12.11.2010, 06:00 Uhr

Gerüstet für die Globalisierung

Das Upgrade auf ein ERP-II-System beseitigt Doppel­erfassungen und reduziert den Anpassungsaufwand. Doch die Migration hat auch ihre Tücken.
Freier Autor aus Augsburg und u.a. für Asseco tätig Die Huba Control AG ist ein typischer Schweizer Mittelständler. Das Aargauer Unternehmen fertigt Bauteile für die Druckmesstechnik. 95 Prozent der Produktion gehen dabei ins europäische und asiatische Ausland. Insgesamt sechs weltweite Vertriebsniederlassungen sorgen für Kundennähe und einen effektiven Vertrieb. Das ERP-System bildet dafür das Rückgrat. «Die Fähigkeit von ERP-Systemen, in einer globalen Wirtschaft Unternehmensprozesse durchgängig und ohne Medienbrüche abzubilden, hat sich zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil für mittelständische Anbieter wie uns entwickelt», betont Urs Voser, Mitglied der Geschäftsleitung der Huba Control. «Schnelligkeit, Flexibilität und das Eingehen auf individuelle Kunden-wünsche sind typische Eigenschaften, die man üblicherweise mit mittelständischen Unternehmen verbindet. Genau diese Eigenschaften muss auch eine ERP-Lösung aufweisen und unterstützen.» Urs Voser weiss, wovon er spricht. Sein Unternehmen ist ein klassischer Variantenfertiger - keine Ware von der Stange, sondern individuelle Massarbeit in höchster Qualität. Rund 80 Prozent aller Aufträge sind Varianten-aufträge, jede einzelne Produktfamilie weist Dutzende bis Hunderte verschiedene Kombinations-möglichkeiten bei den Materialien und den vom Kunden benötigten Kalibrierungen des Druckbereichs auf. Diese Komplexität nicht nur in der Produktion, sondern in allen Unternehmensbereichen zu beherrschen, macht neben der hohen Qualität der Produkte den Unterschied zum Mitbewerb aus und hat das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund 80 Millionen Schweizer Franken zu einem führenden Anbieter von Druckmesstechnik werden lassen. Prozesseffizienz ist auch der Schlüssel zu einer dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Anbietern aus Ländern mit niedrigeren Lohnkosten, denn sie sichert konkurrenzfähige Lohnstückkosten. Schliesslich sind rund 260 der insgesamt 300 Mitarbeiter in der Schweizer Zentrale nahe Zürich beschäftigt, wo auch die einzigen Produktionsanlagen weltweit angesiedelt sind. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Globalisierung als Herausforderung Bis 2008 nutzte Huba Control ein ERP-System auf Client-Server-Basis. Diese Lösungsarchitektur war typisch für die Systeme der 90er-Jahre: angepasst an Unternehmensprozesse, die von Abteilungs- und Ländergrenzen strukturiert wurden. Für eine globalisierte Wirtschaft spielen Grenzen jedoch keine Rolle mehr. ERP-Systeme, die aufgrund ihrer Architektur und technologischen Basis diese Entwicklung nicht mitgehen können, verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung als Motor für eine höhere Prozessproduktivität und drohen, selbst zu einem Hindernis zu werden. Dies gilt selbst dann, wenn wie bei Huba Control die Prozesse kaum Veränderungen unterliegen und in funktionaler Hinsicht vom eingesetzten ERP-System gut unterstützt werden. «Es gab vor allem zwei Bereiche, in denen wir Optimierungspotenzial sahen: auf Vertriebsseite und in der Arbeitsvorbereitung. Denn wir mussten die bereits in unseren europäischen und asiatischen Vertriebs-niederlassungen eingegebenen Aufträge und Bestellungen ein zweites Mal in der Schweiz erfassen. Bei kurzfristig abzuwickelnden Bestellungen hatten wir keine andere Möglichkeit, als manuell einzugreifen und einen separaten Batch-Lauf anzustossen, damit die Stücklisten und Arbeitspläne rechtzeitig an die Produktion übergeben werden konnten», erklärt Voser. ERP II: Skalierbar und Flexibel Ideale Basis für eine solche grenzenlose Abteilungen, Länder und Anwendungen überschreitende Prozessunterstützung bilden sogenannte ERP-II-Systeme. Diese stellen alle Funktionsbausteine über Webbrowser zur Verfügung, sind in einer objektorientierten Programmiersprache geschrieben, integrieren alle Module und machen eine zentrale Datenhaltung möglich. Da sie darüber hinaus dem Gedanken folgen, die Ressourcen zu zentralisieren, sind sie von Anfang an auf Skalierbarkeit ausgelegt und können sich flexibel an wachsende Unternehmen anpassen. Nur wenige Lösungen auf dem Markt weisen indes diese ERP-II-Merkmale in Reinform auf. «Für uns war sowohl die innovative Architektur entscheidend, als auch die für Huba so wichtigen programmierbaren Variantenstücklisten, die sich für jede Variante automatisch die passenden Arbeitspläne und Stücklisten zusammenstellt», erklärt Urs Voser. Deshalb habe man sich für eine Migration auf die .Net-basierte Lösung APplus entschieden, mit deren Hersteller Asseco man bisher schon erfolgreich zusammengearbeitet habe. Umfangreiche Vorarbeiten Die Einführung und Migration übernahm der langjährige Implementierungspartner AP Schweiz Informatik AG. Rund 30 Millionen Datensätze aus 80 Tabellen mit mehr als 2000 Datenfeldern mussten übernommen werden. Die zweite grosse Herausforderung bestand in der automatischen Umstellung der Variantenstücklisten und -arbeitspläne; dafür entwickelte der Implementierungspartner extra ein eigenes Konvertierungssystem. Zunächst aber mussten die historisch gewachsenen unternehmensspezifischen Anpassungen analysiert werden, die im bestehenden System rund 30 Prozent des Funktionsumfangs ausmachten. Die Analyse ergab, dass sich dieser Anteil mit der neuen Lösung auf die Hälfte senken liess. So sind zum Beispiel differenzierte Material-gemeinkostensätze je nach Produktfamilie oder Standardkostenrechnung neu Teil des Funktionsumfangs. Der entscheidende Schlüssel für den ERP-Projekterfolg ist eine fundierte Vorbereitung, die alle relevanten Abteilungen mit einbezieht. Beim Auftraggeber bestand das Kernteam lediglich aus einem einzigen IT-Spezialisten, während die anderen Teammitglieder aus den Abteilungen Vertrieb, Logistik, Materialwirtschaft, Fertigungssteuerung, Konstruktion/Stücklistenwesen und Buchhaltung stammten. Die Projektleiter aus den einzelnen Abteilungen waren gleichzeitig als «Key User» für die Anwenderschulung verantwortlich. Für die technische Realisierung der Migration sorgten mehrere Programmierer von AP Schweiz. Komplexe Migration Nach den Vorarbeiten, die aufgrund der anfangs unterschätzten Komplexität des Projekts rund fünf Monate länger dauerten, als ursprünglich geplant, fand die Umstellung auf das neue System an einem Wochenende statt. Insbesondere das automatische Übersetzungs-Tool, das die Toolbook-Scripte am Stichtag nach Java übersetzen musste, war eine grosse Herausforderung. Obwohl die Datenübernahme beim ersten Versuch nicht wie geplant funktionierte, konnte der Produktivbetrieb am Montagmorgen beginnen. «Ich dachte zuerst, es arbeitet gar niemand mit dem System, weil wir praktisch keine negativen Rückmeldungen hatten», erinnert sich Urs Voser. Natürlich gab es dann doch noch einige Probleme zu lösen, aber keine kritischen. Seit dem Produktivstart läuft das System stabil. Zurzeit werden die Konzepte für den nächsten Schritt erstellt: die Anbindung der europäischen Niederlassungen als Mandanten, um Doppelerfassungen bei Aufträgen und Bestellungen zu vermeiden. Danach sollen auch die asiatischen Vertriebsniederlassungen folgen. Ein weiterer entscheidender Vorteil des neuen Systems ist das integrierte Reporting auf OLAP-Basis. Während im Vorgängersystem Kennzahlen über selbst geschriebene Abfragen direkt in der Datenbank generiert werden mussten, stehen heute die wichtigsten Parameter etwa zum Vertrieb oder aus Einkauf und Produktion grafisch aufbereitet auf Knopfdruck zur Verfügung. Aufgrund des deutlich gewachsenen Funktionsumfangs können künftig diverse eigenentwickelte Software-Systeme abgelöst werden, insbesondere im Reparaturwesen sowie im Kundenbeziehungsmanagement. Zudem plant Huba Control den Einstieg in die Automobilbranche. Für Urs Voser ist damit klar, welche Rolle das ERP-System in seinem Unternehmen spielt: «ein strategisches Investitionsgut zur Unterstützung des Unternehmenswachstums». Die ProjektdatenUrsprungsplattform: P2 Client-ServerZielplattform: APplus Web-FrontendDatenbank: Microsoft SQL-ServerUmfang:80 Datenbanktabellen2000 Datenbankfelder30 Millionen DatensätzeAutomatisch übersetzte Toolbook-Scripte nach Java:Stücklistenpositionen: 3200Arbeitsplanpositionen: 1500Projektdauer: 14 Monate Marcus Ehrenwirth


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