Unternehmen handelt. Bei der perspektivischen Bindung gehe es um Aspekte wie Karrierepfad und Weiter­entwicklungsmöglichkeiten und die rationale Komponente umfasse dann Themen wie Gehalt, Bonussysteme, monetäre Zusatzleistungen oder flexible Arbeitszeit­modelle. Zentral ist für Hierzer, dass es nicht das eine ­Bindungsinstrument gibt, sondern «ein Unternehmen muss auf der gesamten Bindungsklaviatur spielen können».

Flexibilität und Individualität


Ähnliches sagt David Luyet, Head Talent Attraction bei der Swisscom. Attraktiver Arbeitgeber sei man vor allem wegen «der grossen Flexibilität, den Arbeitsalltag zu gestalten, dem vielseitigen Umfeld und der Möglichkeit, in Projektarbeiten mit modernsten Technologien und Methoden zu arbeiten».
Hinzu kämen verschiedene Talent­programme und mindestens fünf Ausbildungstage zur persönlichen Entwicklung, um «die interne Weiterentwicklung, sei es, die Fach- oder Führungskarriere voran­zu­treiben». Das Motto laute: Was du draus machst, ist das, was uns ausmacht. «Nur das reine Gehalt ist nicht mehr zwingend massgebend, auf das ‹Gesamt-Package› kommt es heutzutage an», sagt auch der Swisscom-Mann.
Dann kommt Luyet aber auf sein Aufgabenfeld zu sprechen. Er betont, dass «wir als Unternehmen viel aktiver sein müssen», um Talente zu gewinnen. Über verschiedene Events auch an Hochschulen spreche man viele poten­zielle Kandidaten proaktiv und direkt an: «Nur ein Inserat zu schalten und auf Bewerbungen zu warten, ist nicht mehr zielführend.» Die Individualität habe zu­genommen. ­
Swisscom habe deshalb bei der Nachwuchssuche die ­Bewerbungshürden maximal vereinfacht. Das klassische Bewerbungsformular gebe es nicht mehr, alles sei unkompliziert gestaltet. Man schreibe die meisten Stellen mit ­einem 60- bis 100-Prozent-Pensum aus, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Zudem seien «work anywhere und Open-Desk-Arbeitsplätze schon seit mehreren Jahren Usus».
Zudem werde der ­Einstieg bei der Swisscom durch ganz verschiedene ­Angebote erleichtert und sei via Praktikum, Trainee­programm oder Direktbewerbung möglich. Zuletzt habe man «ein breit angelegtes Juniorprogramm lanciert, um Fachkräfte in ganz verschiedenen Berufsbildern den ­Einstieg und die Weiterentwicklung zu ermöglichen».



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